Handel und regionale Medien:
Stationäre Geschäfte erobern den digitalen Raum
Der E-Commerce setzt stationären Geschäften zu. Doch lokale Einzelhändler erobern sich vermehrt ihre Parzelle im digitalen Raum. Regionale Medien helfen.
Eine Wand voller Schnuller. Ein ganzer Fuhrpark an Kinderwagen. Und Plüschtiere en masse: Löwen, Tiger, Möpse. Das ist Baby & Kind Hess im niederbayerischen Ergolding. „Riesenauswahl“ verspricht der Imagefilm des Geschäfts. „Persönliche Beratung.“ Und zur Einblendung „Rundum-Service“ schiebt sich der kugelrunde Bauch des hauseigenen Buggy-Mechanikers ins Bild. Auf Facebook bringt das 47 Likes und mehr als 5000 Videoaufrufe. Nicht übel bei 990 Abonnenten.
Lokale Einzelhändler sind in Bedrängnis. Der Onlinehandel setzt ihnen zu. Nicht erst seit gestern, aber Jahr für Jahr forscher. 2017 kletterte der Umsatz im E-Commerce laut Branchenverband BEVH auf gut 58 Milliarden Euro, ein Plus von fast 11 Prozent. Außer Mode und Unterhaltungselektronik kaufen Bundesbürger laut I-Business im Internet vermehrt Waren aus Kategorien wie Drogerie & Gesundheit, Hobby & Schreibwaren, Spielzeug & Baby. Was sie im Netz shoppen, fehlt stationären Geschäften in der Kasse. Der Handelsverband Deutschland zeichnete bereits 2015 ein düsteres Bild: Bis 2021, so die Prognose, macht jeder zehnte Laden zu, 50 000 insgesamt.
"Der Beratungsbedarf ist enorm"
Die Lage ist bedrohlich, die Ratlosigkeit groß. „Viele Einzelhändler starren auf die Entwicklung wie das Kaninchen auf die Schlange“, beobachtet Jörg Hubloger, Leiter der Landshuter Werbeagentur Joker. „Sie wollen was ändern, aber sie wissen nicht, wie und wo sie ansetzen sollen.“ Multichannel? Contentmarketing? Social Media? Für kleine Drogerien, für Blumenläden und inhabergeführte Boutiquen ist das oft ein Buch mit sieben Siegeln. „Der Beratungsbedarf ist enorm“, stellt Hubloger fest. „Aber auch die Bereitschaft, neue Wege zu gehen.“ Siehe Baby & Kind Hess aus Ergolding. Anfangs betreute Joker die Social-Media-Aktivitäten des Geschäfts. „Heute kümmern wir uns um das gesamte Marketing.“ Imagevideo inklusive.
„Bewegtbild gewinnt in der Region an Bedeutung“, berichtet Michael Kusch, Verlagsleiter Geschäftskunden beim Mittelbayerischen Verlag in Regensburg, der die Mittelbayerische Zeitung herausgibt. Eine eigene Abteilung dreht Image- und Recruitingfilme, hier für ein Autohaus, da für einen Blumenhändler. Die Videos lassen sich auf Yategolocal.com einbinden, wo sich örtliche Geschäfte vorstellen. „Ein digitales Schaufenster“, so Kusch. Die Mittelbayerische kooperiert mit der Plattform und offeriert Regensburger Läden Premiumauftritte auf Yategolocal (nebst Anzeige in der Zeitung). „Der lokale Handel agiert kaum proaktiv“, sagt Kusch. „Aber Anregungen greift er gern auf.“
Ansätze kursieren zur Genüge. Doch nicht jedes Konzept überzeugt. Beispiel „Virtual Windowshopping“: Im rheinländischen Städtchen Langenfeld testete die TH Köln das. Auf einem Monitor im Schaufenster ließ sich das Sortiment eines Modegeschäfts via Smartphone durchstöbern. Doch die meisten Versuchspersonen verstanden den Zweck nicht oder brachen frustriert ab. Es sei zu hinterfragen, resümiert die Website Zukunft des Einkaufens, „ob der Innenstadtbesucher außerhalb der Öffnungszeiten überhaupt Interesse an einer Shoppingsituation hat“. Schaufensterbummel? Gern. Kaufen? Nicht unbedingt.
Advertorials hoch im Kurs
„Die rasch wachsende Zahl an Optionen verunsichert viele Einzelhändler“, so Verlagsmanager Kusch. „Wie, fragen sie sich, ist ihr Werbebudget am sinnvollsten angelegt?“ Hoch im Kurs stehen Advertorials. Die bieten mehr Lesestoff als herkömmliche Anzeigen und verheißen mehr Beachtung. Die Mittelbayerische bedient die Nachfrage mit Specials in der Zeitung und redaktionellen Beilagen, vom Reise- bis zum Fitnessmagazin. „Wir schaffen damit attraktive Themenumfelder für den lokalen Handel.“ Auch online. Das Modeheft Look erscheint zweimal jährlich als Supplement und lockt im Netz als Lifestyle-Blogazine mit Bilderstrecken aus der Region. In gesponserten Beiträgen geben sich Geschäfte wie Kiko Make-up und G-Fashion aus dem Einkaufszentrum Regensburg Arcaden ein Stelldichein. Unterstützt von den heimischen Instagram-Beautys rapunzella.claire (1069 Follower) und lenaaa_smd (3585), zeigen sie „Die Looks des Frühlings“.
Die Bäckerei auf Facebook
Raus aus der Versenkung, lautet die Losung kleiner Einzelhändler: Der Übermacht des E-Commerce entgegentreten, statt unsichtbar und vergessen wegzusterben. Stück um Stück erobern sie sich ihre Parzelle im digitalen Raum. So wie die Bäckerei Wackerl aus Landshut. Seit Ende 2016 ist sie auf Facebook aktiv, postet ihr „Angebot der Woche“ (Powerlaiberl für 0,80 Euro), informiert über Spezialitäten wie die überdimensionalen „Schmankerl-Brezn“ und Saisonales („lecker Osterfladen“). Der Lohn: 585 Abonnenten und die Aufmerksamkeit einer TV-Redaktion. Kabel eins schaute in der Bäckerei vorbei und berichtete vergangenen Sommer zur Primetime über Wackerls umfangreiches Sandwich-Sortiment („Der große Trend-Check“).
Den Facebook-Auftritt betreut die Werbeschmiede Joker, die auch für Baby & Kind Hess arbeitet. Die Agentur begann vor zwei Jahren als Abteilung in der Wochenblatt Verlagsgruppe. Foto- und Videoproduktion, Gestaltung von Anzeigen und Beilagen fürs Wochenblatt, Social Media. „Die Nachfrage hat uns selbst überrascht“, bekennt Agenturleiter Hubloger. Seit Anfang des Jahres firmiert Joker als GmbH mit fünf Mitarbeitern. Aktuell tastet sich die Schmiede auf unbekanntes Terrain vor: Multichannel für den örtlichen Handel. „Das rentiert sich nicht für jeden, weil es ein belastbares Warenwirtschaftssystem braucht“, so Hubloger. „Aber wir testen das.“