VR im Stadtmarketing:
Modernes Stadtmarketing: "Es gibt kaum eine Alternative zur VR-Technologie"
Alexander El-Meligi, Managing Partner & Creative Director bei Demodern – Digital Agency, erklärt im Interview, wie zeitgemäßes Stadtmarketing funktioniert.
Herr El-Meligi, Großstädte wie Berlin (‚be Berlin‘) oder München (‚München mag dich‘) machen längst vor, wie erfolgreiches Standortmarketing funktioniert. Inzwischen rücken beim Stadtmarketing jedoch auch immer häufiger kulturelle, historische oder architektonische Highlights und Besonderheiten in den Fokus der Maßnahmen. Prominentes Beispiel ist sicherlich die Kampagne rund um die Eröffnung der Hamburger Elphi. Wie erklären Sie sich diesen Trend?
Alexander El-Meligi: Stadtmarketing-Verantwortliche haben inzwischen verstanden, wie wichtig es ist, zeitgemäße Kommunikationskanäle bzw. Social Media-Kanäle zu nutzen, um erfolgreich über wichtige Bauprojekte, Events, News etc. zu informieren. Und um vor allem auch jüngere Zielgruppen zu erreichen. Dieser Trend geht meiner Meinung nach mit der rasant gestiegenen Nutzung von Smartphones sowie moderner Medien und Technologien einher. Zu letzteren zählt u.a. Virtual- oder Augmented Reality. Da sich damit insbesondere Räume visualisieren sowie wirksame und eindrucksvolle Inszenierungen erzielen lassen, sind AR- oder VR-Anwendungen gerade bei Bauprojekten, historischen oder architektonischen Highlights besonders effektiv.
Interaktive Installationen, VR-Maßnahmen oder Augmented Reality-Apps gelten inzwischen als Mittel der Wahl, um die Highlights und die Geschichte einer Stadt erlebbar zu machen. Inwiefern macht es Sinn, auf innovative Technologien und Konzepte im Rahmen des Stadtmarketings zu setzen und was kann damit erreicht werden?
Wie bei allen Anwendungen geht es primär darum, den ‚Usecase‘ ideal zu erfüllen sowie das passende Medium für die Kommunikation oder Maßnahmen zu wählen. Für wirkungsvolle Experiences, immersive Erlebnisse oder außergewöhnliche Inszenierungen gibt es kaum eine Alternative zur VR-Technologie. Hinzu kommt der anhaltende Trend bzw. Fokus auf eine besondere Customer Experience. Egal ob Retail oder städtische Institution: In allen stationären Bereichen sind Auftraggeber auf der Suche nach neuen Wegen, um Nutzern – zusätzlich zu faktischen oder statischen Informationen und Produkten – eine außergewöhnliche Erfahrung zu ermöglichen. Neben der reinen Visualisierung des Geschehens ist auch das Storytelling innerhalb der VR-Anwendungen essentiell, damit der User spielerisch oder narrativ in eine Handlung eingebunden werden kann. Wie bei Games steigert man somit den Unterhaltungswert und die Aufenthaltsdauer des Nutzers in der Anwendung.
Für die Stadt Ulm haben Sie mit der ‚Ulm-VR-Experience‘ eine Virtual Reality-Flugsimulator-Erlebnis zur virtuellen Erkundung des Ulmer Münsters entwickelt. Vor welchem Hintergrund hat sich die Stadt Ulm dazu entschieden, zu dieser Maßnahme zu greifen?
Das Stadtmarketing-Projekt „Ulm Stories – Geschichten einer Stadt” soll sowohl den Einwohnern von Ulm als auch Touristen die Chance bieten, das historische Ulm sowie seine 600-jährige Geschichte innovativ zu erleben – und zwar aus der Vogelperspektive. Die virtuelle Flugsimulation ist dabei eine der Highlight-Anwendungen im Rahmen der „Ulm Stories”. Daneben gibt es mehrere interaktive Touchpoints sowie ein dreidimensionales Hör-Erlebnis in Augmented Reality direkt im Ulmer Münster. Idee und Basiskonzept des Projektes stammen von der Interactive Media Foundation, Berlin, die das Projekt für die Stadt Ulm initiierte.
Wie genau funktioniert die ‚Ulm-VR-Experience‘ und was konnte damit bisher erreicht werden?
Die Flugsimulation ist das Herzstück der Ulm Stories. Unser Ziel war es, einen außergewöhnlich realistischen Virtual Reality-Flug für alle unterschiedlichen Besuchertypen zugänglich zu machen. Unsere Mitarbeiter aus Kreation, User Experience-Design und Entwicklung haben sich dazu tief in die Historie der Stadt und den Traum vom Fliegen eingearbeitet. Als Hardware-Basis dient der Flugsimulator „Birdly“ des Schweizer Unternehmens Somniacs, der mithilfe eines Industrieroboters und entsprechender Sensorik aktuell eine der besten Vogelflug-Simulationen überhaupt ermöglicht. Der Nutzer liegt dabei bäuchlings mit ausgestreckten Armen auf einer Fläche, ähnlich der eines Zahnarztstuhls. Er steuert seine „Flügel“ über Armbewegungen und Drehung der Handgelenkflächen, woraufhin der Flug-Simulator sich entsprechend neigt. Ein integrierter Ventilator vor dem Gesicht des Nutzers, welcher den Luftstrom je nach Fluggeschwindigkeit anpasst, macht die Anwendung noch realistischer.
Für das Projekt haben wir auf Basis von Skizzen und Karten aus dem Stadtarchiv die gesamte Stadt Ulm zum Zeitpunkt der Fertigstellung im Jahr 1890 in monatelanger Arbeit bis in das kleinste Detail in 3D nachgebaut. Die VR-Anwendung wird seit dem „Launch‘ im Juli 2017 täglich genutzt und macht 600 Jahre Architektur und Historie in einem eigens für die Anwendung angemieteten Raum in unmittelbarer Nähe zum Münster lebendig. Die VR-Technologie zeigt hier nicht nur was heute bereits möglich ist, sondern auch, wie wirksam und relevant sie gegenüber anderen Medien ist.
Welche weiteren gelungenen Beispiele für den Einsatz von innovativen Technologien im Rahmen einer Standortkampagne können Sie uns nennen?
Bei TimeRide Köln steigen Nutzer in den Nachbau einer historischen Straßenbahn ein und begeben sich via VR-Brille auf eine virtuelle Rundfahrt durch die Kölner Altstadt zur Kaiserzeit. Die Experience ist am Kölner Altermarkt mittlerweile ein fester Bestandteil des Stadtmarketings.
Oder die VR-App “Nefertari: Journey to Eternity”: Sie führt den VR-Brillenträger in Königin Nefertaris Grabkammer, einem der detailliertesten Denkmäler der ägyptischen Kultur. Die Grabkammer wurde mittels Photogrammetrie 3D gescannt, ist somit begehbar und hat gleichzeitig eine fotorealistische visuelle Qualität im 1:1 Maßstab. Wie sich ein Museum für Naturgeschichte zum Leben erwecken lässt, zeigt die VR-App „Hold the world“ für das Londoner Natural History Museum. Der britische Dokumentarfilmer Sir David Attenborough sitzt dem Nutzer virtuell gegenüber und beschreibt beispielsweise die Details eines Wal- oder eines Dinosaurierskeletts. Und zwar so realistisch, als säße man live und in Farbe dabei. Auch von Google gibt es eine spannende VR-Lösung, die es ermöglicht, diverse Orte sowie eine besonders realistische Inszenierung von Räumen zu vermitteln: Mithilfe der Lightfield-Technologie lassen sich 360°-Panoramen mit Tiefe realisieren. Die Anwendung findet man im Steam-Store unter dem Namen „Welcome to Lightfields“.
Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wie sieht das Stadtmarketing in 20 Jahren aus?
20 Jahre sind aufgrund der exponentiellen Entwicklung der Technologien ein enorm weit entfernter Zeitpunkt und sehr schwer einzuschätzen. Ich glaube, bereits in fünf Jahren hat sich im Vergleich zu heute viel verändert. Mobile Endgeräte werden aufgrund der rasanten Entwicklung der Grafikprozessoren eine Performance haben wie aktuelle Gaming PCs. Das Highspeed Internet bzw. mobiles Datennetz wird mit einer Geschwindigkeit von 5G oder schneller immense Datenmengen zur Verfügung stellen. Somit werden Technologien wie VR und AR im Bereich der Hard- als auch Software noch eindrucksvollere Erlebnisse ermöglichen. Und zwar auf kleinerem Raum bzw. in Standalone-Geräten, die man kabellos und überall nutzen kann.
Im Zusammenhang mit KI entstehen schon jetzt Anwendungen und Assistenten, die dank einer hervorragenden Sprach- und Gestensteuerung kaum mehr von einem Menschen zu unterscheiden sein werden.
Für das Stadt- und Tourismusmarketing haben diese Entwicklungen zur Folge, dass man sich vor der geplanten Reise eine Sehenswürdigkeit schon virtuell anschauen kann, um daraufhin die Planungen oder Buchungen durchzuführen. Zudem werden künftig sicherlich auch Umsätze mit Zielgruppen erzielt, die sich eine entsprechende Reise finanziell ggfl. nicht leisten können. Letztlich führt dies zu mehr Reichweite und Vertriebsmöglichkeiten für das Stadtmarketing.
Alexander El-Meligi Alexander El-Meligi ist Managing Partner & Creative Director bei Demodern – Digital Agency. Gleichzeitig leitet er den Hamburger Standort der Digitalagentur. Er studierte an der SAE Creative Media und arbeitete zunächst als Motion Designer und Entwickler in verschiedenen Agenturen wie BB&K und Jung von Matt für Kunden wie Porsche, Mercedes, O2 und Hugo Boss. Anschließend gründete er gemeinsam mit Kristian Kerkhoff die Digitalagentur Demodern mit starkem Fokus auf interaktive Erlebnisse.