Mittelstand:
Keine Angst vor der Digitalisierung, lieber Mittelstand!
Digitalisierung: Der Begriff schürt Erwartungen und Ängste, wird entweder mit Ablehnung oder Euphorie verwendet. Genauso gegensätzlich ist der Stand des digitalen Wandels im deutschen Mittelstand. Was er von dem Thema erwartet und warum sich einige Unternehmen leichter tun als andere.
„Digitalsierung ist das Beste, was uns passieren konnte und eine riesige Chance für die Wirtschaft", urteilte Marc Opelt, Vorsitzender des Bereichsvorstands Otto, als es darum ging, dass der Versandhändler seinen gedruckten Katalog einstellen wird. Otto wirft sich mit Verve in die Digitalisierung und erklärt zum Vorteil, was bei vielen anderen Unternehmen noch immer Skepsis hervorruft.
Der deutsche Mittelstand ist höchst heterogen, entsprechend ist auch der Stand der Digitalisierung sehr unterschiedlich – auf der einen Seite gibt es sehr wandlungsfähige Unternehmen, die bereits sehr viele Prozesse umgestellt haben, auf der anderen Seite solche, bei denen das Bestandsgeschäft aus der prä-digitalen Phase noch so gut läuft, dass sie kaum Handlungsbedarf sehen.
„Diese Schere gibt es“, bestätigt Nikolay Kolev. Er ist Teil des Deloitte Consulting Management Teams, Lead Partner für Digitale Transformation und Managing Director von Deloitte Digital. „Es gibt sie aus einem einfachen Grund: Die digitale Transformation ist ein vielschichtiger und dynamischer Prozess. Er betrifft das gesamte Unternehmen. Man muss die Herausforderung des digitalen Wandels auf verschiedenen Ebenen betrachten, wenn man ihn kontrolliert vollziehen möchte.“
Die einen würden schon wollen, können aber nicht. Gerade auf dem flachen Land ist die Inftrastruktur noch immer noch gut genug. Der Ausbau leistungsfähiger Breitband-Netze wäre aber dafür essentiell. „Bei vielen Unternehmen in ländlichen Regionen wächst die Unruhe über Deutschlands Rückstand in der digitalen Infastruktur. Rund 20 000 Gewerbegebiete sind noch nicht ans Glasfasernetz angeschlossen“, sagt Eric Schweitzer, Präsident des Deutschen Industrie und Handelskammertags. Er nennt die fehlenden Glasfaseranschlüsse ein „Innovationshemmnis allerersten Ranges“. Mittelständler, die ihre Geschäftsprozesse digitalisieren wollen, stoßen da an ihre Grenzen.
Vertriebsauswertungen mit Excel
Andere könnten vielleicht, spüren den Digitalisierungsdruck aber noch nicht so stark. Ein großer Pharmahersteller etwa macht seine Vertriebs-Auswertungen noch immer mit Excel. Da werden Daten aus dem einen System in das andere exportiert, analysiert und dann wieder weiter kopiert. Das kostet Zeit und Nerven, obwohl längst schon hilfreiche Software-Lösungen am Markt sind, die das alles automatisch können und noch dazu anschauliche Visualisierungen liefern. „Wenn man sich ansieht, was heute eigentlich schon Standard ist und wo die Zukunft hingeht, stelle ich erschreckt fest, dass wir noch im Gestern sind“, sagt eine Mitarbeiterin.
Doch der Laden läuft gut genug, sodass eine Anpassung an das Heute ganz gemächlich ablaufen kann. Anders ist es bei Unternehmen, die in kleineren, spezialisierten Märkten präsent sind. Viele der Hidden Champions sind deshalb so erfolgreich, weil sie sich ständig anpassen müssen, um in einem Nischenmark zu überleben. Der Naturforscher Charles Darwin stellte fest, dass – anders als oft missverstanden – nicht die stärkste oder intelligenteste Spezies überlebe, sondern diejenige, die sich am ehesten dem Wandel anpassen kann. Ähnliches gilt für Unternehmen im Überlebenskampf der Digitalisierung.
Deshalb erringen Unternehmen ihre Weltmarktführung: Weil sie überdurchschnittlich innovativ und wandlungsfähig sind sowie in neue Technologien und Forschung investieren. Doch das geht nur, wenn die Spitze mitzieht. „Bei aller Digitalisierung bleibt daher der wesentliche Faktor immer noch der Mensch, sagt Lars O. Lüke bei Deloitte Digital zuständig für die Digitalisierung des Mittelstands und den Aufbau digitaler Geschäftsmodelle. „Und eine wichtige Rolle spielt hier das Top-Management. Es muss die Basis für ein gemeinsames Verständnis von Ambition, Ziel, Vorgehensweise und nicht zuletzt vom Wertbeitrag der digitalen Transformation schaffen. Der Vorstand und das Leadership-Team müssen aufgeschlossen sein.“
Sein Kollege Nikolay Kolev identifiziert zudem die mangelnde Risikobereitschaft als ein Hindernis auf der Reise zu einem digitalen Geschäftsmodell. Start-ups probieren schneller mal etwas aus, auch mit der Gefahr zu scheitern, wenn sich die Idee als nicht wirtschaftlich tragfähig herausgestellt hat. „Für den klassischen, etablierten Mittelstand ist das ein oft nicht hinnehmbares Risiko. Aber mit Blick auf die Hebelwirkung ihrer bestehenden Assets haben sie einen entscheidenden Vorteil. Diese beiden Welten miteinander zu verbinden und zusammenzubringen, setzt ungeahnte Potenziale und Kräfte frei.“ Außerdem haben sie kaum eine Wahl: Denn was digitalisiert werden kann, wird irgendwann von irgendjemandem digitalisiert.
Case: Osram
Ein Beispiel für den Wandel ist Osram, das zum zweiten Mal auch auf der Dmexco vertreten war– mit dem Produkt Osram Einstone Smart Retail. Das richtet sich an den stationären Handel und soll mit Hilfe von standortbezogenen Diensten über das Mobiltelefon helfen, die Brücke zwischen digitalen Angeboten und Offline-Einkaufserlebnis zu schlagen. „Stationäre Händler benötigen heute zukunftsfähige Technologien, um in der digitalisierten Welt von morgen konkurrenzfähig zu bleiben“, so Maren Brandt, Pressesprecherin für Beacons und Ortungsdienste bei Osram. Eine dieser Technologien kann eine Internet-of-Things-Plattform sein, die intelligente Leuchten mit Daten verknüpft und so beispielsweise zum Wegweiser werden lässt. Nicht geringeres als das “Windows der Lichtbranche” soll das werden, mit Apps und verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten. Doch Osram hat selbst bereits einige Stufen der Digitalisierung genommen: vom Lampenhersteller zum Halbleiter- und High-Tech-Konzern. Dazu hat vor gut einem Jahr das Lampengeschäft der Allgemeinbeleuchtung den Besitzer gewechselt. In Berlin steht inzwischen ein Osram-Werk, das sich als Vorreiter der Industrie 4.0 versteht. Die Produktion lief bereits weitgehend automatisiert, doch im zweiten Schritt ging es darum, die Effizienz zu erhöhen und flexibler zu werden. Die Maschinen sind jetzt seit rund zwei Jahren mit einer eigens entwickelten App verknüpft, die den Mitarbeitern ihre entsprechenden Arbeitsauftrag gibt. Mitarbeiter haben damit nicht mehr die eine Maschine, um die sie sich kümmern müssen, sondern sehen alle auf dem Smartphone, welche Aufgaben wo anstehen. In der App melden sie dann, wenn sie das entsprechende Problem lösen oder vielleicht noch einen Spezialisten zu Rate ziehen wollen.