Interview:
"Jede Region hat ihre eigenen Helden"
Regionalität ist ein Mega-Thema, findet Andreas Liehr von Huth & Wenzel. Im Interview erklärt er, worauf es im Marketing ankommt, um die Stärken von Regio richtig zu nutzen.
Herr Liehr, regionale Themen haben eine extrem große Strahlkraft. Dies gilt für regionale Produkte wie auch regionale Unternehmen. Wie erklären Sie sich diesen Trend?
Andreas Liehr: Gerade in einer stark globalisierten Welt erhält Regionalität eine immer stärker wachsende Bedeutung. Die komplexen Strukturen von heute sorgen dafür, dass sich die Menschen nach Transparenz sehnen. Regionalität liefert genau das und schafft Vertrauen, Sympathien und Orientierung. Dies gilt ganz besonders für die Produkte der Lebensmittel-Industrie. Hinzu kommt ein wachsendes Misstrauen gegenüber Lebensmittelkennzeichnungen, unter anderem auch verursacht durch diverse Skandale der letzten Jahre. Das geflügelte Sprichwort „Regional ist das neue Bio“ trifft diesen Trend auf den Punkt. Denn „Bio“ steht mittlerweile auf fast jeder zweiten Verpackung. Stammt aber der Apfel, den sich ein Konsument kauft, aus der eigenen Region, ist er sogar bereit, mehr dafür auszugeben. Studien belegen, dass 63 Prozent deutscher Verbraucher Wert auf regionale Produkte legen. Und sie investieren immer mehr in eine nachhaltige Ernährung. Das Vertrauen gegenüber heimischen Produkten und die damit einhergehende Transparenz bedienen klar die Kundenbedürfnisse unserer Zeit.
Ähnliches gilt für Unternehmen: Vertrauen ist essenziell, wenn es um die Identifikation von Menschen mit einer Marke geht. Kommt ein Unternehmen aus meiner Region, schenke ihm schneller und stärker Vertrauen als einem Unternehmen am anderen Ende der Welt.
Welche Vorteile sehen Sie ganz allgemein im Marketing für regionale Marken und Produkte?
Regionale Produkte haben rational gesehen zum Beispiel den Vorteil, dass der CO2-Footprint wesentlich geringer ist. Kommt die Kartoffel auf meinem Teller vom Feld „um die Ecke“, fällt natürlich weniger logistischer Aufwand an, ergo weniger CO2-Ausstoß.
Aus Marketing-Sicht besonders interessant ist aber der emotionale Vorteil für Marken aus der Region: Die Identifikation mit einer Brand fällt dem Verbraucher vor allem dann leicht, wenn sie seine Einstellungen teilt, er mit ihr Erinnerungen verbindet, sie die Lieblingsmannschaft unterstützt und im Stadtbild präsent ist. Dabei ist jede Region anders und genau das ist gleichzeitig die Stärke, die sich regionale Kommunikation zunutze machen kann. Deshalb funktionieren Dialekte und Mundart in der regionalen Kommunikation so gut. Botschaften wie „In Frankfurt sagt man Gude“ kommen gleich viel besser an, als „Frankfurt sagt Hallo“. Zeigt sich ein Unternehmen als ‚jemand von uns und von hier’, fühlen Konsumenten sich ihm nahe und schenken ihm mehr Vertrauen.
Jede Region hat ihre Eigenarten. Wie kann man Region und Marke authentisch verbinden?
Andreas Liehr: Zunächst einmal ist es wichtig, die Gewohnheiten und Einstellungen der Menschen aus der Region zu kennen, auch ihre Sprache, den Dialekt und die Mundart. Aber es geht noch darüber hinaus: Die Besonderheiten einer Region können beispielsweise in Motiven dargestellt werden. Dabei ist es gleich, ob es sich um Sehenswürdigkeiten – wie den Eisernen Steg in Frankfurt – handelt oder etwa die bekannteste Trinkhalle der Stadt, solange die Menschen der Region einen emotionalen Bezug zum Motiv haben.
Agenturen und Unternehmen, die regionales Marketing betreiben, sollten zwingend ein Verständnis für die Region mitbringen. Das ist die Grundvoraussetzung, um Kreationen zu entwickeln, die wirklich das Herz der Menschen treffen. Viele unserer Mitarbeiter kommen zum Beispiel aus Rhein-Main. Sie haben ein genaues Verständnis für die Region und ein gutes Händchen für die Themen, die die Leute vor Ort interessieren.
Je nach Aufgabenstellung und Zielgruppe gilt es außerdem, alle Maßnahmen und Touchpoints immer individuell zu betrachten, um Region und Marke authentisch zu verbinden. Auch das Targeting sollte spezifisch zugeschnitten sein. Digital funktioniert das beispielsweise mit Display Ads oder Facebook Ads sehr gut. Auch Kino, Funk und Out-of-Home sind dabei geeignete Kanäle. Sind diese Maßnahmen auf die Touchpoints der speziellen Zielgruppe und an die Region angepasst, sorgen sie für die ideale Ausspielung der Botschaft.
Sie haben gerade für Ihren Kunden RMV (Rhein-Main-Verkehrsverbund) einen Spot exklusiv für das Eintracht-Stadion konzipiert. Inwiefern hat es Ihnen die Arbeit erleichtert, dass Sie selbst Frankfurter oder sogar Eintracht-Fans sind? Was außer der regionalen Ausstrahlung macht den Spot regional?
Wie Eintracht-Fans ticken, muss uns keiner erklären, das ist bei uns Einstellungskriterium (lacht). Wenn es auch Ausnahmen geben mag. Ich selbst bin seit 15 Jahren Besitzer einer Dauerkarte. Die Verbundenheit zur Eintracht ist also sehr hoch. Das hat die Arbeit am RMV-Spot natürlich enorm erleichtert. Neben der regionalen Ausstrahlung im Fußball-Stadion sind die Darsteller ausnahmslos alles echte Fans. Und auch die Schauplätze sind Frankfurter-Originale wie der Zoo, das Naxos Areal oder eine Kneipe in Sachsenhausen, in der Attila, das Eintracht-Maskottchen, an der Wand verewigt wurde. Die regionale Verwurzelung ist auch für den RMV ein essenzieller Teil des Markenkerns. Und auf diesen starken Faktor gehen wir in ihrer Kommunikation gezielt ein.
Übrigens eignen sich Sportthemen ganz allgemein hervorragend für regionales Marketing. Auch Testimonials und Influencer funktionieren gut. Denn jede Region hat ihre eigenen Helden. Sie verkörpern die Region und ihre Besonderheiten. Die Emotionen, die Konsumenten mit ihnen verbinden, sind besonders stark.
Lohnt es sich auch für nationale Marken, regionale Werbung zu betreiben? Warum?
Regionalität ist ein Mega-Thema, auch für national und teilweise sogar international agierende Brands. Trotzdem lohnt es sich nicht für alle, in regionale Werbung zu investieren. Es wäre komisch, wenn Nike demnächst auf seine Werbung „Gude“ schreiben oder Nestlé eine „Made in Hessen“-Kampagne launchen würde. Hier fehlt komplett die Glaubwürdigkeit. Konsumenten spricht das nicht an, solange kein glaubwürdiger regionaler Bezug existiert. Diese Brücke haben etwa die BVG und Adidas mit ihrem BVG-Schuh gelungen geschlagen. Authentizität und Glaubwürdigkeit sind für regionale Kommunikation das A und O.
Andreas Liehr ist seit 2010 zusammen mit Huth + Wenzel Gründer Heinz Huth für die Geschäftsführung der Frankfurter Agentur verantwortlich.