Marktforschung am PoS:
Virtuelle Läden: "Sieht echt aus – ist aber noch lange nicht real"
Vom Display bis zu ganzen Supermärkten – virtuelle Läden revolutionieren die PoS-Forschung. Stephan Telschow, Corporate Director bei der GIM, erklärt, welche Vorteile das bringt und wann welche Technologie sinnvoll ist.
Die Erforschung des Einkaufsverhaltens der Konsumenten findet nicht nur am realen Point of Sale, sondern immer öfter in virtuell geschaffenen Läden beziehungsweise Shoppingsituationen statt. Die Einblicke, die dabei gewonnen werden, gehen zum Teil tiefer als die Erkenntnisse, die die Forschung im physischen Store liefert. Die Technik reicht von einfachen Visualisierungen bis zum Einsatz von VR-Brillen. W&V sprach mit Stephan Telschow, Corporate Director und Member of the Management Board bei der GIM Gesellschaft für innovative Marktforschung, über die verschiedenen Möglichkeiten und jeweiligen Vorteile der Marktforschung am virtuellen PoS.
Herr Telschow, früher haben Sie die Probanden für die Shopper-Forschung noch durch echte Läden geschickt …
Das machen wir immer noch gerne. Es spielt weiterhin eine sehr große Rolle, zu verstehen, wie Menschen sich in einer physischen Einkaufslandschaft bewegen, verhalten und entscheiden. Da ist es eigentlich auch noch relativer Standard, mit den Leuten in reale Läden zu gehen.
Und wann kommen virtuelle Settings des Point of Sale ins Spiel?
Wenn tatsächlich etwas verändert werden soll, sei es das Layout, das Shopdesign, das Packaging, seien es neue Produkte und Marken, die ins Regal eingeführt werden sollen, dann ist es immer eine Herausforderung, wie man das in der Forschung sinnvoll darstellen kann. Mal eben ein ganzes Regal umbauen oder ein vollkommen neues Display hinstellen, das lässt sich nur sehr schwer mit Testmärkten umsetzen.
Wie sieht so ein virtuelles Setting aus?
Es gibt unterschiedliche Ansätze, die sich vor allem im Hinblick auf die Kosten sehr stark unterscheiden. Angefangen bei der einfachen, günstigeren Variante wie Visualisierungen, die beispielsweise auch am Laptop nachvollziehbar sind. Was auf sowas hinausläuft, was man von Google Street View kennt, wo man sich entweder durch eine photorealistische oder durch eine künstlich nachgebaute Umgebung mit der Maus durchklicken kann. Das hat den Vorteil, dass ich das relativ unkompliziert in eine Onlinebefragung integrieren kann, die die Befragten zuhause am Tablet oder am Laptop durchlaufen lassen können. Wir arbeiten hier mittlerweile mit 3D-Kameras. Da läuft man abends einmal durch den Supermarkt und fotografiert den ab, dann hat man das Setting, wie es einmal ist.
Und am anderen Ende der Skala?
Da stehen Tests, bei denen die Probanden VR-Brillen aufbekommen, mit denen sie sich durch eigens angelegte oder künstlich dargestellte Shops bewegen können und dabei entsprechende Einkaufsaufgaben erledigen. Das ist die High-End-Lösung, weil das natürlich auch relativ komplexe Visualisierungen erfordert, da der ganze Shop oder zumindest die entsprechende Abteilung nachgebaut werden muss. Dabei ist auch eine größere visuelle Präzision notwendig, weil die Leute ein entsprechendes Raumgefühl haben wollen, sich auch mal an die Produkte ranzoomen und diese – anders als bei den einfacheren 360-Grad-Lösungen – virtuell aus dem Regal nehmen wollen.
Das klingt sehr aufwändig und teuer …
Der Kostenaufwand für die Visualisierung ist nicht unwesentlich. Wenn ich als kleiner Käseproduzent testen will, wie ein alternatives Packungslayout aussieht und wirkt, dann werde ich nicht eine ganze Käsetheke virtuell nachbauen lassen. Denn das bedeutet einen richtig großen Aufwand: Da muss jedes einzelne Produkt angefasst werden, Sie müssen das einscannen, Sie müssen das aktuelle Layout irgendwo herbekommen, Sie müssen die entsprechenden Abmaße von den Verpackungen irgendwo herbekommen, Sie müssen das irgendwo in ein Regal einbauen.
Wenn man diesen Aufwand auf einen ganzen Supermarkt hochskaliert?
Dann bin ich mit 30.000 Artikeln, die alle mit Vorder- und Rückseite, den richtigen Abmaßen, der richtigen Farbigkeit und Textur abgebildet werden müssen, schnell in einem wirklich hohen Investitionsbereich. Das macht eigentlich nur Sinn, wenn Sie eine entsprechende Umgebung schon mal aufgebaut haben beziehungsweise diese dann häufiger wiederverwenden können.
Virtuelle Shopping-Umgebung ist nie so authentisch wie die Realität
Was ist aus Ihrer Sicht besser für die PoS-Forschung geeignet: reale Einkaufssituation oder virtuelles Setting?
Wenn ich die Option habe, reale Shopping-Umgebung versus virtuelle Umgebung, würde ich immer die reale vorziehen. So authentisch die VR-Situation erscheinen mag, sie ist halt vom Setting nicht authentisch. Ich komme nicht gehetzt aus dem Büro, ich habe kein schreiendes Kind im Einkaufswagen sitzen und ich gebe nicht reales Geld aus oder gehe mit einem hungrigen Magen einkaufen. Sondern ich bin immer in dieser künstlichen Umgebung.
Die noch dazu mehr oder weniger eine Momentaufnahme ist …
Ja, das ist ein weiteres Problem bei den virtual Stores: Man muss die auch immer irgendwie aktuell halten. Wenn ich irgendwo eine Aktion habe, weiß ich, die beeinflusst das Kaufverhalten relativ stark. Wenn ich das virtuell nicht einpflege, dann habe ich ein Problem. Von daher ist es schon tricky, das alles so aktuell zu halten, dass es so aussieht wie im realen Store.
Welche Vorteile bringt es denn überhaupt, jemanden durch einen virtuellen Laden zu schicken?
Wie gesagt, in einen realen Store zu Testzwecken hineinzukommen ist für Markenartikler unheimlich schwer. Sie müssen immer einen Handelspartner finden, der sagt, ja, finde ich gut, machen wir im Rahmen von einem Category-Management-Projekt. Und es ist halt unglaublich aufwendig, teilweise unmöglich, einfach ein völlig neues Regal-Layout zu testen. Das können Sie in einem realen Store nicht machen, weil Ihnen kein Händler erlaubt, mal eben das Käseregal neu zu sortieren. Da ist ein virtueller Shop schon die einfachere, wenn auch mit höheren Anfangsinvestitionen verbundene Lösung.
Wie sieht es denn mit dem Datenschutz aus? Das kann am realen PoS doch auch ein heikles Thema sein …
Natürlich, klar. Bei Tests mit realen Shoppern müssen diese immer gefragt werden, ob sie bereit sind, sich an einer Marktforschung zu beteiligen. Es gibt zwar mittlerweile auch passive Beobachtungsmethoden in realen Stores, zum Beispiel dass die WiFi-Informationen von Handys ausgelesen werden oder dass Gesichtserkennung mit Sensoren gemacht wird. Das ist datenschutzrechtlich alles machbar. Aber viele Händler sind dann doch vorsichtig geworden, weil hier auch eine ethische Komponente mit hineinfließt und eben die Frage, will ich, dass meine Kunden irgendwie ein komisches Gefühl dabei bekommen.
"Im virtuellen Store lässt sich auch die Suchhistorie bis zum Kauf nachvollziehen"
Diese Probleme haben Sie im virtuellen Shop nicht …
Nein, die hat man nicht. Wenn man die Mercedes-Variante von einem virtuellen Store hat, dann kann man dort alles machen: Die Zeit messen, bis jemand sein Produkt gefunden hat. Unterschiedliche Preise testen und schauen, welche Warenkörbe kommen am Ende des Tages zustande. Den Leuten Einkaufsaufgaben geben und gucken, welche Marken, welche Produkte im Entscheidungsbaum eine Rolle spielen und so weiter. All das, was hier an Beobachtung möglich ist, ist im physischen Store nach wie vor extrem schwer nachzuvollziehen, wie etwa die "Suchhistorie", bevor jemand sich für die eine Bohrmaschine entschieden hat. Und dadurch, dass ich das Verhalten der Probanden mehr oder weniger gut sofort registrieren kann, kann ich bei der Untersuchung sehr analytisch vorgehen.
Glauben Sie, dass der Einsatz von VR-Brillen hier noch zunehmen wird?
Für bestimmte Zwecke, etwa wenn ich testen will, wie eine neue Form von Beschilderung oder eine neue Möblierung wirkt, also wenn ich eine relativ überschaubare Anzahl von Komponenten habe, die ich in einer virtuellen Umgebung darstellen und ändern muss, dann ist die Arbeit mit VR-Brillen heute schon eine relativ sinnvolle Sache. Wenn es wirklich um Kaufentscheidungen in Kategorien geht, wo ich auf die Produktebene runter muss, da brauchen wir wahrscheinlich noch ein paar Jahre.
Von welchem Zeithorizont sprechen wir da?
Die Vermutung ist, dass wir in vier, fünf Jahren aufgrund der Online-Shops ohnehin sämtliche Produkte digitalisiert haben. Dann wird es relativ unkompliziert sein, so einen virtuellen Shop nachzubauen. Aber noch ist es mit viel händischer Arbeit verbunden, und das macht es im Moment noch ein bisschen zu einer Barriere.