Digitalisierung light: Bestmögliche Unterstützung für Online-Handelspartner

Doch schon die Digitalisierung light ist Herausforderung genug. Das fängt schon in der Kommunikation mit Online-Pure-Playern wie Zalando oder Aboutyou an. Diese sprechen in Teilen eine ganz andere Sprache, haben in der Regel andere Beschaffungszyklen und fordern zusätzlich andere Einkaufskonditionen als vom klassischen Handel gewohnt. Prinzipiell können sich Hersteller, die ihre Handelspartner im Web besser unterstützen wollen, am klassischen Conversion-Trichter im E-Commerce orientieren: Kunden müssen eingesammelt werden, sie wollen sich informieren und sollen anschließend auf den Online-Bestell-Button klicken. An allen drei Stationen müssen Markenhersteller Präsenz zeigen.

Die wichtigste Voraussetzung, um Online-Kunden zu gewinnen, sind gut strukturierte Produktdaten, die deutlich mehr Attribute und Medien enthalten als im stationären Handel üblich. Diese Daten sind notwendig, damit Nutzer Produkte über klassische Reichweitenbringer wie die Google-Produktsuche, Preisvergleichsportale aber auch Marktplätze wie Amazon oder eBay überhaupt finden. Online-Händler brauchen diese Daten aber auch, um Kunden im Shop über ausgefeilte Filterfunktionen zu genau den Produkten zu führen, die ihren individuellen Bedürfnissen entsprechen oder einen Produktberater anzubieten. Auch wirken sich bessere Produktdaten immer auch auf die Retourenquote aus – der Königsweg im Hinblick auf die Kostensenkung.

Sind die Kunden auf diese Weise zu einem relevanten Produkt geführt worden, müssen Hersteller die Kundeninformation unterstützen, sei es durch ausführliche Produktinformationen oder durch eine ausreichende Anzahl an qualitativ hochwertigem Bild- und Videomaterial. Das Dilemma dabei: Zwar liegen Bilder und Informationen beim Hersteller oft schon vor - beispielsweise durch die Katalogproduktion. In der Regel verfügen die Unternehmen aber über keine Organisation, keinen einheitlichen Artikelpflege-Publishing-Prozess und kein System, um Artikeldaten strukturiert zu erfassen und freizugeben, sondern stellen ihren Handelspartnern oft maximal eine EAN-Nummer bereit.

Der Online-Marken-Auftritt wird zum Flagship-Store

Auch auf der eigenen Marken-Website muss das Thema Kundenberatung von Herstellern in der Regel völlig neu aufgesetzt werden. Die Zeiten, in denen eine statische Homepage mit ein paar Zeilen zum Unternehmen ausreichten, sind lange vorbei. Kunden erwarten einen Shop oder Showroom, in dem alle Produkte nicht nur emotional aufgeladen präsentiert, sondern auch so ausführlich und anschaulich erklärt werden, dass sich Kunden in ihrer Kaufentscheidung optimal unterstützt fühlen. Ein gutes Beispiel dafür ist der Online-Auftritt des Dübelherstellers Fischer. Dieser verkauft seine Dübel zwar nicht selbst, sondern leitet an prominenter Stelle an passende Online-Fachhändler weiter. Doch werden interessierte Kunden auf der eigenen Websites über intelligente Tools wie den Dübelfinder so beraten, dass diese ihre Kaufentscheidung gut informiert treffen können. Denn letzten Endes ist es dem Hersteller fast egal, wo der Kunde seinen Dübel kauft, solange es ein Dübel von Fischer ist.

Die nächste Ausbaustufe bei der Unterstützung von Online-Vertriebspartnern ist die Integration von Streckengeschäft. Damit bieten Hersteller Händlern die Möglichkeit, ihr Sortiment im Webshop auszubauen, ohne die ganze Ware des Herstellers selbst im Lager führen und dafür entsprechend Kapital binden zu müssen. Stattdessen versendet der Hersteller die Produkte, sobald eine entsprechende Bestellung im Webshop eingeht.

In diesem Szenario empfiehlt es sich, schon im Vorfeld die Anforderungen der Händler einzusammeln und diverse Details zu klären: Wie und an wen erfolgt die Abrechnung, wer wickelt die Retouren ab, wer übernimmt den Customer Care? Damit die Prozesskette beim Dropshopping reibungslos funktioniert, müssen Hersteller emotional bereit und technisch dazu in der Lage sein, ihre ERP-Systeme zu öffnen und die entsprechenden Risiken zu klären. Denn die Handelspartner müssen in Echtzeit Bestände, Preise, Aufträge sowie Versand- und Retourenmeldungen abrufen können. Wie die Praxis nur allzu häufig zeigt, ist dies aber keine Selbstverständlichkeit. Viele Warenwirtschaftssysteme stammen noch aus den 1970er Jahren und bieten keinerlei Anbindungsmöglichkeiten für die Händler. Mit Glück lassen sich per EDI Daten austauschen, eine API für Echtzeitbestände oder eine Standard-API für den Austausch von Artikeldaten sucht man jedoch in vielen Systemlandschaften vergeblich.

Hinzu kommt, dass Hersteller ihre Produkte gelernt auf Paletten verschicken, nicht aber in endkundenfreundlichen Mengen und Verpackungen. Gerade der Versand und gegebenenfalls auch die Retourenabwicklung für Einzelpakete sind oft die kritischen Erfolgsfaktoren bei der Einführung eines Dropshipment-Ansatzes. Hier gilt es, pragmatische und effiziente Lösungen zu finden.

Online-Direktvertrieb: Der Endkunde, das unbekannte Wesen

Hersteller, die den Schritt in Richtung Direktvertrieb an den Kunden wagen, haben einen großen Vorteil: Sie erhalten wesentlich tiefere Insights über ihre Kunden und deren Interessen. Doch der Weg dorthin ist steinig. Denn in der Regel ist der Endkunde für Hersteller ein völlig unbekanntes Wesen, das ein komplett anderes Einkaufsverhalten an den Tag legt, als Hersteller von ihren Händlern gewöhnt sind. So kaufen Endkunden beispielsweise Einzelprodukte statt Paletten, sie wollen ihre Bedürfnisse in Echtzeit erfüllt haben, sie denken nicht in Saisonen und sie retournieren Produkte und erwarten eine Beratungshotline, die idealerweise länger als zu Büro-Öffnungszeiten besetzt ist.

Spätestens bei der Entscheidung für einen eigenen Online-Shop wird die Einführung eines Product Information Systems (PIM), in dem alle Produktinformationen auf einer Plattform konsolidiert werden, unerlässlich. Parallel müssen Hersteller genau definieren, welche Daten schon vorliegen und welche noch erfasst werden müssen, um Produkte individualisiert nach Vertriebskanal und Händler optimal auszusteuern. Auch die Frage, welche Daten an die Händler weitergegeben werden, muss im Vorfeld geklärt werden. Darüber hinaus muss eine entsprechende Organisationsstruktur zur Erfassung und Pflege dieser Daten geschaffen werden. Die Erfahrung zeigt: Da Product Information Management mit den damit verbundenen Erstellungs- und Freigabeprozessen für Hersteller ein komplett neues Thema ist, unterschätzen die Unternehmen häufig den Aufwand und planen mit unrealistischen Ressourcen oder schlichtweg den falschen Systemen. Die Folge sind frustrierte Mitarbeiter und weiterhin schlecht gepflegte Daten.

Neben dem PIM erfordert ein eigener Online-Shop auch an anderen Stellen eine Aufrüstung der IT: Exemplarisch genannt seien die Erweiterung des ERP oder die Einführung einer neuen Middleware-Lösung, eine CRM- und Ticketing-Lösung für den Kunden-Support, verbunden mit der Integration in die Telefonanlage, Lösungen für Payment und Retourenabwicklung, Software zur Kundennutzungsanalyse wie beispielsweise Google Analytics oder eine Business-Intelligence-Software sowie Recommendation Engines und Newsletter-Tools für das Online-Marketing. Für alle diese Systeme gilt jedoch: mit der Einführung ist es nicht getan. Daten wollen gepflegt und neue Prozesse auch gelebt werden.

B2C-Logistik wird in ihrer Komplexität unterschätzt

Auch die Umstellung der Logistik auf das B2C-Geschäft ist ein großer Knackpunkt. Viele Unternehmen unterschätzen die Komplexität, die es mit sich bringt, wenn man Paletten - bildlich gesprochen - aufreißen und die Ware darauf als Einzelstücke verkaufen will. Das fängt mit der Wahl des Paketdienstleisters, der Label-Software für den Carrier und der Integration der Sendungsverfolgung an und hört mit der Einrichtung optimaler Prozesse auf.

Damit das Projekt "Digitalisierung und Öffnung für den Handel" gelingt, muss im ganzen Unternehmen ein Paradigmenwechsel stattfinden, der von der obersten Führungsetage unterstützt wird. Marketing und Vertrieb müssen gemeinsam mit der IT völlig neue Prozesse definieren und die Organisation entsprechend umstellen. Erst im nächsten Schritt sollten Hersteller daran gehen, die passenden Systeme zu finden. Denn dass man mit Systemen Prozesse löst, ist ein leider weit verbreiteter Irrglaube.

Der Autor: Martin Himmel studierte Wirtschaftsinformatik, war CTO beim E-Commerce-Spezialisten E-Fulfilment Transaction Services und ist Mitgründer und Geschäftsführender Gesellschafter des Münchner System- und Prozess-Beratungshauses Ecom Consulting. 


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Autor: W&V Redaktion

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