Hat sich die Dmexco bei Ihnen gemeldet? Welche Reaktionen gab es von den adressierten Agenturen, Digitalverbänden und Vermarktern?

Wir haben tatsächlich extrem viele zustimmende Zuschriften erhalten. Da waren alle vertreten: Agenturen, Vermarkter und Kunden. Was mich besonders freut: Ein großer Anteil kam aus dem digitalen Lager. Es gibt also durchaus selbstkritische Stimmen.

Von der Dmexco, den ganz großen Agenturplayern und Vermarktungshäusern oder Verbänden haben wir hingegen erstaunlich wenig gehört. Ich habe eine Ahnung, was die Beweggründe hierfür sein können. Aber letztlich müssen Sie diejenigen selber fragen. Wer sich dünnhäutig ob der klaren Wortwahl zurückzieht, hat den Text nicht verstanden oder augenscheinlich wenig gute Argumente.

Nochmal: Natürlich muss man differenzieren und natürlich gibt es auch digitale Ansätze, die Sinn ergeben und funktionieren. Ich reklamiere aber den sehr häufig pauschalisierten Umgang mit dem Thema. Dies sollte mein Brief auch aufdecken. Häufig erleben wir Beratung von der Stange. Nur weil Kunde XY mit vielleicht teilweise völlig anderen Rahmenbedingungen gute Erfahrungen mit Bannern gemacht hat, muss das für uns nicht gelten. Das ist aber ein Beratungsmuster, welches wir sehr häufig erleben.

Was war eigentlich der Auslöser für Ihren Text?

Wir verlieren uns in kleinteiligen, technischen Diskussionen und als Marketer den Blick für das Wesentliche: gute Produkte mit guten Ideen, Kreationen und Mediaplänen zu bewerben. Hierfür möchte ich Werbung machen.

Ich glaube, dass die digitale Entwicklung eine Menge neuer Chancen und Möglichkeiten bietet. Das Medianutzungsverhalten hat sich in den letzten zehn Jahren drastisch verändert. Denken Sie nur mal an die WM im eigenen Land zurück. Für viele noch sehr präsent. Es gab weder nennenswertes mobiles Internet noch gab es Social Media, so wie wir es heute kennen. Wir reden also gerade mal von einer Spanne von zehn Jahren, in der viele Reifeprozesse noch nicht abgeschlossen sind oder sogar noch gar nicht begonnen haben.

Es ist vor allem die Digitalbranche selber, die sich bereinigen muss und die ich in die Pflicht nehmen möchte. Jetzt sind die Guten gefragt – und die gibt es durchaus –, endlich für Ordnung zu sorgen. Die Selbstreinigungskräfte des Marktes werden durch die hohe Zahl an Fehlinvestments an vielen Stellen ausgehebelt. Der Tag wird kommen, an dem sich das ändern wird. Bis dahin können wir als einzelner Werbungtreibender nur bedingt eingreifen. Die größte Abstrafung, die wir vornehmen können, ist unser Budget anderweitig zu allokieren. Nicht aus Trotz, sondern weil uns die Performance derzeit nicht zufriedenstellt. Solange das nicht Schule macht, müssen wir wohl Geduld haben. Wir erleben beim Versuch, eine Lösung zu finden, oftmals das klassische Henne-Ei-Problem und ein gegenseitiges Zuschieben des schwarzen Peters. Ich wünsche mir von den Agenturen, dass sie sich nun herausgefordert fühlen zu beweisen, dass es auch anders geht.

In Ihrem Beitrag loben Sie die Arbeit der OWM. Diese wird wie stets im Vorfeld der Dmexco ihre Forderungen nach mehr Transparenz, Vergleichbarkeit und Qualität bekräftigen. Wie stehen Sie zu diesen Forderungen? Und was bringt das jährliche Mantra?

Gremienarbeit ist wichtig und notwendig. Sie ist aber auch kompliziert und teilweise zäh. Das liegt leider in der Natur der Sache und an den unterschiedlichen Interessenlagen. Erfolge kann die OWM genügend vorweisen. Was digital betrifft: Man kann natürlich die Grundsatzfrage stellen, wenn jedes Jahr die gleichen oder ähnlichen Themen reklamiert werden, sich aber in der Praxis wenig tut. Ich hielte es aber für falsch, nicht Jahr für Jahr den Finger in die Wunde zu legen. Letztlich ist jeder einzelne Werbungtreibende auch selbst in der Verantwortung, Veränderungen einzufordern. Wenn also Jahr für Jahr zum Beispiel die Qualität bei der Sichtbarkeit von Bannern bemängelt wird, alle aber weiterhin fröhlich einbuchen, ist wohl kaum die OWM daran schuld.

In Ihrem Artikel gewähren Sie Einblicke in die Mediastrategie von Müller Milch. Wie hoch ist denn nun der Digitalshare? Und wenn Sie nicht an Influencer glauben: Warum arbeiten Sie trotzdem mit Ihnen zusammen?

Bei aller Panikmache, die tradierten Mediakanäle würden nicht mehr funktionieren, bestehen derzeit noch keine großen Probleme, Kampagnen über klassische Kanäle mit ausreichender Awareness auszustatten. Als Awareness-Treiber ist Digital mit Blick auf die zur Verfügung stehenden Flächen, die unzureichende Qualität und die Fülle an Reaktanzen, die sich in der hohen und weiter steigenden Zahl an Ad Blockern bemerkbar macht, nur sehr bedingt geeignet. Bannerkampagnen und Bewegtbildkampagnen verfolgen aber in vielen Fällen genau diese Zielsetzung.

Bei unseren Zielsetzungen dominiert im Moment noch sehr häufig TV und ich glaube, dass wir im Moment gut aufgestellt sind. Was uns aber umtreibt, ist die Frage: Wie sieht der richtige Media-Mix im Jahr 2020 aus? Derzeit würde ich keine Wette darauf abschließen, dass der Mix weiterhin derart TV dominiert ist. TV wird auch zukünftig eine bedeutende Rolle einnehmen, doch Zweitmedien werden immer bedeutender um nachhaltig Wirkung zu erzielen. Ob digitale Medien dem gerecht werden, wird sich zeigen. Aus heutiger Sicht glauben wir, sind wir noch nicht soweit. Wir müssen in erster Linie Ruhe bewahren und bei digitalen Ansätzen genau hinschauen. Digital ist für uns ein wichtiger Forschungsbaustein und wir sind näher am Puls der Zeit, als man uns vielleicht zutraut. Wir investieren pro Jahr im Rahmen von Testkampagnen etwa 1-3 Prozent des Mediabudgets. Das ist ausreichend, um Wirkungsmechanismen zu testen. Zurückhaltendes Spending lässt nicht auf eine mangelnde Offenheit dem Thema gegenüber schließen. Wir sind hier sehr weit. Natürlich bedarf es auch einer Lernkurve. Die Frage ist, wie teuer diese sein muss.

Sie geben selber zu, als Kunde mitunter schwierig zu sein. Wann sind Sie schwierig? Und wie stellen Sie sich die optimale Zusammenarbeit mit einer Agentur vor?  

Ich glaube sagen zu können, dass wir Inhouse über ein sehr hohes Maß an Mediaexpertise verfügen, was uns auf Augenhöhe mit unseren Agenturpartnern bringt. Uns wird manchmal eine sehr fordernde Einkaufsphilosophie nachgesagt, die ausschließlich auf den Preis abzielt. Das ist falsch. Für uns steht Qualität und Wirkung unserer Kampagnen an oberster Stelle. Wir suchen immer erst nach der planerisch besten Option. Ist diese gefunden, kaufen wir diese zum bestmöglichen Preis ein. Der Preis von Digitalkampagnen korreliert aber unserer Erfahrung nach nicht zwingend mit Qualität. Online wird oft als effizient dargestellt. Legen Sie Qualitätsbenchmarks an, ist die Effizienz Geschichte. Wir erleben immer häufiger einen Interessenkonflikt. Viele Kampagnen dürften dem Kunden gar nicht erst verkauft werden. Agenturen nehmen aber selbst immer häufiger die Rolle des Vermarkters ein, beziehungsweise sitzen im Hinblick auf die ganze Trading- und Programmatic-Thematik auf einem Berg von Inventar, welches verkauft werden will. Das kollidiert: Ich als Kunde möchte Beratung, bekomme aber immer öfter interessengetriebene Verkaufe. Dass das nicht immer deckungsgleich mit den Kundeninteressen sein muss, liegt auf der Hand und ist ebenfalls Gegenstand der öffentlichen Diskussion.

Ich erzähle Ihnen was: Wir haben bei einem Premium Vermarkter eine Kampagne umgesetzt. Aus Mediasicht war die Kampagne natürlich erfolgreich. Leider hört die Beurteilung von Kampagnen bei Agenturen oftmals bei der reinen Mediabetrachtung auf. Ein Fehler. Nach unseren Maßstäben – Sichtbarkeit, Zielgruppenerreichung, Visits, Verweildauer, um nur mal einige zu nennen – war die Kampagne alles andere als erfolgreich. Long Story short: Nach diversen unfruchtbaren Optimierungsrunden merkten Agentur und Vermarkter dann an, dass zu dem Preis keine Qualität zu erwarten sei. Interessant. Zum einen hätte ich mir diesen Hinweis vor der Buchung gewünscht. Zum anderen haben wir dann den Preis um 30 Prozent erhöht - mit dem Resultat, dass die Kampagnenperformance noch schlechter geworden ist. Ich nehme hier zwei Dinge mit: Agenturen und Publisher wissen oftmals nicht, was sie verkaufen, und Qualität hängt nicht zwingend am Preis.

Eine gute Agentur versteht mein Business und meine Zielsetzungen, antizipiert meine Problemstellungen und berät mich unabhängig in meinem Sinne.

Vijayanta Gupta, Head of Product and Industry Marketing bei Adobe, vertritt im Gespräch mit W&V die These, dass Unternehmen nicht unbedingt einen Digitalchef brauchen. Und wenn, dann nur kurzfristig. Was sagen Sie dazu?

In Punkto Nachhaltigkeit dieses Modells stimme ich Herrn Gupta durchaus zu. Die Gefahr ist groß, sich im digitalen Dschungel zu verirren. Digital ist kein Selbstzweck. Diese Erkenntnis kommt beim CDO-Modell manchmal zu kurz. Ein CDO muss meines Erachtens vor allem strategische Skills mitbringen und einen ganzheitlichen Blick für das Business entwickeln. Ich habe das Gefühl, dass heutige CDOs vor allem in ihrem Silo hochspezialisiert sind. Das ist für meine Begriffe zu wenig.

Wenn plötzlich alles mit der Brechstange auf Digital umgestellt wird, nur weil es technisch geht, wird über das Ziel hinausgeschossen. Da werden dann Abteilungen aus dem Boden gestampft und ab einem gewissen Punkt sorgen diese dann automatisch für ihren eigenen Bedarf. Und plötzlich werden tonnenweise Daten generiert. Ich würde challengen, wie wertvoll und businessrelevant das am Ende tatsächlich ist.

Viele Leser möchten mehr über Christian Meyer wissen. Wie ist Ihr Werdegang? Warum nun Müller Milch?

Nach meinem Studium der Wirtschaftswissenschaften mit Schwerpunkt International Management und Marketing hat es mich relativ schnell in die Mediawelt gezogen. Als gelernter Banker fehlte mir bei der Bank die kreative Komponente. Im Rahmen eines Praktikums bei der Kreativagentur Grey habe ich dann gemerkt, Zahlen können sehr hilfreich sein. Als Kompromiss habe ich mich dann für Media entschieden. Das ist jetzt fast auf den Tag genau neun Jahre her. In meinen gut fünf Jahren auf Agenturseite habe ich für zahlreiche namhafte Etats gearbeitet und war zuletzt Leiter eines hybriden Planungsteams, um auch mal ein Buzzword zu bemühen. Seit 2013 bin ich nun bei der Müller Media & Service AG für das Mediageschäft verantwortlich und seit Januar dieses Jahres zudem für die neu geschaffene Position des Head of Digital. Der Schritt auf Kundenseite war vor allem durch den Wunsch geprägt, noch näher ans Business zu rücken, aktiv mitzugestalten und Entscheider zu sein. Müller hat ein spannendes Markenportfolio und ist einer der großen deutschen Werbepioniere. Es gibt viele großartige Kreationen und Kampagnen, die auch heute noch in den Köpfen verankert sind.

Christian Meyer verantwortet als Senior Media Manager Europe und Head of Digital bei der Theo Müller Gruppe einen rund 100 Millionen Euro schweren Werbeetat. Motiviert durch die Resonanz auf seinen Beitrags zur Dmexco 2016 und auf vielfachen Wunsch wird er künftig in seinem neuen Blog Kommunikationsthemen aus seiner Perspektive beleuchten.


Autor: Frauke Schobelt

koordiniert und steuert als Newschefin der W&V den täglichen Newsdienst und schreibt selber über alles Mögliche in den Kanälen von W&V Online. Sie hat ein Faible für nationale und internationale Kampagnen, Markengeschichten, die "Kreation des Tages" und die Nordsee. Und für den Kaffeeautomaten. Seit 2000 im Verlag W&V.