Sichere Umfelder:
Was macht der Nagelack-Spot im AC/DC-Video?
Nagellack im Rocksong, Autowerbung im politischen Umfeld. Wie garantieren Vermarkter ein Umfeld, das „brand-safe“ ist?
Die Szene wiederholt sich nicht nur hierzulande jeden Tag viele Hunderttausend Mal: Teenager, Studenten, Berufstätige nach der Arbeit suchen auf Youtube nach einem fetzigen Rocksong, Guns n’ Roses, AC/DC, Foreigner, so etwas. Und was passiert? Bevor es losgeht, erst einmal 20, ja 30 Sekunden Nagellack-Werbung. Schön ruhig in softer Pink-Umgebung. Nicht gerade die ideale Vorbereitung auf harte Gitarren-Riffs. Ob der Werbungtreibende trotzdem von der Hochstimmung des Users profitiert? „Gut möglich“, meint Stefan Mölling, Sales Director Digital beim Springer-Vermarkter Media Impact. „Allerdings: Käme es auf unseren Seiten in so einem Fall zu extrem hohen Abbrüchen oder gar negativen Kommentaren zum Spot, würden wir dem Kunden wahrscheinlich zu einem deutlich kürzeren Video raten, oder dazu, das Umfeld erst einmal zu blocken.“ Schließlich gehe es darum, Marken zu fördern und nicht einer möglichen Beschädigung ­auszusetzen.
Das Risiko, davon betroffen zu werden, ist für Marken zuletzt erheblich gestiegen. Laut dem aktuellen „Media Quality Report“ des Technologie- und Verifizierungsdienstleisters Integral Ad Science setzten sich Unternehmen im zweiten Halbjahr 2017 um ein Viertel mehr der Gefahr aus, ihren Marken durch Internetwerbung Schaden zuzufügen, als noch in den sechs Monaten davor. In ­absoluten Zahlen: 8,8 Prozent betrug das ­Markenrisiko hierzulande im betrachteten Zeitraum. Was übertragen auf Werbeinvestitionen bedeutet, dass Unternehmen bei einem Budget von angenommen 50 Millionen Euro genau 4,4 Millionen Euro ungewollt dafür einsetzen, um ihre Marken zu gefährden. Wodurch? Das Interactive Advertising Bureau (IAB) stuft folgende Themenkategorien als grundsätzlich riskant ein: Erwachseneninhalte, Förderung illegaler Aktivitäten, kontroverse Themen, Urheberrechtsverletzung, Drogen/Alkohol/Betäubungsmittel, explizite Gewalt, verfälschte Messungen, Hate-Speech, Spyware/Malware, Politik/Religion, unmoderierte nutzergenerierte Inhalte.
Was ist dann aber noch wirklich „brand-safe“? Björn Radau, Marketingdirektor des Videovermarkters Teads, sieht etwa auch Pre-Rolls grundsätzlich vor dem Problem stehen, dass die nachfolgenden Videos inhaltlich bisher nicht analysiert werden können, die Unternehmen und ihre Agenturen also allein auf das Auslesen von Textinhalten angewiesen sind, die den Content beschreiben. „Pre-Roll-Videos sind für Brand-Safety blind“, sagt er. „Auch wenn Youtube etwas anderes behauptet und jetzt angeblich auch Bewegtbild analysieren kann.“
Dass dies eben aber immer noch nicht hundertprozentig funktioniert, bewies vor wenigen Wochen das nächste bekannt gewordene Malheur. Youtube-Videos, in denen behauptet wurde, dass HIV ungefährlich sei und nicht zu AIDS führe, liefen mit vorgeschalteter Werbung von Toyota und Mercedes-Benz.
Ähnliche Vorfälle ließen bereits Verizon, AT&T und andere US-Konzerne ihre Werbung auf Youtube stoppen.
Wie garantieren Vermarkter ein Umfeld, das „brand-safe“ ist? Bei Teads taxiert man das Markenrisiko auf weniger als ein Prozent – gewährleistet durch eine Kombination von Premium-Publishern, das zuverlässige Auffinden der Keywords aus Black- und Whitelists sowie die feste Integration des Werbevideos, die verhindert, dass mögliche Hetz-Kommentare auf der Seite erst lange nach dem Spot zu sehen sind.
Blacklists, die bestimmte Inhalte von Werbung ausschließen, sind bei Onlinewerbung schon seit einiger Zeit Standard. Inzwischen jedoch sogar so sehr, dass das Pendel manchmal in die andere Richtung ausschlägt. „Viele Kunden schließen zu viele Umfelder und Seiten aus oder stellen ihre Targetings beziehungsweise Frequency-Cappings zu strikt ein, sodass es dann nicht mehr mit dem Wunsch nach schnellem Reichweitenaufbau und hohem Werbedruck zusammenpasst“, berichtet Mölling.
Auch Oliver Hülse, Managing Director von Integral Ad Science für Zentral- und Osteuropa, spricht davon, dass es zur „Unterlieferung“ besonders bei sehr spitzen Zielgruppen kommen kann, wenn die Unternehmen zu viele Themen blocken bei gleichzeitig hoher Preissensibilität. Aber: „Wir sprechen hier von Echtzeit“, sagt Hülse. „Sind die Kriterien zu streng eingestellt, lässt sich das in Absprache mit dem Kunden auch sofort ändern.“ Was dafür zuallererst nötig ist: ein Brand-Safety-Budget, um Dienstleister wie IAS überhaupt darüber wachen lassen zu können, dass die Werbeziele auch wirklich erreicht werden. Spezialisten sind dabei nicht die einzigen, die das heiße Thema bearbeiten. Auch klassische Agenturen haben es als neues Geschäftsfeld entdeckt. Bei Group M verantwortet der Digitalexperte Joe Barone den Bereich Brand Safety Americas, in Deutschland hat die Frankfurter Mediaagentur UM die Vorreiterrolle übernommen. Sicher, „Qualität gibt es nicht umsonst“, meint Shirley Marschall. Aber wer darauf Wert lege, dass seine Werbegelder nicht verpuffen oder die Marke gar beschädigen, so die neu für Brand-Safety verantwortliche Head of Digital Strategy von UM, der komme spätestens jetzt um Brand-Safety-Maßnahmen nicht länger herum.