Corporate Media Responsibility:
Renate Künast: "Der Ton wird zunehmend rauer"
Grünen-Politikerin Renate Künast, 62, über das Unwesen hasserfüllter Trolle, die Rolle des Printjournalismus und die Idee einer Corporate Media Responsibility.
Frau Künast, lesen Sie regelmäßig Zeitungen und Zeitschriften?
Renate Künast Na klar! Ich habe die großen Tages- und Wochenzeitungen abonniert, außerdem einige Fachzeitschriften. Das ist quasi das Brot- und Buttergeschäft in meinem Arbeitsalltag. Im Bundestag haben wir außerdem das Privileg, jeden Morgen eine professionelle Presseauswertung aufgeteilt nach Themen zu erhalten. Und natürlich privat Öko- und Modezeitschriften.
Welche Onlinemedien nutzen Sie?
Renate Künast Wie bei den gedruckten Zeitungen und Zeitschriften. Und auf Twitter zeichnen sich politisch relevante Debatten frühzeitig ab. Ich finde es gut, dass JournalistInnen und PolitikerInnen hier zusammen mit Fachleuten in den direkten Austausch gehen können. Schwierig ist, dass auch hier nach Facebook und Youtube der Ton zunehmend rauer wird. Bei einigen Medien sehe ich, dass sie nicht genügend Kapazitäten haben, um Diskussionen zu ihren Onlineauftritten zu moderieren. Es ist ein echtes Problem, wenn auch hier menschenverachtende Kommentare Überhand nehmen oder deshalb ein Diskurs gar nicht stattfindet.
Klar ist jedenfalls: Eine Moderation oder Aktionen von #ichbinhier oder Reconquista Internet haben einen guten Einfluss auf das Debattenklima.
Sie selbst sind immer wieder Zielscheibe bösartiger Kommentare und berichten in Ihrem Buch „Hass ist keine Meinung“ über Begegnungen mit Zeitgenossen, die, verglichen mit ihren Onlinewortmeldungen, vergleichsweise verträglich sind. Wie lässt sich dieses Auseinanderklaffen von Echtwelt-Dasein und Online-Treiben erklären?
Renate Künast Ich beobachte unterschiedliche Entwicklungen. Zunächst gibt es tatsächlich Menschen, die abends am Computer ihren gesammelten Frust an Politikerinnen wie mich ablassen und im Schatten der Anonymität jeglichen Anstand verlieren. Versteckt hinter Deck- beziehungsweise Nutzernamen können sie sich einmal so richtig auslassen. Bei einem meiner Treffen kam raus, dass die Ehefrau davon nichts wusste und total empört war. Im echten Leben von Angesicht zu Angesicht ist die Hemmschwelle größer, einen Mitmenschen in dem Ausmaß zu beleidigen, wie es online auf Facebook und Co. Alltag geworden ist. Zum anderen sind die Online-Aktivisten gut und mittlerweile über Grenzen hinweg professionell organisiert. Hasskampagnen und gezielte Desinformation können leicht mit Hilfe missbräuchlich eingesetzter Social Bots eine verzerrte Wirklichkeit widerspiegeln, indem große Reichweiten und damit Relevanz suggeriert werden. Werden gezielte Kampagnen von den echten Medien aufgegriffen, werden die Onlinetrolle in ihrem Treiben sogar noch bestärkt und sehen ihre Methoden bestätigt.
Bedeuten Ihre Erfahrungen nicht: Was in weiten Teilen des Onlinegeschehens zu beobachten ist, stellt nichts anderes dar als ein Zerrbild der Wirklichkeit?
Renate Künast Auch ich werde immer stärker attackiert. Früher waren es nach einem größeren, öffentlichen Auftritt ein paar hundert Hasskommentare, heute sind es mehrere zehntausend. Sogar wenn ich mich zu Leihfahrrädern äußere, werde ich in den Kommentaren auf das Übelste beschimpft. Mittlerweile wissen wir aber auch: Es ist eine kleine Gruppe an organisierten Menschen, die für einen Großteil des Hasses im Netz verantwortlich sind. Es gibt wenige, aber dafür sehr laute und aggressive Hater. Ich habe eine Hasskampagne gegen mich ausgewertet, und siehe da: Die wenigen, lauten Verfasser von Hass im Internet sind größtenteils Sympathisanten der AfD und der Identitären Bewegung. Umso mehr freue ich mich, dass die Zahl der Menschen zunimmt, die sich aktiv dagegen zur Wehr setzen. Online Courage zeigen, sich in die Diskussion einmischen – das wirkt! An die großen Medien appelliere ich: Setzen auch Sie sich für eine gute Diskussionskultur unter Ihren Onlinebeiträgen ein – das wirkt!
Unabhängiger Journalismus sieht sich dem Vorwurf der „Lügenpresse“ ausgesetzt, haarsträubende Verschwörungstheorien geistern durch die Schmuddelecken des Internets. Ist dem mit Argumenten überhaupt beizukommen?
Renate Künast Nein, erstmal nicht, denn der Populismus bedient vor allem eins: Emotionen, und vor allem Angst. Es werden düstere Szenarien wie die „Flüchtlingswelle“ gezeichnet. Die Emotionen werden bewusst durch starke Bilder wie Naturkatastrophen angeheizt, dabei soll das Gefühl einer Ohnmacht gestärkt werden. In dieser gefühlten Ohnmacht können Verschwörungstheorien dann einfache Erklärungen liefern, und die Populisten können ihre Lösungen anbieten. Dass die Populisten keine nachhaltigen und praktikablen Konzepte für die tatsächlichen Herausforderungen unserer Zeit bieten, geht dabei schnell unter. Denn das Ziel ist die Zersetzung der demokratischen Gesellschaft. Verglichen mit Amerika haben wir eine stabile und plurale Medienlandschaft, das Vertrauen in den unabhängigen Journalismus ist bei uns groß. Aber auch hier wünsche ich mir eine kritische Debatte, damit Medien sich stets der Wirkung von Sprache bewusst sind und nicht Teil der Verschiebung werden. Facebook hat auch Verantwortung und muss echte Transparenz schaffen. Ein Start ist: Facebook hat den Infobutton für Links zu Medien für Deutschland eingeführt. Bei einigen Links ist es möglich zu sehen, in welchen Regionen ein Link geteilt wurde. Das ist aber nur ein kleiner Schritt. Und nicht vergessen: Ja, die richtigen Argumente sind wichtig. Nicht unbedingt um das Gegenüber zu überzeugen, sondern um die stille Mitleserschaft nicht mit Falschnachrichten allein zu lassen. Fact-Checking bleibt darum zentral, und ich fordere darum die Bundesregierung auf, die unabhängige und selbstverwaltete Überprüfung von online veröffentlichten Fakten nach journalistischen Standards, das „Fact-Checking“ durch beispielsweise Nichtregierungsorganisationen oder Zusammenschlüsse von Medien zu unterstützen und dabei zu prüfen, ob eine Finanzierung oder Teilfinanzierung eines unabhängigen Recherchefonds durch eine verpflichtende Abgabe von Diensteanbietern von Telemedien zu prüfen ist.
Qualitätsjournalismus könnte ein Gegengewicht zur grassierenden Lust an Zerrbildern darstellen. Aber der Printjournalismus kriselt. Bereitet Ihnen das Sorge?
Renate Künast Ja. Qualitätsjournalismus ist aber nicht etwas grundsätzlich anderes als sonstiger Journalismus, sondern es gibt eben guten und schlechten. Guter Journalismus entsteht eher, wenn es ausreichende Ressourcen für Recherche und redaktionelle Arbeit gibt. Die Konzentration im Printbereich hat in der letzten Zeit ein wirklich bedenkliches Ausmaß erreicht. 60 Prozent der verkauften Auflage von Tageszeitungen stammen von nur zehn Verlagsgruppen. Echte Medienvielfalt sieht anders aus. Wir werden in Zukunft verstärkt darüber nachdenken müssen, wie man Qualitätsjournalismus auch jenseits etablierter Vertriebskanäle sichern kann, wie man also beispielsweise lokale Blogs oder Netzwerke von Journalisten unterstützen kann, die sich entschlossen haben, das Heft selbst in die Hand zu nehmen.
In der Verlagsszene diskutiert man die Idee, Werbungtreibende im Rahmen einer Corporate Media Responsibility in die Pflicht zu nehmen: Wer Wert legt auf qualitativ hochwertige Umfelder für seine Werbekampagnen, so der Gedanke, sollte doch bitte auch Anzeigen schalten. Wie stehen Sie dazu?
Renate Künast Ich erwarte, von Werbetreibenden, dass sie eine Verantwortung dafür übernehmen, wo und wie sie Werbung schalten. Langfristig ist es im Eigeninteresse von Werbetreibenden, nicht auf zersetzenden und manipulierenden Plattformen zu werben.
Wir Grüne im Bundestag haben bereits Anfang 2017 einen Vorschlag in das Parlament eingebracht für eine Selbstverpflichtung der im Netz werbenden Wirtschaft, auf die Schaltung von Werbung auf solchen Webseiten zu verzichten, deren Geschäftsmodell ganz überwiegend auf die Verbreitung von zu definierenden Falschmeldungen (Fake News) ausgerichtet ist. Unser Vorschlag wurde damals abgelehnt.