Zielgruppen:
Wer ist eigentlich diese Generation Alpha?
Noch laufen sie unter dem Radar der Marketingverantwortlichen. Auch, weil viele von ihnen noch nicht laufen können, geschweige denn geboren wurden. Es geht um: die Kinder der Millennials.
Während im Netz immer wieder die Diskussion losgeht, ob Millennials ihr Leben nun gebacken kriegen oder nicht, und Marken krampfhaft versuchen, mit Snapchat-Kampagnen im Relevant Set der Gen Z zu landen, rückt eine völlig neue Zielgruppe in den Fokus der Trendforscher und Innovationsberater: Generation Alpha.
Noch läuft die sogenannte Generation Alpha unter dem Radar der meisten Marketingverantwortlichen. Auch, weil viele von ihren Mitgliedern noch gar nicht laufen können, geschweige denn geboren wurden.
Gen Alpha wird die erste Generation sein, die komplett im 21. Jahrhundert aufwächst. Wie anders ihre Welt als Erwachsene sein wird, machen drei Momentaufnahmen aus dem Jahr deutlich, in dem die Ersten von ihnen geboren wurden: 2010 brachte Apple das iPad auf den Markt, die Bilderplattform Instagram wurde gegründet und das Oxford Dictionary wählte "App" zum Wort des Jahres.
Das soll, zumindest wenn es nach Mark McCrindle geht, erst der Anfang gewesen sein. Der australische Sozialforscher und Erfinder des Begriffs "Generation Alpha" bezeichnet den Sprung von Gen Z zu Gen Alpha als den bedeutendsten in der Geschichte.
Es stimmt, auf den ersten Blick wirken die Kinder, Babys und Ungeborenen wenig attraktiv; ihre Kaufkraft beschränkt sich, wenn überhaupt, auf Taschengeld. Indirekt aber beeinflussen sie als Konsumenten schon heute einen riesigen Markt, zum Beispiel den für smartes Spielzeug.
2025, wenn das letzte Generation-Alpha-Baby das Licht der Welt erblickt, werden sie 2,5 Milliarden Menschen stellen. Sie bis dahin im Marketing zu ignorieren, wäre schlicht: dumm.
Als Head of Consumer Insights bei Stylus, einer Plattform für Innovationsforschung und Trends, hält Hayley Ard mehr als 500 globale Marken und Agenturen über aktuelle Veränderungen auf dem laufenden. Wir haben sie gefragt, was man über die Zielgruppe von morgen wissen muss.
Was man über die Generation Alpha wissen muss
Die Mehrheit der Generation Alpha ist noch nicht mal auf der Welt. Berücksichtigt man die Umstände, unter denen sie aufwachsen wird, das heißt Digitalisierung, politische Instabilitäten und den demografischen Wandel, was wissen wir bereits über ihre Ansichten, Werte und Bedürfnisse?
Gen Alpha wird sich in einer zunehmend unbeständigen Welt bewegen. Deshalb werden sie sich "Cultural Movement"-Marken zuwenden, wie sie der Kommunikationsexperte Scott Goodson nennt. Wie schon Gen Z wird Gen Alpha offen, hilfsbereit und empfindsam sein. Sie werden sich und anderen ihre Eigenheiten zugestehen.
Inzwischen leidet eins von acht Kindern in den USA unter Angstzuständen (Anxiety and Depression Association of America, 2016). Was ihr Wohlbefinden angeht, wird Gen Alpha einfache Lösungen verlangen, etwa Produkte, die die Konzentration stützen, oder das Optimum aus der gemeinsamen Zeit mit der Familie herausholen. Ein tolles Beispiel hierfür ist der Lautsprecher A Speaker, der den Sound gezielt auf eine Person aussteuert, selbst wenn die sich in einem vollen Raum befindet.
Wir wissen, dass Gen Alpha scrollen lernt, noch bevor sie sprechen kann. Sie wächst mit Technik auf, die auf sie zugeschnitten ist. Weltweit verbringen Vorschulkinder im Durchschnitt 14 Stunden pro Woche mit digitalen Geräten (Viacom, 2017). Sechs- bis Achtjährige aus der asiatisch-pazifischen Raum sind an einem typischen Schultag drei Stunden online (Totally Awesome, 2017).
Informatik wird zum Pflichtfach. Programmieren steht in Ländern wie Estland, Frankreich und Spanien bereits auf dem Grundschullehrplan. Schweden und Neuseeland planen, 2018 nachzuziehen. Darüber hinaus kann Gen Alpha aus einer Palette von Produkten wählen, um ihre MINT-Kompetenzen [Anmerkung der Redaktion: MINT = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik] zu schulen. Wegen dieser kontextbedingten Veränderungen wird sich das Verhältnis von Gen Alpha zu Technik stark von dem früherer Generationen unterscheiden.
Außerdem wird Gen Alpha sehr abenteuerlustig sein, ihre Zeit gerne draußen in der Natur verbringen und die Freiheit haben, Fehler zu machen. Immer mehr Klassen und Kindergärten gehen auf dieses Bedürfnis bereits ein.
Wird Gen Alpha eher eine gespaltene oder homogene Generation?
Keine Generation ist homogen. Wie alle Generationen wird Gen Alpha sich aus vielen unterschiedlichen Segmenten zusammensetzen, jede mit für sie typischen Verhaltensweisen und Vorlieben. Teilen werden sie gemeinsame Kontexte - insbesondere was Technik betrifft - und eine Reihe weit gefasste Werte, wie die bereits erwähnte Offenheit.
Man geht davon aus, dass Gen Alpha die am besten ausgebildete und wohlhabendste Generation sein wird, die je gelebt hat. Zum Teil liegt dies an den sinkenden Geburtenraten. Wogegen werden sie rebellieren?
Rebellion wird eine komplett neue Bedeutung für Gen Alpha bekommen. Diese rationale und reflektierte Generation wird kein Interesse haben, im traditionellen Sinn aus der Reihe zu tanzen. Stattdessen werden sie aktiv nach Lösungen für Schwachstellen in etablierten Kategorien suchen. Man kann davon ausgehen, dass Gen Alpha ihre Rebellion auf Nachhaltigkeit ausrichtet.
Wie schon Gen Z wird sie von ganz allein Marken aktiv mitgestalten. Es sei denn, man bittet sie, es gemeinsam zu machen.
Gen Alpha hat höchstens Taschengeld, das sie ausgeben kann. Trotzdem die Frage: Welche Branchen oder Marken haben gute Chancen, sie zu erreichen? Und welche werden sich schwer tun?
Der Markt für Videos ist riesig. Laut Videoanalyst Tubular haben im September 2015 vier von zehn Top-Youtubern Inhalte für Kinder produziert; zusammen kamen sie auf mehr als 1,4 Milliarden Views - allein in diesem Monat. Mobiles Bewegtbild ist offensichtlich ein wichtiges Umfeld für alle, die Kinder ansprechen wollen.
Gen Alpha wird von Spielzeugen erwarten, dass sie künstliche Intelligenz nutzen, um etwa ihre Fragen zu beantworten, auf ihre Vorlieben einzugehen und mit ihnen so zu interagieren als wären sie menschlich. Im Jahr 2020 wird der globale Markt für smartes Spielzeug Schätzungen zufolge 8,4 Milliarden Dollar wert sein (Research and Markets, 2015). Besonders sprachgesteuerte digitale Assistenten werden sich in diesem Bereich gut schlagen.
Hoteliers und Restaurants können ebenfalls profitieren, wenn sie Kindern die Möglichkeit bieten, zu entspannen und aufzutanken. Ein Beispiel, wo dies bereits gut funktioniert, ist das Ace in London, das sich vor Kurzem mit der Designfirma Patternity zusammen getan hat und Kindern den "Mindful Marbling Workshop" anbietet. Beim Malen können die Kinder in einen Flow-Zustand kommen, denn beim Malen auf Wasser entscheidet sowieso der Zufall über das fertige Bild.
Marken, die es nicht schaffen, Gen Alpha bei der Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu unterstützen, werden sie nur schwer begeistern können. Amazon hingegen hat beispielsweise bereits einen Abo-Club rund um MINT-Themen gelauncht. Der STEM Club schickt Kindern in den USA jeden Monat ein Lernspielzeug. Weitere Marken und Händler werden folgen. Man sollte den Wert von solchen Abo-Angeboten im Bereich Kompetenzen nicht unterschätzen.
Wie kommen Marken an die Generation Alpha ran?
Können Marken über ihre Millennial-Eltern ins Mindset der Gen Alpha kommen?
Es gibt viele Wege, insbesondere mit Hilfe von Technik. Millennial-Eltern sehen in Technik ein Tool, um ihre Kinder auf das Leben vorzubereiten. Laut einer Studie von Viacom stimmen weltweit 64 Prozent der Eltern zu, dass es für ihre Kinder wichtig ist, auf dem neuesten Stand zu sein. Und während 79 Prozent der Eltern sagen, dass sie die Zeit beschränken, die ihre Kinder mit digitalen Geräten verbringen, denken 61 Prozent, dass Technik ihre Kinder schlauer macht. Dieselbe Studie hat herausgefunden, dass etwas mehr als zwei Drittel der Eltern glauben, eine der wichtigsten Entwicklungsmöglichkeiten für Vorschulkinder liege darin, Dinge allein zu machen.
Eine Marke, die das erkannt hat, ist das in San Francisco sitzende Startup Joy. Es hat die erste Smartwatch für Kinder entworfen. Icons sollen ihnen neben Uhrenlesen auch gute Angewohnheiten beibringen. Das Produkt heißt Octopus und stellt Aufgaben in Bildern dar, etwa um die Kinder daran zu erinnern, ihre Zähne zu putzen oder den Hund zu füttern. Es gibt sogar ein Gamification-Feature, über das sie, abhängig von ihren Fortschritten, virtuelle Belohnungen freischalten können.
In einer Umfrage von Thomson Cruises kam 2016 heraus, dass 78 Prozent der britischen Eltern Reisen und das Entdecken fremder Kulturen als wichtig für die Entwicklung eines Kindes erachten, ein Drittel verspürt sogar den Druck, jedes Jahr zu einem exotischen Ziel zu reisen. Darin steckt großes Potenzial für Tourismusunternehmen.
Die Eltern der Generation Alpha stehen ebenso an der Spitze des Gegentrends, Kinder nicht nur drinnen spielen zu lassen. Weltweit sagen 76 Prozent der Eltern von Zwei- bis Fünfjährigen, dass sie ihre Kinder ermutigen, draußen zu spielen. 94 Prozent der US-Eltern wünschen sich das auch von den Schulen (Nature’s Path, 2016).
Eine Marke, der das ziemlich gut gelingt, ist Persil. Sie veranstaltet Ende Mai als Teil der "Dirt is Good"-Kampagne von Unilever einen "Outdoor Classroom Day". Mehr als 800.000 Kinder auf der ganzen Welt haben sich bislang dafür angemeldet.
Wird sich die Kluft zwischen den Geschlechtern weiter zugunsten der Mädchen verschieben?
Ich hoffe, dass dies passiert. Kinder sollten keinen Druck verspüren, sich nach veralteten Rollenmodellen auszurichten.
Es gibt ein paar ermutigende Anzeichen: "Baby Center", eine Website für Eltern, hat 2015 zum "Year of the gender-neutral Baby" erklärt. Chefredakteurin Linda Murray schreibt, dass Eltern "wollen, dass ihre Kinder frei von Stereotypen aufwachsen. Jungs können Nagellack tragen, Mädchen Skateboard fahren. Das alles ist in Ordnung."
Die Zukunft der Generation Alpha
Welches ist das größte Fragezeichen im Bezug auf Gen Alpha?
Ich bin sehr gespannt, wie sich die Identität der Generation Alpha entwickeln wird, insbesondere da Flexibilität das "new normal" ist. Man kann nahtlos zwischen Stilen, Interessen und Tribes wechseln und so flüchtige Verbindungen mit unterschiedlichen sozialen und kulturellen Gruppen eingehen.
Da immer mehr Grenzen verschwimmen, springen schon heute viele Mitglieder der Gen Z zwischen Identitäten und Kollektiven hin und her. Sie erwarten agile und umfassende Antworten von Marken.
Ein Gen-Z-Mitglied, mit dem ich letztes Jahr gesprochen habe, sagt, dass seine Generation sich nicht dem Lifestyle oder den Meinungen einer Community anpassen muss. Wie wird das erst bei Gen Alpha sein?
Hayley, vielen Dank für diese Antworten und die Illustrationen!