Debatte:
Die Werbebranche im Würgegriff der Walled Gardens
Gerade im Programmatic-Markt beherrschen Google und Facebook das deutsche Geschehen. Joachim Schneidmadl fordert den Befreiungsschlag.
„Stimmen Sie Joachim Schneidmadl zu?”
Lange vor Donald Trumps platter Protektionismus-Ankündigung "America first" hat die von US-Internetanbietern in Gang gesetzte "Ökosystemisierung" das Internet als transparenten, offenen und wettbewerbsfähigen Markt bereits zugunsten so genannter Walled Gardens außer Kraft gesetzt.
Die Gewalt der mit dieser "Plattform-Ökonomie" verbundenen Disruptivität trifft derzeit die Medien- und Werbebranche in Deutschland mit voller Wucht. Begünstigt wird die Marktzersetzung durch eine Entwicklung, die a priori über einen offenen Markt und hohe Markttransparenz mehr Effektivität und Effizienz in digitale Media und digitale Werbung bringen will und soll: Programmatic, d.h. die Automatisierung von datengetriebenem Mediaein- und -verkauf.
Beide Entwicklungen – Ökosystemisierung wie Programmatic – haben ihre Wurzeln im US-Markt: first America. Und mit beiden Entwicklungen verschiebt sich das Kräftefeld hierzulande zugunsten US-amerikanischer Player: America first.
We build a wall...
Treibende Kräfte hinter dem Unfriendly Takeover des deutschen Marktes sind Google, Apple, Facebook, Amazon (GAFA). Die Vier haben es verstanden, auch in Deutschland zentrale Segmente des Digitalmarktes wie Suche, Kommunikation, Entertainment, soziale Vernetzung, E-Commerce etc., wenn nicht zuerst, dann doch am erfolgreichsten zu besetzen und sich unausweichlich im Markt zu positionieren.
Als mono-, maximal oligopolistische Anbieter haben sie sich an der sensibelsten und zugleich erfolgskritischsten Schnittstelle festgesetzt: Sie führen Angebot und Nachfrage zusammen, kontrollieren dabei den Zugang von Unternehmen zu bestehenden und potenziellen Kunden und Märkten (und damit wichtige Media) und isolieren beide Sphären penibel voneinander.
Im Zuge der Login-Pflichtigkeit und Opt-In-Fähigkeit ihrer Angebote verfügen sie zudem über exklusive tiefe Customer und Market Insights. Abschottung und Konsumenten-Lock-In als Geschäftsmodell.
Mit ihren "Walled Gardens" und Gatekeeper-Positionen nehmen vor allem Google und Facebook auch die deutsche Werbeindustrie in ihren Würgegriff, insbesondere im Programmatic-Bereich. Kern ihrer entsprechenden Werbeangebote ist stets ein hochwertiges Media- und/ oder Datenprodukt in hoher Skalierung, teilweise verpackt als technische Lösung bzw. Adtech-Stack.
Und massive Skalierung, das heißt massives Wachstum ist exakt das, was die auf Basis exorbitanter Kurs-Gewinn-Verhältnisse bewerteten Plattformen auch im Werbemarkt liefern müssen – die Börsenkurse von heute leben von den Umsatz- bzw. Gewinnerwartungen in der Zukunft.
Jenseits des eher schwierigen Wachstums in neuen Geschäftsfeldern, liegt da primär ein Hebel nahe: Neben dem brutalen Verdrängungswettbewerb im (Werbe-)Kerngeschäft ist das die Margenoptimierung im Bestandskundengeschäft.
… and Europe will pay for it
Mit der zumeist intransparenten Maximierung der eigenen Marge und der rigorosen Kompression der Margen der Kunden zielen die US-Plattformen auf Seite der Werbetreibenden bzw. Agenturen genau auf das Gegenteil dessen ab, was Programmatic eigentlich bezwecken soll: den transparenten, kosteneffizienten Einkauf von Media.
Denn in der Regel müssen werbetreibende Unternehmen nicht nur für die Media zahlen, sondern auch für Informationen über ihre eigenen Kunden, die sie aufgrund von "Walled Gardens" gar nicht mehr selbst generieren können, sowie für damit verbundene "Walled Garden"-Mediatechnologien.
Denkt man an diesem Punkt das Ziel Margenoptimierung konsequent zu Ende, kommt man nicht umhin, die Frage zu stellen, ob die entsprechenden Technologien nicht insofern auch Mittel zum Zweck sein könnten, als dass sie möglicherweise ganz eigene, bspw. im Ein- bzw. Verkauf "Walled Garden"-Media bevorzugende programmatische Vermarktungslogiken verfolgen (Das kommt Ihnen aus einem anderen Bereich bekannt vor? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!).
Hinzu kommt die verschwindend geringe Verhandlungsmacht im Hinblick auf Preise, Qualitäten etc., die Werbetreibende bzw. Agenturen gegenüber GAFA im Vergleich zu großen nationalen Vermarktern haben.
Umso mehr verwundert es, dass derzeit schätzungsweise 65 bis 75 Prozent aller digitalen Werbespendings im deutschen Markt zu den großen US-Playern und durch deren Technologie-Stacks fließen; Tendenz weiter steigend. Man fragt sich ja schon, warum sich Unternehmen ihre Ertragskraft so beschneiden lassen.
Alternative fact: The Lumascape
Die "Walled Garden"-Entwicklung im Programmatic-Bereich hat aber nicht nur für Werbetreibende problematische Auswirkungen. Mit ihren exklusiven Media- und Datenprodukten expandieren die US-Plattformen in nicht-exklusive Marktsegmente. Dort, und nur dort, in diesem immer kleiner werdenden Restmarktsegment, findet ein gnadenloser Wettbewerb statt – mit überwiegend reinen Mediatechnologie-Anbietern.
Ohne "Walled Garden" bzw. strategische Bindung, d.h. ohne Daten und/ oder Media, haben diese auf Dauer allerdings keine Chance, gegen die großen Plattformen zu bestehen: Mit ihrer Marktmacht und ihren dank gigantischen Börsenbewertungen vollgespülten Kassen können die US-Player Technologieprodukte als Komplettpaket anbieten.
Und die Pakete aus Media, Daten und Technologien sind so gut wie immer zu günstigeren Preisen im Angebot, als für reine Technologielösungen aufgerufen werden, und setzen Mitbewerber-Margen massiv unter Druck – bis zum ruinösen Verdrängungswettbewerb. Zumal sie ihr Geld ohnehin nicht mit Technik verdienen, sondern mit Media und Daten.
Das führt dazu, dass reinen Mediatechnologie-Anbietern schnell die Luft ausgeht: Zum einen reichen die erzielbaren Margen nicht aus, das eigene Geschäft mit Eigenkapital zu skalieren.
Zum anderen können aufgrund der Margenerosionen die hohen Renditeerwartungen von Risikokapitalgebern und des Finanzmarktes nicht erwirtschaftet werden – weder langfristig noch in relevanter Skalierung.Wichtiges Fremdkapital für weiteres Wachstum steht damit auch kaum zur Verfügung.
Die Folgen haben erste US-Mediatechnologie-Dienstleister mit Börsengängen bzw. Börsenambitionen bereits am eigenen Leib schmerzlich erfahren: Player, die mit hohen Renditeversprechen in die Börse gestartet sind, haben ihren Kunden damit unfreiwillig offenbart, dass entsprechende Margen ganz offensichtlich nicht aus transparenten Gebühren stammen können – was unweigerlich Fragen aufwirft und Nachverhandlungen nach sich zieht.
Und Dienstleister, die weitere Wachstumsinvestitionen finanzieren wollen, müssen zum Zwecke des Margen-Pimp-Ups vor allem eines: Personal entlassen, um Kosten einzusparen. Was gerade in so einem Wissens- und Know-how-getriebenen Sektor wie dem Technologiemarkt oft einem Aderlass in punkto Wettbewerbsfähigkeit gleichkommt.
Vor diesem Hintergrund ist die Marketing Technology Lumascape schon heute eher Schimäre als Marktrealität.
The winner takes it all
Nicht zuletzt stellen die "Walled Gardens" aber auch für vielfältige deutsche Publisher-Landschaft eine eklatante Bedrohung dar. Im durch die GAFA-Plattformen dominierten Markt wird eigene Wertschöpfung aus Media und Daten immer schwieriger.
Zur damit verbundenen Margenkompression kommt hinzu, dass es durch den Verdrängungswettbewerb im Mediatechnologie-Bereich immer weniger unabhängige Mediatechnologie-Dienstleister und damit immer weniger Technologielösungen gibt, die konsequent auf die Optimierung des Publisher-ROI statt auf intransparente Arbitrage-Geschäfte und/ oder eigene Margenoptimierung ausgelegt sind.
Führt Programmatic als künftig dominierende Form des Mediahandels hier letztlich dazu, dass Werbung nicht mehr ausreichend zur (Re-)Finanzierung qualitativ hochwertiger, freier und unabhängiger Medien beitragen kann, steht mehr als nur ein wichtiger Zweig der deutschen Wirtschaft auf dem Spiel. Dann geht es an die Grundfesten unserer Demokratie.
Make Europe great again
Was also tun, um sich als deutsche und europäische Werbe- und Medienindustrie aus dem Würgegriff der "Walled Gardens" zu befreien? Ein entsprechender Befreiungsschlag kann nur gemeinsam gelingen: Werbetreibende auf der einen und Publisher auf der anderen Seite müssen viel mehr als bisher auf die Generierung und Kombination eigener Daten und eigener Media setzen.
Strategische Partnerschaften wie die von Zalando mit ProSiebenSat1 oder der Otto Group mit Ströer sind dringend notwendige Marktalternativen zu den großen Plattformsystemen.
Gleichzeitig muss der Markt Kapital in die Hand nehmen, um die Existenz unabhängiger Mediatechnologie-Anbieter abzusichern, die, anders als die GAFA-Plattformen, auch wirklich reine Technologiedienstleister sind, so dass Technik und Assets (Media und Daten) in der Hoheit faktisch getrennt sind und bleiben.
Last but not least gehört zu einem solchen Szenario auch, dass die Politik wettbewerbsverzerrenden Lizenz- und Steuersparmodellen endlich einen Riegel vorschiebt und beim Thema Datenschutz der digitalen Wirtschaft nicht länger Bärendienste erweist.
Sondern mit Marktverständnis und Weitblick für einen gesetzlichen Rahmen sorgt, der nicht wie mit dem faktisch ab Mai 2018 zur Anwendung kommenden Opt-In vor allem die großen US-Plattformsysteme bevorteilt. Make Europe great again. Yes, we can!
Joachim Schneidmadl ist Vorstand des Freiburger Technologiespezialisten Virtual Minds AG. Dort verantwortet er gruppenübergreifend die Produktstrategie im Geschäftsbereich Mediatechnologie. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der Entwicklung und im Vertrieb von Technologien für insbesondere das digitale Media- und Marketinggeschäft.
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