Debatte:
Pro: So sind die Millennials ohne Instagram-Retusche
Die W&V-Redakteurinnen Anja Janotta und Christa Catharina Müller debattieren: Sind die Millennials so schlecht wie ihr Ruf? Ja, sagt Anja Janotta (Generation 40+). Aber das hat seine Gründe.
„Sind die Millennials besser als ihr Ruf?”
Neulich war ich im Theater. Um das Stück "Die Kunst seinen Chef um eine Gehaltserhöhung zu bitten" nur kurz zusammenzufassen: Eine Büroangestellte steht sich ihren Selbstzweifeln so lange im Weg, bis sie ihre - mickrige - Gehaltserhöhung knapp vor der Pensionierung erhält.
Neben mir zwei Pärchen der Millennial-Generation. Während mir vor lauter Ertapptsein die Lachtränen das Makeup versauten, blieben die 30-Somethings nebenan völlig unbewegt und gelangweilt. Skrupel, so möchte man nach diesen Beobachtungen meinen, sind wohl nicht so ganz das Thema dieser Generation.
Schon gar nicht im Beruf. Denn schließlich hat das Selbstbewusstsein dieser Generation es tatsächlich geschafft, dass sich Personaler umstellen müssen, wenn sie junge Leistungsträger anheuern wollen. Da ist auf einmal nicht mehr wie Jahrzehnte vorher der Bewerber der Bittsteller, sondern der Chef der Personalabteilung. Sowas treibt lustige Blüten: Schon beim ersten Kennenlernen wird krampf- und kumpelhaft geduzt und mit allen möglichen Benefits gewunken.
Die "Lohnt sich das?"-Generation
Schnelle Belohnungen müssen her, schließlich ist in den sozialen Netzwerken ein Like so etwas wie das Grundnahrungsmittel unserer Zeit geworden. Und wenn die Belohnung nicht sofort kommt oder der Sinn hinter einer Aufgabe nicht gleich ersichtlich ist – dann sind die jungen Hoffnungsträger in Rekordzeit wieder weg. Sie suchen sich den nächsten Arbeitgeber, der mehr zu ihren Bedürfnissen passt.
Das kann einen schon mal traurig machen. Wenn Arbeiten, die unsexy sind oder vielleicht mal ein bisschen Durchhaltevermögen erfordern, langfristige Budget-, Projekt- und Karrierepläne, Loyalität an und für sich – allenfalls nur noch für Leute Ü40 reserviert sind. Wenn umgekehrt vor jede Tätigkeit, jede Action bei den Millennials ein Filter vorgeschaltet zu sein scheint: "Lohnt sich das für mich?"
Man kann es ihnen ja nicht mal verübeln. Ständige Bewertung, Zeitverträge und diffuse Leistungserwartungen erzeugen Stress bei den Jungen. Und wer gestresst ist, reagiert nun mal egoistischer. Und Selbstausbeutung ist sowieso nicht mehr zeitgemäß. Und wer die soziale Nabelschau gewohnt ist, ist eben eitler, braucht schneller Befriedigung, teilt die Welt in Sekundenschnelle in Like und Dislike – wobei man das Urteil auch immer wieder flexibel ändern kann.
Haltung kann man sich im Social Web kaum leisten, wo doch der soziale Absturz nur einen Fehl-Klick entfernt ist. Verantwortung dito. Chefwerden ist für die Jungen scheinbar nicht mehr lohnenswert, hat beispielsweise eine Studie des Personaldienstleisters Manpower ergeben. Viel eher investieren die Jungen in die Ausbildung ihrer eigenen Talente. Auch übermäßige Risikobereitschaft scheint den Aufwand nicht mehr zu lohnen. Wen wundert es da, dass trotz blühender Startup-Szene die Zahl der Firmen-Neugründungen in Deutschland trotzdem zurückgeht?
Trotzdem haben sie Vorbildfunktion
Nein, es ist natürlich nicht alles traurig. Und ich muss zugeben, dass auch ich in den vergangenen Jahren durchaus von ihnen lernen durfte. Denn Flexibilität und ständige Lernbereitschaft waren nicht seit jeher die Grundtugenden meiner Generation. Vielleicht nehme ich mir demnächst noch ein weiteres Beispiel und arbeite an den übermäßigen Skrupeln. "Lohnt sich das für mich?" ist schließlich auch für Leute 40+ eine legitime Frage. Lieber Chef, wenn du das also lesen solltest: Wir müssen reden …
Die Debatte geht weiter: Das Contra der Kollegin Christa Catherina Müller lesen Sie hier: Schreibtisch ist da, wo WLAN ist