Gastbeitrag:
Der Einkauf steht Kopf
Modernes Marketing braucht Investment-Manager und keine Kostendrücker – ein paar Gedankenspiele für eine erfolgreiche Kurskorrektur. Ein Gastbeitrag aus dem Jahr 2016 von Felicitas Lentz, Senior Consultant, und John Sealey, Regional Managing Partner von Roth Observatory.
Mehr Kanäle, mehr Devices, enge Budgets, knappe Ressourcen, hohes Tempo des Wandels, enormer Erfolgsdruck und die Anforderung, die gesamte Consumer-Journey zu beherrschen – das ist die Realität und der Alltag eines jeden modernen Marketers. Die Art und Weise, wie Marketingteams sowohl intern miteinander als auch mit externen Partnern zusammenarbeiten, verändert sich zunehmend. Damit einhergehend muss sich auch die Rolle des Marketingeinkaufs wandeln. Denn wie heißt es so schön: "Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit." Prominentes Beispiel: Der US-Getränkekonzern Pepsico hat erst im Herbst 2015 seinen zentralen Marketingeinkauf abgeschafft. Was aber muss der Marketingeinkauf in Deutschland tun, um sich nicht selbst aufs Abstellgleis zu fahren? Ein paar Ansätze für eine erfolgreiche Kurskorrektur.
Rolle und Haltung des Einkaufs
Das sogenannte "Marketing der Zukunft" verlangt vom Marketingeinkäufer, dass er mehr denn je als Investment-Manager handelt. Denn es geht zunehmend darum, überlebenswichtige Investitionen für das Business zu optimieren und nicht nur um die Verhandlung von Verträgen, um Kostensenkungen oder Honorarkürzungen. Kosteneinsparung ist schön und gut, aber sie darf der Marketingtransformation im Unternehmen nicht im Wege stehen.
Spezialisierung und Fachwissen
Für den Marketingeinkauf sind Erfahrung und Wissen über die Besonderheiten der Marketingdienstleisterlandschaft notwendiger denn je. Marketingeinkäufer müssen sich permanent auf dem Laufenden halten, was die spezifischen Entwicklungen angeht. Die neuen "Disruptors" der Marketingbranche – beispielsweise "Programmatic Buying" oder CRM-Tools – müssen zum vertrauten Terrain werden.
Damit geht einher, dass der Einkauf die Rolle sowie die Belange des Marketings in einem sich kontinuierlich wandelnden Markt versteht. Das Marketing hat eine wachsende Investitionsverantwortung, denn aufgrund der Digitalisierung haben die Aufwendungen im Bereich Technik für Infrastruktur und Kommunikation deutlich zugenommen. Etliche Beratungen prognostizieren sogar, dass die Ausgaben des CMO für Technik bald die des CIO übertreffen werden.
Der Einkauf muss hierfür sowohl mit den Marketingkollegen als auch mit den Agenturpartnern Zeit in den Dialog investieren. Neben den fachlichen Marketingkompetenzen sind hier Soft Skills gefragt.
Vertrauen aufbauen
Auch wenn es gern dementiert wird: Es ist eine Tatsache, dass die Beziehung zwischen Einkauf und Marketing seit jeher angespannt ist. Die Rolle des Einkaufs wird seitens des Marketings in vielen Fällen noch als Kostendrücker und nicht als Wertschöpfer empfunden. Anders herum werden vor allem Höhe und Notwendigkeit der Marketingausgaben vom Einkauf mit Misstrauen betrachtet.
Geht der Marketingeinkauf den Weg der Marketingtransformation mit, ist oft interne "PR-Arbeit" erforderlich, um dem Marketing diese neue Rolle des Einkaufs verständlich zu machen. Darüber hinaus muss deutlich gemacht werden, wie Marketingteams von der Zusammenarbeit mit dem Einkauf profitieren können, um ihre operativen und Kommunikationsziele zu erreichen.
Warum das alles?
Es wird Zeit für eine neue Denkweise und einen differenzierteren Umgang mit Budget- und Finanzierungsplanungen, um die notwendigen Investitionen in Innovationen zu ermöglichen. Das Ergebnis ist eine ziemlich lange und komplexe Einkaufsliste:
Innovation
Eine Innovationshaltung ist eine wichtige Quelle für Wachstum und Wettbewerbs-vorteile. Innovation umfasst heutzutage ein breites Spektrum: Produktentwicklungen, Verpackungsinnovationen, Retail und Consumer-Experience-Innovationen bis hin zu neuen Technologien und Kommunikationsmöglichkeiten. Eine Innovationsstrategie anzunehmen bedeutet auf jeden Fall, eine höhere Risikobereitschaft und eine größere Unsicherheit bei der Budget- und Ressourcenverteilung zu akzeptieren.
Die Dienstleister und strategischen Partner, die sich in diesem Bereich bereits erfolgreich tummeln, haben schon lange den "Startschuss" aus dem digitalisierten Markt gehört und sich mit entsprechendem Know-how und Skills ausgestattet, um relevante Mitstreiter der Fachkollegen aus dem Marketing zu sein. Daraus ergibt sich im Übrigen eine ganz andere Selbstverständlichkeit seitens dieser Experten – weit entfernt von der "gelernten" und vom Einkauf oft noch verstandenen Rolle der "typischen" Werbeagentur. Das zeigt sich insbesondere hinsichtlich agiler Arbeitsmethoden und ihrer Haltung gegenüber Risikobereitschaft, Kosten, Beteiligungs- und Vergütungsmodellen.
Neuer Marketingmix
Die digitale Transformation bringt neue Kanäle und Devices hervor, die alle zusätzlich zum traditionellen Marketingmix angemessene Berücksichtigung in den Marketingaktivitäten des Unternehmens finden sollen. Gleichzeitig hat sich Content-Marketing zur "Wunderwaffe" entwickelt. Es erfordert allerdings ganz andere Arbeitsweisen als der gewohnte kampagnenorientierte Ansatz: Es braucht Flexibilität und Agilität, die eine permanente 24/7-Kommunikation ermöglicht. Damit variiert auch der Qualitätsanspruch an Maßnahmen, denn einige sind langfristig geplant, andere dagegen eher reaktive Maßnahmen. Zudem ergeben sich kürzere Planungszyklen, bei denen sich ein traditionelles Jahresbudget und Scope-of-Work-Vereinbarungen erübrigen.
Konsument im Fokus
Damit sich eine Marke oder ein Unternehmen an den Bedürfnissen des Konsumenten ausrichten und ihren Fokus auf die Customer-Journey konzentrieren kann, müssen über alle relevanten Bereiche der Kundenorganisation einschließlich Vertrieb und Customer-Service sinnvolle Prozesse und Schnittstellen definiert werden. Im Klartext: Alle internen und externen Stakeholder sind auf eine Marschrichtung einzunorden. Hierbei und damit auch bei der Festlegung eines qualifizierten Agentur- und Dienstleisterportfolios ist das Mitwirken des Marketingeinkaufs unerlässlich.
Ein erfolgversprechendes Agenturmodell muss ein qualifiziertes Team an seiner Spitze haben, das eine interdisziplinäre Denkweise sicherstellt und echte integrierte Lösungen erarbeitet – unterstützt durch Gastauftritte von Experten in Spezialdisziplinen.
Benchmarks und Monitoring
So widersinnig es erscheinen mag – die Anwendung von Benchmarks und Performance-Monitoring von Agenturen und Dienstleistern bilden Kernmechanismen, sie stärken das Vertrauen auf beiden Seiten. Falsch eingesetzt, werden sie zur Bestrafung. Dies ist in Anbetracht einer zukünftigen Schlüsselrolle von Agenturen kontraproduktiv. Werden Benchmarks und Performance-Monitoring richtig eingesetzt, unterstützen sie eine langwährende und für beide Seiten fruchtbare Partnerschaft. Zudem sind sie ein essenzielles Tool, Kosten zu managen.
Arbeitsweise
Was bedeutet das nun konkret für Marketingeinkauf und Marketing?
1) Marketing und Kommunikationsteams müssen agiler arbeiten. Dafür müssen sie adäquate Prozesse, Verantwortlichkeiten und Schnittstellen schaffen.
2) Es muss eine Umgebung entstehen, in der neue Dinge "ungestraft" ausprobiert werden dürfen und eine Risikobereitschaft existiert.
3) Aus gewonnenen Best Practice wie Fehlern gilt es zu lernen, Organisation und Know-how sind weiterzuentwickeln. Dafür braucht es ein intelligentes System.
4) Zudem müssen eine Feedback-Kultur und Rahmenbedingungen für Performance-
Monitoring geschaffen werden.
Fazit
Das moderne Marketing ist extrem dynamisch, charakterisiert durch Unvorhersehbarkeiten und Tätigkeiten, die weit über die klassische Marketingfunktion hinausgehen.
Damit stehen auch die gelernten Rollen der Marketingeinkäufer Kopf. Das Einkaufsteam hätte die Chance, künftig als wichtiger Partner für das Marketing zu agieren, indem es einen Beitrag zur Bewältigung dieser Komplexität leistet. Einkäufer nehmen die Rolle eines strategischen Investment-Managers ein. Von einer konstruktiven Zusammenarbeit können alle Beteiligten nur profitieren. Die Transformation des Marketingeinkaufs hat dann fast schon begonnen.