Kreativ-Insight:
Interview: Macht Trump uns alle kreativer?
Stephan Sonnenburg erklärt in der W&V-Interviewreihe die Kreativität aus wissenschaftlicher Sicht. Dieses Mal haben wir nachgefragt: Machen äußere Zwänge und Krisenzeiten uns kreativer? Ist dann vielleicht sogar jemand wie Donald Trump eine Inspiration für neuer Ideen?
Stephan Sonnenburg forscht zum Thema Kreativität an der Karlshochschule in Karlsruhe. In regelmäßigen Abständen erklärt der Kreativprofessor bei W&V Online, wie jeder kreativer werden kann - rein wissenschaftlich betrachtet. Aus aktuellem Anlass haben wir ihn nicht nur zu den Auswirkungen von Trump und äußeren Zwängen auf unserere Kreativität gefragt, sondern wollten auch dies wissen: Und Macht Humor immer alles besser?
W&V: Die Wahl von Donald Trump scheint ein wahres Satire-Feuerwerk im Netz in Gang gesetzt zu haben: Die hochdekorierte Satire von Alec Baldwin, die "Netherlands second"-Welle, #lastnightinsweden etc. Es scheint geradezu so, als suchten viele nach einem kreativen Humor-Ventil in unsicheren Zeiten. Kann man das verallgemeinern: Machen bewegte Zeiten kreativer?
Sonnenburg: Bewegte Zeiten können die Kreativität stimulieren. Sie sind häufig eine bedeutende Voraussetzung für die Steigerung von Kreativität. Dies kann man sehr schön an Unternehmen sehen, die gestärkt mit neuen Produkten aus bewegten Zeiten oder gar Krisen gekommen sind. Musterbeispiele sind Apple oder das französische Modehaus Lanvin in den späten 1990er Jahren. Häufig ist es eine Persönlichkeit wie Steve Jobs oder Alber Elbaz an der Spitze, die in unsicheren Zeiten Sicherheit geben und als kreativer „Hub“ das Unternehmen wieder in Schwung bringen. Entscheidend ist in einer solchen Situation, dass man sich nicht nur auf die zentrale Person verlässt, sondern ein nachhaltiges kreatives Netzwerk aufbaut. Kreativer Erfolg ist nie eine Einzelleistung, sondern im Sinne von Mihály Csíkszentmihályi ein systemisches Phänomen.
Wie sieht es mit dem anderen Extrem aus: Lähmt Sattheit?
Bezüglich Kreativität ist Sattheit eher hinderlich, weil es eine entscheidende Komponente der Kreativität negativ beeinflusst: die intrinsische Motivation. Teresa Amabile von der Harvard Business School forscht seit Jahrzehnten zum Thema der intrinsischen Motivation und hebt immer wieder ihre Bedeutung hervor. Wie relevant Die intrinsische Motivation ist, kann man sehr schön bei erfolgreichen Sportlern beobachten, denen es schwerfällt, sich immer wieder aufs Neue zu motivieren. Zumeist hören sie entweder abrupt auf oder sie agieren mit weniger Erfolg. Allerdings gibt es auch erstaunliche Gegenbeispiele von Sportlern, die eigentlich satt sein müssten, aber immer wieder zu neuen kreativen Höchstleistungen fähig sind. Man denke nur an Marcel Hirscher, Marit Bjørgen oder den unfassbaren Roger Federer. Gerade er hat immer wieder seinen Spielstil erneuert, um erfolgreich zu bleiben.
Wie kann man denn dann den "kreativen Hunger" erhalten?
Der "kreative Hunger" benötigt intrinsische Motivation, herausfordernde Ziele, ein stetiges Arbeiten an den eigenen Fähigkeiten. In anderen Worten: Man muss sich immer wieder neu erfinden. Und eine gewisse produktive Rivalität. Roger Federer wäre nicht auf diesem Niveau ohne Rafael Nadal oder Novak Đoković. Oder: Florenz wäre nicht ohne die Stadtrivalität zu Pisa zum Zentrum der italienischen Renaissance geworden. Die Dominanz der deutschen Automobilmarken im Premiumsegment basiert maßgeblich auf der Rivalität zwischen BMW, Mercedes und Audi. Die mobile globale Vernetzung wäre ohne den Wettkampf zwischen Boeing und Airbus kaum vorstellbar.
Welche äußeren Umstände wirken außerdem hinderlich für die Kreativität?
Dies hängt sehr vom Individuum oder Team und seinem kreativen System ab. Grundsätzlich würde ich sagen, dass ein berufliches und privates Klima, das einengt, sehr aus Routinen und kaum Stimuli besteht sowie kein Vertrauen schafft, nicht zur Kreativitätsentfaltung beiträgt. Positiv gewendet, halte ich ein wertschätzendes, freiraumschaffendes aber auch verlässliches Umfeld für entscheidend, damit Menschen ihr kreatives Potenzial ausschöpfen können.
Mal was Praktisches: Wie eng, bzw. wie frei muss ein Kundenbriefing sein, damit es kreatives Potenzial entfaltet?
Leider sind häufig Kundenbriefings ein Quell der Langeweile, lieblos geschrieben und anschließend (wenn überhaupt) uninspiriert präsentiert. Das Kundenbriefing sollte als Keim für die Entfaltung des kreativen Potenzials der Agentur begriffen werden. Und da kommt es nicht nur auf die Worte an, sondern auch auf ihre Inszenierung. Ein Kundenbriefing muss ja nicht immer zweidimensional betrachtet werden, sondern kann seine Wirkkraft gerade im Raum erhöhen.
Humor und Satire wie bei #lastnightinsweden bricht mit den Erwartungen. Kreativität auch. Deswegen ist Humor in der Werbung immer ein probates Mittel. Rein wissenschaftlich gefragt: Hat Humor eine Bedeutung für die Kreativitätsentfaltung?
Studien zur Korrelation zwischen Humor und Kreativität sind widersprüchlich, wobei ich eher den positiven Effekt von Humor und auch Lachen auf Kreativität hervorheben möchte. Beide helfen, dass wir offener und freier denken. Gerade am Anfang des kreativen Prozesses helfen Humor und Lachen leichter in einen Flow und eine Stimmung zu kommen, die Assoziationen fördert.
Gibt es Kreativtechniken, die humorvolle Lösungen begünstigen? Wenn ja: Welche sind das? Und wann setzt man sie ein?
Studien zeigen, dass Humor als Stimulus vor oder während einer klassischen Brainstorming-Sitzung einen positiven Effekt auf den kreativen Flow und das schon erwähnte gesteigerte Assoziieren hat. Ich empfehle als Kreativitätstechnik die Reizwort- und Reizbildanalyse. Sie zeichnet sich dadurch aus, dass Wörter und/oder Bilder als Reiz eingesetzt werden, um auf neue Einfälle zu kommen. Reizwörter und Reizbilder führen dabei auf einen anderen Pfad, so dass neue Assoziationen und Zusammenhänge entstehen. Die Wörter und Bilder können zufällig ausgesucht werden, z.B. aus einem Buch oder Bildkatalog, oder gezielt im Voraus gewählt werden. In Bezug auf den positiven Einfluss von Humor auf Kreativität, bietet es sich an humorvolle Wort- oder Bildreize auszusuchen.
Satire und Humor ist auch ein probates Mittel für Gegenwehr gegen auferlegte Zwänge - nicht nur in der Politik. Wie bekomme ich die "Schere im Kopf " ausgeschaltet, um dann frei vom Kunden, von Zensur, von dem Agenturchef meine Ideen entwickeln zu können?
Selbstbewusstsein und Aufgabenfokus helfen, die Schere im Kopf auszuschalten. Allerdings müssen Kunden und gerade Agenturchefs behilflich sein, die Schere im Kopf abzubauen. Wer zensiert, krankhaft Druck aufbaut oder bevormundet, verstärkt die Schere im Kopf. Wer Vertrauen in die Fähigkeiten der eigenen Mitarbeiter hat und mit Lockerheit und einer Prise Humor agiert, baut Scheren im Kopf ab.
Hier übrigens die anderen Folgen unserer Interviewserie zur Kreativität: