Interview mit Stephan Sonnenburg:
"Junge Menschen sind nicht unbedingt kreativer"
Agenturen setzen gern auf junge Leute. Auch US-Investoren halten Young Professionels pauschal für kreativer. W&V Online hat zu dieser umstrittenen These den Kreativforscher Stephan Sonnenburg befragt: Sind Leute mit 45 reif für die kreative Rente?
Eine steile These geistert durch das Silicon Valley. Formuliert hat sie Sun-Gründer und Investor Vinod Koshla: Menschen mit 45 hören auf, über Neues nachzudenken. Die wahren Innovationen kämen von Leuten unter 45 Jahren. Er scheint den Agenturen aus der Seele zu sprechen, die ja gern auf besonders junges Personal setzen. Ist Kreativität tatsächlich eine Frage des Alters? W&V Online hat dazu Stephan Sonnenburg von der Karlshochschule in Karlsruhe befragt. Er forscht zu dem Thema und ist 45 Jahre alt.
Können Sie das durch Ihre Forschungen bestätigen: Ist der Mensch tatsächlich in jungen Jahren kreativer?
Sonnenburg: Nicht nur durch meine Forschung und Erfahrung sondern viele andere Forscher stimmen mir hier zu: Junge Menschen sind nicht per se kreativer. Für mich ist Kreativität keine Grundeigenschaft oder starre Fähigkeit - wie häufig bei Intelligenz angenommen - sondern ein situatives Potenzial eines Einzelnen oder einer Gruppe. Da kommen viele Faktoren zusammen, dass sich Kreativität entfaltet. Es braucht Erfahrung, Kenntnisse, Fähigkeiten, Umweltfaktoren, Gruppendynamik etc. Allein diese Vielfalt zeigt, dass junge Menschen nicht per se kreativer sein können. Um es auf den Punkt zu bringen: Kreativität ist wesentlich eine Sache der Haltung. Da kommt Jugend ins Spiel, was gerade auch eine Arbeit eines Studierenden von mir zeigt. Junge Menschen glauben eher an ihre eigene Kreativität, ältere Menschen beginnen zu zweifeln. Daran müssen ältere Menschen arbeiten.
Welche Schlüsselqualifikationen braucht ein besonders kreativer Mensch?
Das ist schwierig zu beantworten, da es von der Situation abhängt, von der Aufgabenstellung und dem, was der Einzelne erreichen möchte. Mal grob gesagt und zusammenfassend: Als herausragend gilt die Ichstärke, die sich in Selbstvertrauen, Selbstakzeptanz und Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen zeigt. Sie führt zu Risikobereitschaft, spiegelt sich aber auch in einem gesunden Maß an Angst wider. Die Ichstärke wird durch eine auffällige Konflikt- und Frustrationstoleranz flankiert. Als relevant gilt ein hohes Energiepotenzial, das sich in Durchhaltevermögen, Genügsamkeit, Selbstdisziplin, Vitalität, Spontaneität, Impulsivität, Ehrgeiz oder in Aggressivität manifestiert. Ein Kreativer braucht zudem starke Sensibilität und ein starkes Interesse für komplexe Aufgaben. Kreative Persönlichkeiten verhalten sich zudem eher nonkonform und unkonventionell in Bezug auf gesellschaftliche Erwartungen. Im Extremfall reagieren sie feindselig gegenüber ihrer Umwelt. Aber wer ist schon ein solcher Supermensch? Alle Qualifikationen, entweder allein oder in der Gruppe, "nützen" nichts, wenn man nicht eine positive Haltung zur eigenen Kreativität in einer bestimmten Situation hat.
Die wahre Kreativität kommt also von innen?
Wer nicht intrinisch motiviert ist, wird nur schwer eine Lösung erarbeiten können. Daran müssen Unternehmen extrem arbeiten, wie sie die intrinsische Motivation für eine bestimmte Problemlösung steigern können. Denn die Forschung zeigt, dass extrinische Motivation - zum Beispiel externe Bewertung, Belohnung oder Anweisung - kaum eine positive Wirkung auf Kreativität hat. Allenfalls ist sie unterstützend zur intrinischen Motivation.
Verändern sich die Eigenschaften mit zunehmendem Alter?
Einzelne Eigenschaften können sich schon im Laufe der Zeit verändern oder sagen wir einmal abschwächen, wie das Energiepotenzial. Das kann aber durch Ichstärke aufgefangen werden. Ich würde gerne noch die Wachheit ins Spiel bringen, die so wichtig ist, gerade für den Perspektivenwechsel. Und Wachsein ist keine Altersfrage.
Um Prozesse oder Produkte anders zu entwickeln als zuvor, braucht man Wissen und Erfahrung - ist das ein Vorteil erfahrener Leute?
In der Tat, dies ist ein Vorteil erfahrerer Menschen. Die nötige Erfahrung hängt von der Domäne ab, in der das Problem verhaftet ist und für die eine Lösung zu erarbeiten ist. Ich würde hier sogar die These vertreten, dass heute und in Zukunft Menschen älter sein müssen, um an die Grenzen ihrer Kreativität zu kommen, da die Domänen immer vielschichtiger, komplexer und vernetzer werden. Da benötigt es Zeit, bis sich Erfahrung und Wissen gesammelt haben. In unserer schnelllebigen Welt bedarf die Kreativität auch der Langsamkeit.
Wir sehen immer nur die jungen Mitarbeiter bei Google, Apple und Facebook und denken, dass dies die Hubs der Kreativität sind. Das ist doch medialer Mythos, der immer wieder befeuert wird, als ob die Welt nur aus Google, Apple und Facebook besteht. Wir sollten doch auch einmal andere Beispiel zeigen, denn dies bewirkt: Ältere Menschen werden unsicherer, glauben nicht mehr an sich, in anderen Worten ihre Haltung zur Kreativität wird negativ.
Umgekehrt: Behindert die Erfahrung manchmal auch die Kreativität? Wird die Schere im Kopf immer radikaler und beschneidet zu frühzeitig eine zündende Idee?
Erfahrung kann den Perspektivenwechsel verhindern, den Blick über den eigenen Tellerrand. Wer satt und zufrieden in seiner Erfahrung lebt, kommt nicht mehr auf zündende Ideen. Da müssen ältere Menschen wach gerüttelt werden. Unternehmen können hier ein gutes Mittel einsetzen bei Kreativität im Team: Alte Hasen mit Novizen kombinieren. Erfahrung trifft auf Unbeschwertheit. Das funktioniert natürlich nur, wenn sich die Teammitglieder aufeinander zu bewegen und sich wertschätzen.
Mark Zuckerberg, Bill Gates, die Google-Gründer - viele Köpfe, die mit ihren Innovationen heute die Welt beherrschen, haben sehr jung angefangen. Liegt es vielleicht nicht allein an der Kreativität, sondern auch an einer gewissen kreativen Furchtlosigkeit?
Die Erwähnten sind alles Macher. Und in der Tat, wer immer nur zweifelnd denkt, der zaudert und zögert. Wer immer nur daran denkt, was alles schief gehen kann, wird nicht aktiv werden. Kreativität heißt auch, sich der Situation zu stellen und einfach loslegen. Ich nenne dies die performative Dimension der Kreativität. Und dabei muss es auch ok sein, dass Fehler gemacht werden und Misserfolge entstehen können. Aber gerade daraus lernt man doch am meisten. Die genannten Beispiele, vielleicht zufällig, sind Amerikaner. Die amerikanische Kultur ist eine Macherkultur, die Fehler und Misserfolg produktiv in neue Kreativität wandelt. Die deutsche Kultur ist viel reflektierter, Fehler sollen vermieden werden, werden viel eher bestraft.
Anders gefragt: Wieviel Furchtlosigkeit braucht die Kreativität?
Davon kann man nie genug haben. Sie darf nur nicht in blinden Aktionsmus verfallen.
Wird auch die eigene Kreativität einfach mal müde und alt? Wie kann man sich vor zuviel Routine schützen?
Die klassische Antwort von Trainern wäre: Setzen sie doch Kreativitätstechniken ein. Da gibt es 100 von Büchern, aber wirklich gute sind wirkliche Gold Nuggets. Selten wird die kreative Müdigkeit durch simple Techniken behoben. Gibt es ein Patentrezept gegen die Müdigkeit und "alternde" Kreativität: Immer wieder die Perspektive wechseln, sich von der Umwelt stimulieren lassen, alles was wir sehen, kann ein kreativer Stimulus für ein Problem sein, vor dem wir stehen. Man muss an seiner Kreativität dran bleiben, Haltung wahren und bewahren. Hape Kerkeling in der Rolle der Paartherapeutin Evje van Dampen hat es super auf den Punkt gebracht: "Liebe ist Arbeit … Arbeit … Arbeit". Ich würde sagen: "Kreativität ist Arbeit … Arbeit … Arbeit".