Otto Retail Media:
Wird Otto das deutsche Amazon?
Otto nimmt sich ein Vorbild an Amazon und Zalando und geht beim Thema Retail Media in die Offensive. Für wen das neue Angebot spannend ist, beantwortet Jan Bechler, Geschäftsführer Finc3.
Fast unbemerkt hat Otto Group vor kurzem seine Media-Aktivitäten neu aufgestellt. Aus Otto Media wurde Otto Retail Media, außerdem haben die Hamburger das Angebotsspektrum in Sachen Werbung erweitert. Für Hersteller und Händler wirft das einige Fragen auf. Jan Bechler, Gründer und Geschäftsführer der Agentur Finc3 Commerce über Hintergründe und Chancen. Die Agentur begleitet Kunden wie Unilever, Bosch und Bahlsen bei ihrem Engagement auf Online-Plattformen und Marktplätzen
Was ist Retail Media überhaupt?
Retail Media ist bereits seit einigen Jahren ein Wachstumsthema. Die Idee: Marken können direkt auf Handelsplattformen werben. Händler haben dadurch die Chance auf zusätzliche Erlösströme neben der reinen Handelsmarge. Und Marken können während des Verkaufsprozesses noch mal Einfluss nehmen.
Das Vorbild einer solchen Vermarktung ist – wie in vielen modernen Handelsthemen – Amazon. Marken und Händler können dort im Self-Service Anzeigen in Suchergebnissen und auf Produktseiten ersteigern – zudem bietet Amazon auch die Möglichkeit, potentielle Kunden außerhalb der eigenen Plattform auf Basis von Amazon-Daten anzusprechen. Technisch funktioniert das ähnlich wie bei Google und Facebook. Und aufgrund der enormen Reichweite ist Amazon mittlerweile neben diesen beiden zum dritten großen Ökosystem in der Werbebranche herangewachsen.
Was kann das Angebot?
Otto Retail Media kümmert sich um die zahlreichen Shops des Konzerns – was es zukünftig einfacher macht, Kampagnen über alle Händler der Otto-Gruppe zu streuen. Neben der klassischen Handelswerbung (Flyer-Integration, In-Store-Promotions usw.) bietet Otto Retail Media dabei Funktionalitäten, wie man sie auch von anderen Marktplätzen kennt – so genannte Sponsored Product Ads. Diese können auf Produktlistenseiten, Suchergebnisseiten und Produktdetailseiten angezeigt werden. Anders als bei Amazon kann man bei Otto keine Suchbegriffe belegen, sondern Kategorien. Grund dafür ist, dass sich Otto-Kunden wohl stärker anhand der Kategorien bewegen. Noch nicht klar ist, ob man zukünftig trotzdem auch bestimmte Produkte wird belegen können. Ottos bisherige Linie macht dies aber wahrscheinlich.
Zudem ist auch bei Otto Werbung außerhalb der Plattform auf Basis der Otto-Daten möglich. 150 segmentierte Zielgruppen stehen hier zur Verfügung.
Als organische Möglichkeit, die Performance des eigenen Angebots zu verbessern, spielt die Pflege der Produktdaten eine wichtige Rolle. Man sollte also bei einem Fernseher nicht allein Marke und Modell hinterlegen, sondern auch Bildschirmdiagonale, Anschlüsse usw. Die detailliertere Datenpflege macht das eigene Produkt nicht nur besser auffindbar, es verbessert auch die Position im Suchranking und freut die Kunden. Gleichzeitig werden natürlich auch die Sponsored Product Ads besser zugeordnet, wenn die Daten entsprechend gut gepflegt sind.
Was vermissen Sie?
Im ersten Schritt findet die Buchung der neuen Produkte von Otto Retail Media immer noch händisch per Excel-Formular statt. Die Self-service-Möglichkeiten sind aber bereits in Planung. Gut vor allem für Agenturen wäre, wenn gleichzeitig zentrale Agentur-Accounts und –Dashboards entstünden, bei denen man verschieden Kunden aus einem Account betreuen kann. Im Bereich Targeting ist Otto ebenfalls erst am Beginn einer Strecke – gleichzeitig aber deutlich weiter als viele andere, insbesondere in Deutschland. Insgesamt ist das Angebot also ein echt mächtiger Schritt nach vorne und damit eine große Chance für Händler und Marken. Gleichzeitig wünschen wir uns von Otto ein Stück B2B-Kundenorientierung durch Bereitstellung einer API-Schnittstelle. Denn Online-Werbung sollte nie in Plattformen und stattdessen in Zielen gedacht werden. Und diese Planung kann nur dann funktionieren, wenn die Daten übergreifend nutzbar sind.
Für wen ist Otto Retail Media attraktiv?
Will man nicht einen großen Teil der kaufwilligen Kundschaft vernachlässigen, ist es grundsätzlich immer empfehlenswert, auf Online-Marktplätzen nicht nur mit seinen Produkten gelistet zu sein, sondern die Plattformen aktiv zu managen und auch als Advertising-Kanal zu nutzen. Wer früh startet, hat dabei nicht nur bereits Wissen gesammelt, während andere noch drüber nachdenken – auch die Clickpreise könnten zum Start des neuen Angebots geringer ausfallen.
Spannend an Otto ist, dass die Kundschaft weniger preissensibel zu sein scheint als beispielsweise bei Amazon. Zudem kann die starke Position von Otto bei Möbeln dazu führen, dass hier ein extrem starkes Gesamtpaket für Hersteller entsteht. Schlussendlich entscheidet über Erfolg und Misserfolg und die Chancen, es mit Amazon aufzunehmen, aber die Relevanz der Otto-Plattformen insgesamt. Es ist daher vermutlich kein Zufall, dass Otto Retail Media fast gleichzeitig mit dem weitestgehend automatisierten Marktplatz-Onboarding gelauncht wurde. Nur wenn es Otto gelingt, über einen möglichst großen Teil des Sales-Funnels für Kunden relevant zu sein, kann auch Retail Media erfolgreich werden. Die Chancen dazu stehen nicht schlecht. Für Hersteller und Kunden ist es wichtig, dass es dauerhaft nicht nur Amazon als Universalanbieter auf dem deutschen Markt gibt. Zudem hat Otto in vielerlei Hinsicht gezeigt, dass es den Willen und das Durchhaltevermögen zur Transformation hat.