Folgen für Agenturszene:
Wie britische Werber in Deutschland zum Brexit stehen
Am 29. März 2019 verlässt Großbritannien die EU, viele Fragen sind noch offen. Das betrifft auch die hiesige Agenturszene. Über die Folgen des Brexit sprechen britische Werber, die in Deutschland leben und arbeiten.
Der Countdown läuft. Am 29. März 2019 sagt Großbritannien Bye-bye zur Europäischen Union. Zehn Monate noch. Was danach kommt, hängt in der Schwebe. Im ungünstigsten Fall droht ein harter Brexit ohne jegliche Übergangsfrist. Unvorbereitete Agenturen geraten dann in die Bredouille.
EU und Vereinigtes Königreich ringen in zähen Verhandlungen, wie sie ihr künftiges Miteinander gestalten. Was passiert mit den EU-Bürgern, die auf der Insel leben, was mit den Briten, die auf dem europäischen Festland weilen? Verabschiedet sich Großbritannien aus der Zollunion und dem digitalen Binnenmarkt? Was bedeutet der Brexit für Geschäftsabkommen, die den EU-Raum umfassen?
Wie stehen britische Mitarbeiter zum Brexit?
Vieles betrifft die hiesige Agenturszene unmittelbar, quer durch die Genres. Kreativschmieden und ihre Kunden, die sich Marken- und Nutzungsrechte EU-weit gesichert haben. PR-Häuser, die Engländer beschäftigen oder Berater in die Heimat der Queen entsenden. Eventagenturen, die jenseits des Ärmelkanals Veranstaltungen durchführen oder Dependancen unterhalten. Digitalstudios, die mit britischen Partnern vertrauliche Daten austauschen.
Trotzdem befassen sich derzeit nur die wenigsten Agenturen mit dem Thema. Wie stehen britische Mitarbeiter zum Brexit? Welche Sorgen verbinden sie damit? Welche Folgen hat der anstehende EU-Austritt für ihr Leben und ihre Arbeit in Deutschland?
In der Titelstory beleuchtet W&V 21/2018 den Stand der Dinge, mögliche Szenarien und deren Auswirkungen auf Deutschlands Agenturszene.
Darin berichten britische Mitarbeiter deutscher Agenturen, was der Brexit für sie bedeutet. Hier sind ihre Einschätzungen:
"Britische Agenturen werden sich schwer tun, Talente zu halten"
Alastair Whittle, 50, seit 2015 Managing Director bei Grey Works, Düsseldorf. Geboren in London.
"Dass Großbritannien nicht länger eine führende Rolle in der EU spielen will, stimmt mich traurig. Das richtet sich gegen etwas, für das Großbritannien in meinen Augen steht: gegen Vielfalt. Die britische Agenturszene wird sich schwertun, die besten Talente zu halten und zu gewinnen. Ich glaube, Europa braucht ein starkes Großbritannien – und umgekehrt.
Welche Folgen der Brexit haben wird, weiß im Moment keiner. Die britische Botschaft hält mich auf dem Laufenden. In der Zwischenzeit arbeite ich an meinen Deutschkenntnissen und bereite mich auf den Einbürgerungstest vor, in erster Linie aus persönlichen Gründen. Ich hoffe, mein Verständnis von Globalität nützt deutschen Marken und Agenturen, um eine stärkere, eine entscheidende Rolle auf der internationalen Bühne zu spielen.“
"Rückkehr nach Großbritannien? Nicht in naher Zukunft"
Laurence Orr, 33, seit 2010 im Translation Management von Scholz & Friends Neumarkt, Hamburg. Geboren in Johannesburg, Südafrika, aufgewachsen in York.
"Jede Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit wirkt sich negativ auf die Wirtschaft aus, auch auf die britische Werbewirtschaft. Die Haltung der britischen Regierung wird es Agenturen vermutlich erschweren, Dienstleistungen zu exportieren und Talente zu rekrutieren. Das wird Einfluss auf den Werbesektor in anderen EU-Ländern haben. Amsterdam, Berlin und Paris konkurrieren bereits verstärkt um Auftraggeber und Mitarbeiter, die Großbritannien den Rücken kehren. Meine Hoffnung ist, dass die in der EU geltende Freizügigkeit auch nach dem Brexit erhalten bleibt.
Seit August 2016 besitze ich die deutsche Staatsbürgerschaft. Ich brauche mich nicht länger zu sorgen, ob ich weiterhin hier leben und arbeiten kann. Eine Reihe von Briten, die ich kenne, geht denselben Weg oder plant es. Das Brexit-Votum hat es höchst unwahrscheinlich gemacht, dass ich in naher Zukunft nach Großbritannien zurückkehre."
"Vielleicht verdienen wir den Spitznamen ‚Inselaffen’"
Damaris Kuzminski, Managing Director & International Coordination bei Scholz & Friends, Hamburg. Geboren auf Thorney Island, West Sussex.
"Ich denke, der Brexit ist der größte Fehler meines Landes seit der Suezkrise 1956. Ich fühle mich irgendwie wie eine Hinterbliebene, der man die Heimat genommen hat. So freundlich, wie ich in Deutschland aufgenommen wurde, beschämt es mich, dass viele europäische Kollegen von einigen meiner Landsleute nicht so tolerant behandelt werden. Vielleicht verdienen wir den Spitznamen ‚Inselaffen’. Die Konsequenz des Brexits ist eine Auszehrung britischer Weltoffenheit. Unsere Kultur, unsere Gesellschaft haben stets jene bereichert, die wir zu uns einluden. Den Italienern verdanken wir ‚Fish and Chips’, die Menschen aus der Karibik brachten uns ihre Musik, aus Bangladesch haben wir das Lammcurry, von den Hugenotten die Arbeitsmoral und von den Iren die Pubs, nicht zu vergessen die Normannen, die unsere Burgen bauten. Was mich betrifft: Ich fühle mich wie eine Waise – und hoffe, dass Deutschland mich adoptiert."
"Die Veränderungen werden am Ende gar nicht so dramatisch sein"
Tom Davis, 38, Executive Strategy Director bei Vorn Strategy Consulting, Hamburg (Hirschen Group). Geboren in Winchester, Hampshire.
"Ohne die EU würde ich weder in Deutschland leben noch arbeiten, hätte keine deutsche Frau, keine Familie mit zwei zweisprachig aufgewachsenen Kindern und doppelter Staatsangehörigkeit. Die Meinungen um den Brexit sind emotional und gegensätzlich. Mehr als die Hälfte der befragten CMOs in UK glaubt, dass der Brexit mehr Chancen als Risiken birgt. Auf der anderen Seite sind viele EU-Vermarkter besorgt über ihre Zukunft in Großbritannien. Letztlich ist London jedoch ein kreativer Knotenpunkt, der sich über Nacht nicht verändern wird.
In meiner Familie und meinem Freundeskreis gibt es ‚Remainers’ und ‚Brexiters’. Man kann sich leicht vorstellen, wie aufgeregt die Whatsapp-Gruppen werden, wenn das ‚B’-Wort fällt. Aber es beginnt sich ein wenig zu beruhigen. Ich für meinen Teil bin optimistisch. Die Veränderungen werden am Ende dann gar nicht so dramatisch sein."
"Rückwärtsgewandte Bewegung“
Bryan James, 31, seit 2018 Design Director bei Denkwerk, Köln. Geboren in Sunderland, Nordengland.
„Meiner Meinung nach handelt es sich beim Brexit um eine rückwärtsgewandte Bewegung im Vorwärtsdrang unserer Kultur. Ich habe die Sorge, dass Briten ihre Aufgeschlossenheit für unterschiedliche Nationalitäten einbüßen könnten, und das wirkt hinein in zahlreiche Facetten einer klugen, spannenden und lebendigen Kultur.
Auch wenn es nervig wäre, hierzulande das Verfahren für ein Visum zu durchlaufen: Ich sehe das entspannt. Schade wäre, wenn sich Leute aus Unkenntnis abhalten lassen, ins Ausland zu gehen. Das wären vertane Chancen, entgangene Begegnungen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer spanischen Kellnerin, sie fürchtete ernstlich, dass man sie in den nächsten Wochen aus Großbritannien ausweist. Das spricht Bände, wie unklar die Lage nach dem Brexit-Votum ist.“
„Großbritannien wird wirtschaftlich und kulturell ärmer werden“
Andrew Bennett, 29, seit 2017 Consultant bei Media Consulta, Berlin. Geboren in Buckinghamshire.
„Großbritannien hat leider seit dem Referendum seinen Ruf als ein offenes und global orientiertes Land verloren. Viele EU-Bürger haben wegen der Unsicherheit und Atmosphäre bereits das Land verlassen. Langfristig werden sicher wichtige Fachkräfte fehlen, etwa im Gesundheitswesen. Ich bin deswegen sehr pessimistisch. In meinem Bekanntenkreis war der Brexit ein großes Thema. Doch je mehr Zeit vergeht, desto weniger intensiv wird darüber gesprochen. Den Brexit hinzunehmen, sich damit abzufinden ist gefährlich für die ‚Remain’-Bewegung.
Ich glaube, dass die Konsequenzen für Großbritannien sehr negativ sein werden: Es wird weniger EU-Bürger mit all ihren Fähigkeiten, Erfahrungen und ihrer Kreativität ins Land ziehen. Höhere Zölle, weniger Investitionen aus dem Ausland, erneute Probleme mit Nordirland. Großbritannien wird nach dem Brexit ein wirtschaftlich und kulturell ärmeres Land sein.“
"Briten realisieren langsam, was der Brexit bedeutet"
Alastair Clewer, 33, seit 2015 Consultant bei Media Consulta, Berlin. Geboren in Reading, Berkshire.
„Die Debatte, die wir vor dem Referendum in Großbritannien gebraucht hätten, ist jetzt in vollem Gange. Meine Landsleute realisieren gerade, was der Brexit tatsächlich bedeutet: für Jobs, Arbeitnehmerrechte, mit Blick auf die Freizügigkeit in der EU. Meine europäischen Kollegen zeigen sich enttäuscht, dass Großbritannien das europäische Projekt untergräbt. Die meisten weisen auf die zahlreichen Ausnahmeregelungen hin, die mein Heimatland in der EU genießt, und sind irritiert über die Ansprüche der britischen Regierung in den Verhandlungen.
Ich werde zwar das Recht behalten, in Deutschland und anderen EU-Ländern zu leben und zu arbeiten, aber im Moment sieht es so aus, als würde ich dafür künftig ein Visum benötigen. Das frustriert mich natürlich. Wer vor dem Referendum in EU-Länder kam, sollte weiterhin Freizügigkeit genießen, selbst wenn Großbritannien das umgekehrt EU-Bürgern verwehrt. Die EU könnte damit ihre Werte demonstrieren.“
„Viele Unsicherheiten, viele Wenns und Danns“
Paris Davis, 27, seit 2016 PR Consultant bei Media Consulta, Berlin. Geboren in Nottingham, East Midlands.
„In den vergangenen Jahren habe ich in Paris und Kopenhagen gelebt, jetzt in Berlin: Ich fühle mich mehr als Europäerin denn als Britin. Dass ich künftig nicht mehr das Recht haben könnte, in EU-Ländern zu leben und zu arbeiten, wo und wie ich will – dieser Gedanke ist beunruhigend.
Unmittelbar nach dem Brexit-Votum war ich besorgt, welche Veränderungen jetzt in Deutschland auf mich zukommen. Aber es heißt: Briten, die vor dem Brexit in ein EU-Land ziehen, werden ein Bleiberecht haben. Sollte der Brexit starke Einschränkungen oder erheblichen Komplikationen für das Leben und Arbeiten in der EU nach sich ziehen, werde ich definitiv in Erwägung ziehen, die Staatsbürgerschaft eines EU-Lands anzunehmen. Das würde wohl bedeuten, dass ich meinen britischen Pass über kurz oder lang verliere. Ein schönes Gefühl ist das nicht. Noch gibt es viele Unsicherheiten und Wenns und Danns.“