Interview mit Timo Christophersen:
Wie Otto Algorithmen in der Kundenkommunikation einsetzt
Arbeitet an einem der größten Projekte Europas für Business Intelligence: Ottos Data Scientist Timo Christophersen. Auf der W&V Marketing Convention und im W&V-Interview erklärt der Datenexperte, welche Ziele die Otto Group verfolgt.
Um den Kundenkontakt zu intensivieren, setzt die Otto Group auf Automation. Timo Christophersen, der den Bereich Data Science bei Otto leitet, erklärt im W&V-Interview, wo Algorithmen beim Händler Sinn ergeben - und wie Mensch und Maschine ineinander greifen. Christophersen spricht bei der W&V Marketing Convention am 5. Juli in München.
Was versteht man bei Otto unter Data Science - und welchen Nutzen bringen Daten und Algorithmen dem E-Commerce?
Im Bereich Data Science entwickeln wir mit Verfahren der künstlichen Intelligenz alle Algorithmen, die wir für die Steuerung unseres Kunden- und B-to-B-Partnergeschäfts benötigen. Die Bandbreite an verschiedenen Themen ist sehr groß. So arbeiten wir zum Beispiel eng mit den Kollegen zusammen, um die Werbebudgets von Otto bestmöglich auf die verschiedenen Kanäle zu allokieren. Mit Hilfe von Bilderkennungsalgorithmen bestimmen wir wichtige Merkmale unserer Produktabbildungen, um sie auf Otto.de und in der App einsetzen zu können. Um unsere Logistik-Leistungen zu verbessern, berechnen wir diverse Prognosen, die eine optimale Personalplanung in den Lägern ermöglichen. Sie sagen voraus, wie viel Ware wir uns aufs Lager legen sollten, um Bestellungen so schnell wie möglich bedienen zu können. Die Liste der Anwendungsfälle im E-Commerce ist lang. Data Science ist aber nur eine Disziplin innerhalb des Bereichs Business Intelligence – kurz BI: Wir arbeiten in interdisziplinären Teams an einem der größten BI-Projekte Europas, das die Entwicklung einer umfassenden Daten- und Analyseplattform zum Ziel hat. Neben Künstlicher Intelligenz geht es hier um die Bereitstellung von Reportings, Planungstools und Steuerungsdaten für unsere Prozesse.
Was passiert mit Data Science speziell in der Kundenkommunikation?
Vieles. Aus der Entstehungsgeschichte unseres Unternehmens heraus stehen die Kunden gerichteten Leistungen im Mittelpunkt unserer täglichen Arbeit. Ein Beispiel sind Produktlisten, die von Algorithmen bestmöglich sortiert werden. Ein anderes ist, dass wir mithilfe von "Textmining" die wichtigsten Aspekte aus Artikelbewertungen im Shop herauslesen, damit der Kunde diese schnell und einfach erfassen kann. Und nach wie vor extrem wichtig sind die Produktempfehlungen auf Otto.de. Sie bilden die Basis dafür, dass der Kunde sich schnell in unserem breiten und wachsenden Sortiment zurechtfindet und schnell genau das findet, was ihn begeistert. Wir setzen an unterschiedlichen Stellen des Shops verschiedene Algorithmen ein, um persönliche Empfehlungen auszuspielen, ähnliche Artikel anzubieten und Komplementärartikel – etwa Zubehör - zu empfehlen. Bei der W&V Marketing Convention in München werde ich auf das Thema Produktempfehlungen weiter im Detail eingehen.
Wie kann man den persönlichen Kundenkontakt über Automation intensivieren?
Ein schönes Beispiel dafür ist die Verarbeitung von Kunden-E-Mails. Unsere Kunden treten in ihren E-Mails mit ganz unterschiedlichen Anliegen an uns heran. Es gibt Fragen zum Versandstatus, zum Kundenkonto, zu einzelnen Produkten und so weiter. Um diese schnell und qualifiziert beantworten zu können, ist es wichtig, dass die E-Mails kurz nach ihrem Empfang von uns zunächst in diese verschiedenen Themenbereiche klassifiziert werden. Das kann man natürlich von Mitarbeitern machen lassen - aber es dauert lange und ist intellektuell nicht gerade anspruchsvoll. Daher analysieren wir den Inhalt der Mails zunächst automatisch und klassifizieren ihn, damit das Anliegen der Kunden anschließend schnell im persönlichen Kontakt adressiert werden kann.
Wie lassen sich Daten und Business Intelligence mit den traditionellen Bereichen von Otto nachhaltig zusammenbringen und verschmelzen?
Die Algorithmen und auch alle anderen Lösungen, die wir im Bereich Business Intelligence erarbeiten, können nur dann richtig gut sein, wenn wir sie in unmittelbarer Zusammenarbeit mit den jeweiligen Kollegen in den verantwortlichen Fachbereichen zusammen entwickeln. Denn in der Regel sind die Fachprozesse so spezifisch, dass man sie erst ganz genau kennenlernen muss, bevor eine datenbasierte Anwendung ihr Potenzial entfalten kann. Daher arbeiten nahezu alle BI-Mitarbeiter auch dauerhaft mit den jeweiligen Fachbereichskollegen zusammen, für die wir Leistungen erbringen. Neben der Passfähigkeit geht es außerdem ganz wesentlich um das Thema Vertrauen. Vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den Fachbereichs- und BI-Kollegen ist die essenzielle Voraussetzung dafür, dass bestehende Prozesse verändert, optimiert und automatisiert werden können. Vereinfacht gesagt bin ich erst dann bereit, der Maschine einen Teil meiner Verantwortung abzugeben, wenn ich weiß, dass es wirklich gut funktioniert und es deutliche Vorteile mit sich bringt. Wir haben für diese "interne Vorteilskommunikation" eigene Anwendungen entwickelt, die den Change in Richtung Automatisierung erfolgreich vorangetrieben haben.