Dialogmarketing:
Wenn Künstliche Intelligenz den Sommelier ersetzt
Im Einsatz von KI liegen zahlreiche Vorteile - doch einem Bereich wird noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt: postalischen Mailings. Gastautor Robert Rebolz zeigt, welche Chancen darin liegen - und was das mit Wein zu tun hat.
Während der Kampf um den Kunden zusehends schwieriger wird und sich der Markt im Eiltempo stetig weiterentwickelt, ist der technologische Fortschritt kaum aufzuhalten. Als Konsequenz daraus nehmen auch die Anforderungen an das Marketing unaufhörlich zu. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) ist aufgrund dessen mittlerweile fast ein Muss für jeden Marketer. An dieser Stelle werden im digitalen Marketing bereits viele Kräfte genutzt, sodass eine deutliche Verbesserung der Kundeninteraktion auf Basis von smart eingesetzten Daten realisiert werden konnte.
Postalische Mailings gewinnen an Bedeutung
Briefe, Postkarten und andere Werbesendungen blieben in diesem Zusammenhang bei vielen zunächst außen vor. Obwohl postalische Mailings insbesondere in Zeiten der DSGVO wieder deutlich an Bedeutung gewinnen (da diese kein Opt-in erfordern), werden die Chancen der neuen Technologien noch nicht vollends genutzt. Eine Vielzahl der postalischen Kampagnen wird nach dem Standard der 1990er Jahre betrieben: Daten werden manuell selektiert und eine Datendatei sowie Designs per SFTP-Server an Lettershops übermittelt. In der Regel sind die Inhalte der Kampagne bei diesem Verfahren nur begrenzt personalisiert. Doch genau an diesem Punkt ist aktuell eine einschneidende Entwicklung zu beobachten, welche durch Softwarelösungen ermöglicht werden. Im Folgenden zeigen eine Reihe von Experten, wie Print-Mailings erfolgreich auf Basis neuester Möglichkeiten betrieben werden kann. Marketing Clouds als Fundament neuer Kommunikationswege Marketing Clouds und Kampagnenmanagement-Lösungen können den richtigen Content zum perfekten Zeitpunkt im passenden Kanal auszuspielen.
Unternehmen wie Salesforce, Emarsys, Dymatrix, CrossEngage und Co. setzen bereits konstant auf den Ausbau Künstlicher Intelligenz. Bernd Wagner – Area Vice President EMEA Central bei Salesforce – resümiert zu den Perspektiven auf dem Feld der Kundeninteraktion: „Künstliche Intelligenz ist ein elementares Werkzeug, um den Kunden in den Mittelpunkt sämtlicher Geschäftsaktivitäten zu stellen. Mit der intelligenten Datenanalyse sind Unternehmen in der Lage, eine komplett neue Beziehung zu ihren Kunden aufzubauen, weil sie Verknüpfungen zwischen dem Verhalten, den individuellen Interessen und der Historie eines jeden Kunden automatisiert herstellt und so ein relevantes und personalisiertes Markenerlebnis kreiert, das alle Touchpoints einbezieht.“
Laut Wagner gilt dies nicht nur auf den digitalen Kanälen: „Das ist auch für den Einsatz von Direct Mail relevant, da sich mithilfe der intelligenten Datenanalyse beispielsweise Vorhersagen zu optimaler Ansprachehäufigkeit und -frequenz treffen lassen, um den Sendevorgang zu optimieren.“ Bestätigt wird das auch von Fatimata Sow, Abteilungsleiterin CRM bei der Verti Versicherung, bei der Direct Mailings per Software gesteuert werden: „Individuelle Kundenansprache und Personalisierung sind nicht mehr wegzudenkende Erfolgsfaktoren einer jeden direkten Werbeansprache. Das gilt für die digitalen Kanäle in gleichem Maße wie für Print.“
Reaktivere Cross-Channel Kampagnen durch Künstliche Intelligenz
Die neuen Möglichkeiten sind in vielen Unternehmen noch Zukunftsmusik. Dass Briefe, Postkarten & Co. in eine Customer Journey gehören, ist jedoch bereits für viele Marketer klar. Doch die Harmonisierung dieser mit anderen Kanälen sowie die automatisierte und maximal personalisierte Aussteuerung erfordert bislang oft noch einige zusätzliche Schritte. Denn nur derjenige, der seine Methoden dem aktuellen Marktgeschehen anpasst und den Kunden als Individuum sieht, kann langfristig bestehen. Isabell Rösch, Customer Relationship Managerin bei Orsay, sieht hierin ebenfalls deutliches Potenzial für den Modehändler: „Der Einsatz von Direct Mail ändert sich für Orsay durch Marketing Automation und Künstliche Intelligenz signifikant. Durch die neuen Möglichkeiten werden reaktivere Customer Journeys aufgesetzt, welche direkt auf den Bedarf des einzelnen Kunden eingehen. Hierbei wird die Komplexität aller postalischen Mailingstrecken gesteigert und bringt durch den höheren Grad an Personalisierung auch einen deutlichen Uplift in Response und dem jeweiligen Zielergebnis, z. B. der Kundenbindung oder dem Umsatz.”
Auf die Praxis übertragen muss das Ziel gesetzt werden, in Customer Journeys zu denken und zu arbeiten. Betrachten wir zum Beispiel das Szenario einer Erstkäuferin, die zum treuen Kunden heranwachsen soll. Ist es ausreichend, derartige Kunden nach einem Monat mit einem schlichten Willkommensschreiben zu begrüßen oder vierteljährlich in einer Aktivierungsstrecke mit einer Postkarte zu beglücken? Die Antwort lautet „Nein”. Weder in digitalen Journeys noch bei postalischen Mailings sind statische Anstöße zeitgemäß. Sandra Sucher – Senior CRM Manager bei Ludwig Görtz – strebt danach „durch Automation und Digitaldruck viel flexibler auf Kundenereignisse zu reagieren“. Die Künstliche Intelligenz kann kundenspezifisch auf Basis des Warenkorbs, des Browsingverhaltens und weiterer Attribute des Erstkaufs bestimmen, wann ein Zweitkauf wahrscheinlich ist und welcher Kundenwert erwartet werden kann. So kann selektiert werden, ob sich eine Investition in die Kundenbeziehung lohnt. Entscheidend ist, dass jeder Kunde hochindividuell betrachtet wird. Die Technologie liefert die notwendigen Impulse, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form eine Ansprache stattfinden muss. Aus der Marketing Cloud (o.Ä.) können so die verschiedenen Kanäle sowie Print Mailings voll automatisierten und agil ausgesteuert werden.
Der global führende Kochboxenversender HelloFresh setzt bereits auf Machine Learning, wenn es um die Kundenselektion für physische Mailings geht. In Kombination dazu nutzt das Unternehmen intensives A/B-Testen von z. B. Anreizen mit einer Differenzierung von Content- und Anreiz-getriebenen Zielgruppen.
1-zu-1 Personalisierung als Schlüssel für nachhaltigen Erfolg
Ein weiterer Aspekt ist die maximale Personalisierung der Ansprache, welche durch Künstliche Intelligenz verbessert und stellenweise überhaupt erst ermöglicht wird. Zwar ist es im E-Mail-Marketing bereits seit langem die Norm, auf einen Recommendation Engine (z. B. bei Produktempfehlungen) zurückzugreifen, im postalischen Bereich jedoch sehen wir häufig nach wie vor das klassische Massenmailing. Da jeder Kunde unterschiedliche Bedürfnisse hat und dementsprechend individuell angesprochen werden muss, müssen diese Daten auch für postalische Mailings genutzt werden, will man hier ähnliche Verbesserungspotenziale heben. Setzen Betriebe die Automation des Print Mailings auf, ist dies in den meisten Fällen nur der erste Schritt: Viele Unternehmen wissen, dass „speziell für Sie (die Kundin) empfohlene Produkte” im E-Mail-Marketing nicht nur die Conversion-Raten steigern. Oft erhöht dies sogar langfristig Öffnungsraten, da sie die Relevanz der E-Mail-Strecken wiederentdeckt. Weshalb sollte das bei postalischen Mailings anders sein? Auch hier sind die praktischen Anwendungsfälle überaus spannend: Ein Weinhändler kann statt der klassischen „Weine der Saison” konkrete Empfehlungen aussprechen.
Die KI agiert sozusagen als Sommelier und ersetzt den „Marktschreier” durch maximal relevante Produkte. Der digitale Fachhandel für Handwerksbedarf – Contorion - kommuniziert auf diesem Wege gezielt mit Handwerkern, die Verbrauchsgüter gekauft haben. Er erinnert sie zum individuell passenden Zeitpunkt an die Nachbestellung dieser Artikel und spricht weitere Empfehlungen aus. Die Künstliche Intelligenz fungiert als perfekt informierter Verkaufsberater. Und was bringt das alles auf wirtschaftlicher Ebene? Thomas Dold, Geschäftsführer bei Dymatrix, einem führenden Lösungsanbieter für Customer Analytics, Marketing Automation und Kampagnenmanagement hält hierzu fest: „Intelligente Personalisierung durch KI im Bereich Direct Mail erhöht nachweislich die Conversion Rate, minimiert die Streuverluste und den CPO [Cost-per-Order].” Der Profitabilitätsschub durch intelligente Steuerung von Direct Mailings liegt zwischen 30 und 70 Prozent. Eine Rate, die für sich spricht und keinesfalls vernachlässigt werden darf.
Robert Rebholz ist Geschäftsführer bei optilyz, Software-Anbieter für postalische Mailings. Vor optilyz leitete er die Internationalisierung verschiedener Internet-Firmen. Seine Karriere begann er als Unternehmensberater bei A.T. Kearney. Rebholz hält Abschlüsse der UCLA und der WHU.