Julia Capulet und MeToo:
Was Romeo durfte, dürfen nicht alle Passanten
Busengrapscher. In aller Öffentlichkeit: Man sieht es der Statue von Julia an, dass Touristen hier gern mal handgreiflich werden. Lea Thurner hatte daraufhin eine Idee.
Shakespeares Geschichte von Romeo und Julia kennt eigentlich jeder: Das junge unglückliche Liebespaar aus Verona stammte aus verfeindeten Familien. Und ging dafür in den Tod. 1974 schenkte Verona seiner Partnerstadt München eine Bronzestatue der tragischen Julia Capulet, Schirmherrin der Liebenden, sie steht seither am Alten Rathaus der bayerischen Metropole.
Und da muss sie sich einiges bieten lassen: Angeblich hat man einen Wunsch frei, wenn man an Julias rechter Brust rubbelt. Es kann nicht schön sein, von tausenden Touristen betatscht zu werden, dachte sich Lea Thurner, als sie eines Tages an Julia vorbeikam. Und hatte eine Idee: Als Textpraktikantin bei der Münchner Agentur Freie Radikale sah sie sofort eine Möglichkeit, Passanten und Touristen zum Nachdenken zu bringen. Denn: Julia hat - wie Millionen von Frauen - keinen Bock mehr.
Ein schlichter Aufkleber war genug: Hinter Julia prangte am 4. Juni das #MeToo-Logo. Und schon steht Julia für eine starke Aussage, die seit vergangenen Oktober die Opfer sexueller Diskriminierung und Übergriffe stärkt und zusammenschweißt.
Nicht sicher war, ob die Vorbeigehenden den Appell gegen Grapschen als Affront auffassen würden. Doch während der zwei Stunden, die Lea Thurner bei ihrer Idee verbrachte, erntete sie nur positive Reaktionen, erzählt sie.
Gleich morgens hat sie mit zwei Freunden das Guerilla-Plakt angebracht. Und dann mit ein wenig Abstand die Reaktionen der Passanten beobachtet. "Gleich der erste war ein Herr im Anzug", erzählt Thurner - überrascht hat sie, dass er gleich begeistert war, ein Foto schoss und sie auf die "coole Aktion" ansprach. So ging das weiter, berichtet die Kreative. Sie freut sich: Vor allem viele Männer seien auf die Aktion eingegangen.
Dass die Aktion damit funktioniert hat und eine Wirkung erzielte, freut Lea Thurner sehr. Diese Wirkung entfaltet sich nun weiter: Die München-Redaktionen von Süddeutsche und Abendzeitung planen Artikel zur Aktion.
Die natürlich bereits beendet wurde: Noch am Vormittag, berichtet Thurner, habe eine Bekannte beobachtet, wie das Plakat entfernt worden sei. Es kann sein, dass die Aktion ein Nachspiel hat: Schließlich kann nicht jeder überall in München einfach Plakate kleben. Die Agentur Freie Radikale steht aber hinter ihrer Kreativen: Auf eine mögliche Abmahnung der Stadt sei man seelisch vorbereitet, "aber das ist es uns einfach wert", sagt Agenturgeschäftsführer Paul Wagner.
Das Logo hinter Julia Capulet war übrigens Thurners letzte Aktion für die Münchner Werbeagentur, seit Dezember war sie Praktikantin bei Freie Radikale.
Ab September wird sie an der Filmhochschule Ludwigsburg Werbefilmregie studieren. "Ideen und Geschichten erzählen können, das ist mein Ding", sagt Lea Thurner. Ihre Begeisterung für den Beruf spürt man deutlich.
Ihr bisheriger Chef bestätigt das. Und schickt sie voll des Lobes nach Ludwigsburg: "Ich habe noch nie eine ähnlich talentierte Praktikantin gehabt. Sie hat in allen Bereichen klasse Ideen", sagt Agenturchef Wagner.