Phänomen "Sturm der Liebe":
Warum junge Zuschauer zur falschen Zeit die ARD einschalten
Während Vorabend und Primetime des Ersten um Junge kämpfen, holt sie der ARD-Nachmittag ab - mit der Telenovela "Sturm der Liebe".
Man kann schon von einem Phänomen sprechen: Die ARD erobert die Jungen. Mit der Telenovela "Sturm der Liebe". Allerdings verteilen sich zweistellige Marktanteile bei den 14- bis 49-Jährigen damit auf die Zeitschiene werktags nach 15.10 Uhr, während der ARD-Vorabend und die Primetime weiter um junges Publikum kämpfen müssen. Das gelingt dem Bavaria-Dauerbrenner in der Daytime sogar ganz leicht. Da muss nur ein gefährliches Virus das oberbayerische Nobelhotel "Fürstenhof" lahmlegen, schon schnellt die Sehbeteiligung nach oben. So geschehen in Folge 1627 (!) am Montagnachmittag. "2,60 Millionen Zuschauer, was einem Marktanteil von 23,6% entspricht, verfolgten das spannende Geschehen am Nachmittag. Beim jungen Publikum zwischen 14 und 49 Jahren wurde ein Spitzenwert von 12,8% Marktanteil erzielt", jubelt die Münchner Presseabteilung des Ersten am Dienstag. Überhaupt läuft es gut mit der neuen Staffel; seit dem Start am 8. September haben durchschnittlich 2,23 Millionen Zuschauer die bereits achte Welle der "Erfolgstelenovela" gesehen. Macht im Schnitt satte 21,6 Prozent Gesamtmarktanteil für den Sendeplatz, der nicht um die Telenovela bangen muss: Die ARD selbst will am Vorabend keine Telenovela mehr. Andere Sender haben mit dem Genre in dieser Zeitschiene auch kein Glück.
Doch woher kommt der Erfolg von "Sturm der Liebe" gerade bei den Jungen? Liegt es an mangelnden Alternativen angesichts diverser Real-Life-Zoten im privaten Konkurrenzumfeld? An den Foren, mit denen die ARD die Reihe online befeuert? An den vielen Erkältungskranken, die sich durch den Nachmittag zappen? An den teils kruden Ideen, die zum wiederholten Einschalten bewegen, um zu erfahren, wie "Sturm der Liebe" diese Peinlichkeiten umschifft? Vielleicht. Der Peak vom Montag geht schlicht auf die Story und die Rückkehr eines Publikumlieblings zurück. "Das überzeugend gespielte und aufwendig inszenierte Drama um ein lebensgefährliches Virus im oberbayerischen Nobelhotel 'Fürstenhof' fesselte die Zuschauer an den Bildschirmen. Dazu mussten die Fans um das Leben des vom Virus infizierten Alexander Saalfeld (Gregory B. Waldis) fürchten. Der älteste Saalfeld-Spross und Held der ersten 'Sturm der Liebe'-Staffel sorgte mit diesem Gastauftritt für ein spektakuläres Wiedersehen", meint der verantwortliche Redakteur Wolfgang Wegmann vom WDR auf Anfrage. Zur Info: Alexander ist Erbe des omnipräsenten Hoteldirektors Werner Saalfeld, der in den "Fürstenhof" eingeheiratet hat, die Fäden zusammenhält und gegen viele Feinde kämpft.
Dass die Telenovela "Sturm der Liebe" allerdings kontinuierlich und nicht nur in Deutschland punktet, erklärt die Bavariaunter anderem mit den "Geschichten und Bildern aus Oberbayern". Gedreht wird mitten in der Urlaubsregion Mangfalltal mit vielen Naturaufnahmen aus dem Voralpenland. Das bringt das Touristenherz zum Schlagen. Erst neulich hat das Team des Münchner Produzenten auf der Filmmesse MipCom in Cannes Abnehmer in weiteren Ländern gefunden. So werden ab 22. Oktober die Geschichten aus dem "Fürstenhof" in Island und ab Frühjahr 2013 in Frankreich zu sehen sein. Bislang wurde "Sturm der Liebe" laut Bavaria nun in 22 Länder verkauft. "Höchst erfolgreich läuft die Telenovela, die in den Bavaria Studios und an Originallocations in Oberbayern seit Sommer 2005 produziert wird, unter anderem in Italien, Österreich, Tschechien, Belgien, Finnland, Estland und Kanada", so die Bavaria und Bea Schmidt, die als Produzentin die Telenovela verantwortet.
Der Hype bei Jung und Alt zu einer ungewöhnlichen Sendezeit erklärt sich wohl auch schlicht aus dem Konzept. Immerhin funktioniert die Verquickung von Intrigen und Liebesgeschichten mit schöner Landschaft immer wieder: Der Erfolg der ZDF-Hauptabendreihe "Schwarzwaldklinik" aus den 80er Jahren wirkt noch nach, das Glottertal bleibt Ziel von Fans von Doktor Brinkmann. Das Zweite wiederholt die Serie derzeit zum elften Mal und strahlt die insgesamt 72 Folgen am Sonntagvormittag aus. Ähnlich ist das Vorgehen bei Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen; Küsse vor Küstenkulissen sichern dem Zweiten stabile Reichweiten am Sonntag.
"Sturm der Liebe" kommt zwar nach absoluten Zahlen bei weitem nicht an Pilcher-Streifen oder an die Hochphase des Brinkmann-Kults mit bis zu 25 Millionen Zuschauern heran. Aber für den Pilgerzug ins Mangfalltal reicht es allemal. Die Gegend am Fuße des Irschenbergs mausert sich und wird langsam zum zweiten Glottertal. Bayerns Tourismusverband wirbt mit der edlen Wohnstätte. Die Zahl der Butterfahrten an den Drehort nimmt zu, Dorfcafés schießen aus dem Boden. Elektrozäune müssen mittlerweile die knipsenden Scharen deutscher und vor allem italienischer Fans jeden Alters vom Schlossgarten fernhalten - egal, ob das TV-Team des "Hotel Fürstenhofs" darin gerade flaniert oder nicht. So sieht Kult aus.