Wie nutzen die Kids den Dienst?

Wie eine digitale Postkarte. Eindrücke von Reisen, Shoppingtouren, Partys, Poolfeiern oder vom Treffen im Zug werden den verbundenen Freunden zugesendet, die Eltern werden fein säuberlich ausgeklammert. Die Frequenz ist hoch, oft liegen nur wenige Minuten Abstand zwischen den Snapchat-Aktivitäten. Die Selfie-Flut hat ihr Ventil gefunden.

Gibt es einen Geschlechterunterschied?

Eindeutig ja. Mädchen lieben den Dienst und setzen reihenweise Selbstporträts ab – vom neuen Top, vom knappen Bikini oder vom schrägen Hut. Die Jungs empfangen eher die Botschaften – und tun Snapchat durchaus als "Weiberkram" ab. O-Ton des 17-jährigen Moritz, der für seine gleichaltrige Clique spricht: "Die können damit noch mehr grottige Selfies absetzen."

Warum Snapchat, wenn Fotos auch auf Facebook oder Instagram gepostet werden können?

"Weil die Bilder für andere maximal zehn Sekunden zu sehen sind und dadurch weniger Unfug mit meinen Motiven angestellt werden kann": Die 15-jährige Emma bringt den Vorteil auf den Punkt. Sie liebt es, die kurzen Bildgrüße via Snapchat zu verteilen, und nutzt dann auch die zeitlich begrenzte Einstellung. Mit Snapchat hat sie nach eigenen Angaben weniger Angst, dass sich fiese Bilder von ihr in der Netzerinnerung einprägen, dass Unpassendes gegen ihren Willen weiter verteilt wird. Auch will sie bemerkt haben, wenn andere via Screenshot ihr verteiltes Foto eingefroren und archiviert haben. Kurzum: Vicky und Emma vertrauen dem Dienst des 25-jährigen Snapchat-Erfinders Evan Spiegel einfach sehr.

Haben andere Dienste das Nachsehen beim Snapchat-Hype?

Ja. Ganz klar Facebook. Dem sozialen Netzwerk haben Vicky und Emma nahezu den Rücken gekehrt. Die Hauptfunktion des Social Webs aus weiblicher Sicht – möglichst vorteilhafte Fotos von sich zu posten, Reaktionen der anderen abzufragen und Motive der Freundinnen zu betrachten – hat Snapchat übernommen. Die Jungen senden eher Witziges: den Sonnenbrand an ungewöhnlicher Stelle, eine Panne am Tresen, ein "Prost" an die Gruppe an heißen Tagen. Der von Facebook gekaufte Messaging-Dienst Whatsapp kann sich gegen Snapchat unterdessen besser behaupten: Auf den Gruppenaustausch und die Terminbörse dort wollen weder die Mädchen noch die Jungen verzichten. Twitter nutzen die sieben von uns befragten jungen Menschen übrigens gar nicht.

Ziehen sich Snapchat-Nutzer weitere Apps, die mit dem Instant-Messaging-Dienst korrespondieren?

Meistens. Und nicht nur Bild- oder Videobearbeitungs-Werkzeuge. Hier haben die Jungen die Nase vorn. Sie hebeln dabei das Grundprinzip von Snapchat aus, das darauf basiert, Bilder und Videos nach wenigen Sekunden wieder zu löschen – bis auf die Screenshots, über die der Absender informiert wird. Doch inzwischen kennt die Zielgruppe natürlich auch die Tricks, um trotzdem Aufnahmen zu speichern und damit gegen die Spielregeln von Snapchat zu verstoßen. Für Apples iPhone gibt es beispielsweise die App "Snap Saver" oder "Snap Box" oder auch "Save My Snaps" für Nutzer von Android-Samtphones. So öffnen Laurin und Moritz zuerst die Speicher-App, wenn sie Bilder und Videos via Snapchat empfangen. Es könnte ja sein, dass sich Entlarvendes auf Dauer festhalten lässt.

Fazit des Feldversuchs by W&V Online:

Snapchat ist gerade bei weiblichen Teens das Must-Have fürs Smartphone. Der Austausch der Selfies ist rege, die kurze Haltbarkeit der Motive senkt die Hemmschwelle. Auch wenn sich Mädchen besser aufgehoben fühlen mit ihren Motiven als etwa bei Facebook: Die Jungen nutzen dank weiterer Apps Snapchat inzwischen als Bildergalerie und zur medialen Pirsch. Zumindest die etwas älteren Teens.
Aus Unternehmenssicht dürfte Snapchat ähnliche Zielgruppen erschließen wie etwa Instagram – Modebewusste, Reisewillige oder Cocktailfans. Nur deutlich jünger ist der Kern der Zielgruppe als beim Fotonetzwerk. Vor allem Marketer der Kosmetik- und Modebranche, von Getränkeherstellern und Reiseanbietern dürften das potenzielle Werbeumfeld genau im Visier haben. Da der Fotodienst rege am Portfolio werkelt, könnte der größte Run in Deutschland noch bevorstehen (erste Zahlen tauchten im Frühjahr auf - und sie sind beeindruckend). Mittlerweile gibt es eine integrierte Überweisungsfunktion oder das Feature "Discover" mit einem Paket aus Bild-, Video- und Textnachrichten.

Hier noch ein Erklärvideo auf Youtube, in dem kein Geringerer als Snapchat-CEO Spiegel persönlich den Sinn des kostenlosen Instant-Messaging-Dienstes erklärt. Übrigens: Auf die Idee brachten ihn ein paar seiner Freunde, die sich wunderten, warum ihr Nachwuchs jeden Tag hunderte von Bildern an Freunde verschickt. Mit Snapchat wird die heute so beliebte Kommunikation via Bild massiv beschleunigt.


Autor: Petra Schwegler

Die @Schweglerin der W&V. Schreibt seit mehr als 20 Jahren in Print und Online über Medien - inzwischen auch jede Menge über Digitales. Lebt im Mangfalltal, arbeitet in München.