Am Ende siegt die Menschlichkeit

Und dann ist da dieser Moment, in dem uns die Nachos im Hals stecken bleiben. Denn auf einmal steht dieser Typ im abgewetzten Mantel vor dem Restaurant und fängt an, meine Begleiter und mich zu zeichnen. Jeden Tag füllen sich aufs Neue die Straßen Austins mit Besuchern aus aller Welt. Gleichzeitig ist nicht zu übersehen, dass es in Austin, wie in so vielen US-amerikanischen Städten, zahlreiche Obdachlose gibt. Sie stehen überall in Downtown an den Straßenecken und bitten um ein paar Dollars und bilden ein hartes Kontrastprogramm zum pulsierenden South-by-Zirkus. Die meisten Festivalbesucher beschleunigen dann ihre Schritte auf ihrem Weg zu den luxuriösen Hotels, die in den tollen Tagen von Austin als Konferenzort dienen.

“You shouldn’t give them money”, sagt mir Ronnie. Der Lyft-Fahrer fährt mich in die Innenstadt und erzählt mir, dass er vorher 20 Jahre in einer sozialen Einrichtung in Austin gearbeitet hat. Ich spreche ihn auf die Obdachlosen an. Ronnie sagt, dass er viele dieser Menschen persönlich kennen würde. Er meint, dass viele Obdachlose selbst Schuld an ihrer Situation sind. Anstatt die Sozialhilfe, die sie von der Stadt erhalten, in Miete zu stecken, wandert das Geld in Alkohol und noch häufiger Drogen. “Don’t support that”, ermahnt mich Ronnie. Doch das ist manchmal leichter gesagt als getan.

Der Typ vorm Restaurant ist inzwischen fertig mit seinem Werk und presst ein DIN A3 großes Stück Papier gegen das Fenster. Zugegebenermaßen sind wir ziemlich gut getroffen. Rund 20 Minuten hat der unbekannte Künstler mit der Zeichnung verbracht. Betreten blicken wir uns an. Am Ende siegt die Menschlichkeit. Für 20 Dollar wechselt das Kunstwerk schließlich den Besitzer. Selbst schuld oder nicht: Gerade zur SXSW sollte kreative Arbeit auch etwas wert sein.

Austin während der SXSW

Unofficial SXSW

Und dann treffe ich Marion, die seit 13 Jahren ohne Ticket zur SXSW kommt. Und mich daran erinnert, dass es schon ein South-by-Southwest-Festival gab, da war das Internet noch gar nicht auf der Welt. Ich sitze im German Haus auf der 6th Street mit der gebürtigen Münchenerin zusammen und lasse mir Tipps für Klubs, Bars und Musikfestivals geben: “Die Konferenz und dieses ganze Social Media, das interessiert mich alles nicht. Ich bin wegen der Musik und der Stimmung hier.” Sie schwärmt von der “Unofficial SXSW”, den Parkplatzfestivals und Hinterhofkonzerten.

Die gehen nach dem ersten Wochenende so richtig los, wenn der Interactive-Teil des Festivals vorbei ist, und die Digitalszene schon wieder auf dem Weg Richtung Flughafen ist. Für die unzähligen Nebenveranstaltungen braucht man keine Badge um den Hals, sondern einen guten Riecher und ein bisschen Erfahrung und Ortskenntnis. Die hat sich Marion im Laufe der Jahre angeeignet. Nur einmal hat sie sich ein Ticket für das Festival geholt, als sie sich bei ihrem ersten Besuch in das Festival, die alternative Szene und die Stadt verliebte. Seitdem macht sie ihr eigenes Programm. Bilde ich es mir nur ein oder hat Marion von allen Teilnehmern, die ich bislang getroffen habe, am besten verstanden worum es bei der SXSW geht?

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Autor: Moritz Meyer

Moritz Meyer (Jg. 1981) schreibt hauptsächlich über Online-Video und den digitalen Wandel. Er war schon so häufig im Internet, dass er aus Versehen mal in einem Video von Y-Titty gelandet ist. Wenn er nicht auf Burgen lebt, trifft man ihn meist in Köln. Fun Fact: Liest immer noch Comics von den Teenage Mutant Ninja Turtles.