SXSW:
Verliebt auf der South-by-Southwest
Die SXSW besteht nicht nur aus Panels, Talks und Slideshows. Unser Autor berichtet von drei besonderen Erlebnissen abseits des Festivaltrubels.
Und dann ist da dieser Moment, in dem ich mich endgültig in die Menschen auf der South-by-Southwest verliebe. Wie sehr wir inzwischen von Technologie, Plattformen und Software abhängig sind, ist ein großes Thema auf der diesjährigen South-by-Southwest. Jetzt erfahre ich am eigenen Leib, wie Körper und Verstand in den Panikmodus umschalten, wenn das eigene Gerät plötzlich weg ist. Eigentlich hatte ich mich mit einer Bekannten gerade zum Essen an einem Foodtruck hingesetzt. Doch dann geht der routinierte Griff zum Smartphone bei mir ins Leere.
Panikmodus off
Verwunderung wird zu Ungeduld wird zu Panik, als ich meinen Rucksack ausräume, der natürlich mit viel zu viel Gerätschaften vollgestopft ist. Laptop, Stative, Ladekabel, Steckdosenadapter, Selfie-Stick, Wasserflasche landen eins nach dem anderen auf dem Tisch. Aber mein S9+ ist nicht dabei. OK, Ruhe bewahren, ich habe noch ein zweites Handy und wir leben im seligen Zeitalter der kompletten Standorterfassung. Über eine App versuche ich den Standort des fehlenden Geräts zu lokalisieren. Zunächst ohne Erfolg, offenbar ist es derzeit in keinem W-Lan registriert. Gleichzeitig mache ich mich auf den Weg ins Convention Center, meinem letzten Aufenthaltsort.
Unterwegs immer wieder Lokalisierungsversuche. Ich sperre online den Bildschirm und hinterlasse auf dem Display eine Nachricht mit meiner US-Telefonnummer. Inzwischen habe ich ein paar Orte im Convention Center abgeklappert und mit ein paar Volunteers gesprochen. Bis jetzt wurde das Gerät nirgendwo abgegeben. Im Kopf rechne ich bereits, was mich ein neues Gerät kosten würde. Und dann passiert das kleine Wunder: Mein US-Gerät klingelt, ich erkenne meine eigene, deutsche Mobilnummer. Tatsächlich hat eine gute Seele mein Gerät gefunden und abgegeben. Das S in SXSW steht übrigens für “Schwein gehabt”. Panikmodus off.
Am Ende siegt die Menschlichkeit
Und dann ist da dieser Moment, in dem uns die Nachos im Hals stecken bleiben. Denn auf einmal steht dieser Typ im abgewetzten Mantel vor dem Restaurant und fängt an, meine Begleiter und mich zu zeichnen. Jeden Tag füllen sich aufs Neue die Straßen Austins mit Besuchern aus aller Welt. Gleichzeitig ist nicht zu übersehen, dass es in Austin, wie in so vielen US-amerikanischen Städten, zahlreiche Obdachlose gibt. Sie stehen überall in Downtown an den Straßenecken und bitten um ein paar Dollars und bilden ein hartes Kontrastprogramm zum pulsierenden South-by-Zirkus. Die meisten Festivalbesucher beschleunigen dann ihre Schritte auf ihrem Weg zu den luxuriösen Hotels, die in den tollen Tagen von Austin als Konferenzort dienen.
“You shouldn’t give them money”, sagt mir Ronnie. Der Lyft-Fahrer fährt mich in die Innenstadt und erzählt mir, dass er vorher 20 Jahre in einer sozialen Einrichtung in Austin gearbeitet hat. Ich spreche ihn auf die Obdachlosen an. Ronnie sagt, dass er viele dieser Menschen persönlich kennen würde. Er meint, dass viele Obdachlose selbst Schuld an ihrer Situation sind. Anstatt die Sozialhilfe, die sie von der Stadt erhalten, in Miete zu stecken, wandert das Geld in Alkohol und noch häufiger Drogen. “Don’t support that”, ermahnt mich Ronnie. Doch das ist manchmal leichter gesagt als getan.
Der Typ vorm Restaurant ist inzwischen fertig mit seinem Werk und presst ein DIN A3 großes Stück Papier gegen das Fenster. Zugegebenermaßen sind wir ziemlich gut getroffen. Rund 20 Minuten hat der unbekannte Künstler mit der Zeichnung verbracht. Betreten blicken wir uns an. Am Ende siegt die Menschlichkeit. Für 20 Dollar wechselt das Kunstwerk schließlich den Besitzer. Selbst schuld oder nicht: Gerade zur SXSW sollte kreative Arbeit auch etwas wert sein.
Unofficial SXSW
Und dann treffe ich Marion, die seit 13 Jahren ohne Ticket zur SXSW kommt. Und mich daran erinnert, dass es schon ein South-by-Southwest-Festival gab, da war das Internet noch gar nicht auf der Welt. Ich sitze im German Haus auf der 6th Street mit der gebürtigen Münchenerin zusammen und lasse mir Tipps für Klubs, Bars und Musikfestivals geben: “Die Konferenz und dieses ganze Social Media, das interessiert mich alles nicht. Ich bin wegen der Musik und der Stimmung hier.” Sie schwärmt von der “Unofficial SXSW”, den Parkplatzfestivals und Hinterhofkonzerten.
Die gehen nach dem ersten Wochenende so richtig los, wenn der Interactive-Teil des Festivals vorbei ist, und die Digitalszene schon wieder auf dem Weg Richtung Flughafen ist. Für die unzähligen Nebenveranstaltungen braucht man keine Badge um den Hals, sondern einen guten Riecher und ein bisschen Erfahrung und Ortskenntnis. Die hat sich Marion im Laufe der Jahre angeeignet. Nur einmal hat sie sich ein Ticket für das Festival geholt, als sie sich bei ihrem ersten Besuch in das Festival, die alternative Szene und die Stadt verliebte. Seitdem macht sie ihr eigenes Programm. Bilde ich es mir nur ein oder hat Marion von allen Teilnehmern, die ich bislang getroffen habe, am besten verstanden worum es bei der SXSW geht?