Puni:
Steinernes Storytelling: Wenn ein Haus zum Logo wird
Fast jede neue Spirituosenmarke kommt einem bekannt vor, denn die Trends der letzten Jahre sind ein Cocktail aus einem Teil Destillat, zwei Teilen Storytelling und 5 cl aufwändigem Retro-Packaging. Bei Puni, dem ersten "Italian Single Malt" ist das anders. W&V-Blogger Peter Breuer hat eine außergewöhnliche Marke und ihren Macher besucht.
Wodka aus sensibel abgetautem Gletscherwasser, Rum aus dem selbstverwalteten Kollektiv und Gin von Oma – die Spirituosentrends der letzten Jahre sind ein Cocktail aus einem Teil Destillat, zwei Teilen Storytelling und 5 cl aufwändigem Retro-Packaging.
Das Packaging spielt für die junge Destillerie Puni aus Südtirol ebenfalls eine große Rolle, allerdings handelt es sich zunächst nicht um Naturkarton oder mundgeblasene Flaschen: Den Anfang macht ein 13 Meter hoher Kubus aus 6.300 gebrannten Ziegeln, der seit 2010 in der Landschaft des Obervinschgau steht, vor den Toren der historischen Stadt Glurns. Die Grundsteinlegung fand statt, lange bevor es ein Logo gab oder das Getreide für den ersten Whisky gemälzt wurde.
Der Puni-Gründer Albrecht Ebensperger ist ein neuer Name im Whisky-Geschäft und seine bewegte Vita liest sich wie die eines Universalgelehrten: Er ist längst ein erfolgreicher Bauunternehmer, als er eine Maurerlehre beginnt und den Meisterbrief folgen lässt. Einige Jahre später schließt er ein Magisterstudium als Theaterwissenschaftler mit kunsthistorischem Schwerpunkt ab und wenig später ein Studium der Baubiologie.
Das Kerngeschäft seines Unternehmens sind Sanierungen historischer Bauten, Burgruinen und die Restaurierung von komplexen Gewölben. In seiner Heimat Südtirol heißen Bauunternehmer "Baumeister" und zu ihm passt diese Bezeichnung. Weil guter Geschmack naturgemäß im Mund beginnt, bildet er sich zum Sommelier fort und beginnt irgendwann, in seinem Keller mit trinkbaren Destillaten zu experimentieren. Dass sein Sohn Jonas, der heute zum Team von Puni gehört, ursprünglich elektronische Musik machte, scheint nur folgerichtig.
Im Vinschgau scheint die Sonne oft, doch wer sich mit dem Auto entlang der Etsch dem Ort Glurns nähert, braucht auch an schönen Tagen gute Scheibenwischer. 95 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche sind mit Apfelplantagen bedeckt, deren Dauerbewässerung den Asphalt der Straßen befeuchtet. So weit das Auge reicht industriell gefertigte Qualitätsäpfel, zu deren Schutz eine ganze Landschaft unter schwarze Hagelnetze aus Kunststoff gelegt wurde.
Albrecht Ebenspergers Wunsch ist es, wenigstens einen kleinen Teil seiner Heimat von dieser Monokultur zu befreien und mit Flurstücken zu mischen, auf denen wieder Weizen, Roggen und Gerste angebaut werden. Die Imagebroschüre spricht nur von den Zutaten aus der Region. Understatement statt "Philosophie".
Gestaltung ist immer mehr als ihre äußere Form. Sie greift zwangsläufig in Strukturen ein und verändert – egal, wie weit sie sich zurücknehmen mag – ihr unmittelbares Umfeld. "Dieses ewig nachgebetete ‘Form follows Function’ ist doch Unsinn", sagt der Architekt Werner Tscholl, der den Puni-Würfel im Industriegebiet von Glurns plante.
Die von ihm entworfene durchbrochene Fassade sei "romanische Romantik": Eine Hülle, die nur schön sein wolle und vor der Kulisse einer romanischen Landschaft stehe. Wenn man unbedingt von der Funktion der Fassade sprechen wolle, dann seien die handwerklich perfekt mit rotem Kleber verbundenen Tiroler Ziegel ein Vehikel, hinter dem sich bei Bedarf ohne großes Aufhebens auch die Funktionsbereiche ändern könnten.
Trotz aller Recherchen in traditionsreichen Whisky-Brennereien und einer Ausstattung mit computergesteuerter Brennanlage, kupfernen Brennblasen des schottischen Herstellers Forsyths und einer hundert Jahre alten Getreidemühle – wer könne schon vorhersehen, wie sich die heute auf 900 Fässer pro Jahr angelegte Produktion weiterentwickle? So versteht sich der zweite, innenliegende Glaswürfel als flexible Produktionsstätte, in der allein die nach historischem Vorbild gemauerten Gewölbekeller unverrückbare Größen sind.
Wie wenig die ursprüngliche Gestaltungsabsicht mit der Möglichkeit ihrer Nutzung verknüpft sei, zeige sich doch auf geradezu ironische Weise an den Lagerstätten des bereits gebrannten Alkohols: Die hölzernen Marsalafässer aus Sizilien und die amerikanischen Bourbonfässer, deren unverwechselbares Aroma sich im Laufe von Jahren in das Destillat mische, seien ehemalige Bunkeranlagen in den Bergen rund um Glurns. Schöner könne eine Umnutzung nicht stattfinden, findet Werner Tscholl.
Die Form des Würfels stand schließlich Pate für das Logo von Puni und lange bevor im Oktober der erste "Italian Single Malt" nach drei Jahren Lagerung endlich auch den Handelsnamen "Whisky" tragen darf, ist der ikonische Bau zu einem Anziehungspunkt für jährlich 10.000 Touristen geworden. "Architektur muss verständlich sein", sagt Werner Tscholl. Auch ohne gefällig zu sein, müsse sie den Menschen gefallen und habe aufgrund ihrer Dimension im Landschaftsbild auch eine soziale Funktion, die nicht an die Schicht des Betrachters gebunden sein dürfe.
Es ist kein Zufall, dass Architekt Tscholl und Baumeister Ebensperger vor der Destille in Puni bei einem Projekt zusammenarbeiteten, bei dem sie viele politische und gestalterische Widerstände zu entkräften hatten. Gemeinsam realisierten sie den heftig umstrittenen Umbau der Burg Sigmundskron zu Reinhold Messners Alpin-Museum "Firmian". Die Gestaltung von Werner Tscholl hängt die Museumsbereiche als komplett demontierbares Stahlskelett zwischen die vulkanischen Porphyrsteine der Ruine. Mit den Jahren hat sich der Stahl durch Flugrost sogar seiner Umgebung angepasst. Von außen ist kein einziges Gestaltungselement zu sehen und im Inneren der Burg gelang es Werner Tscholl und Albrecht Ebensperger, die Geschichte behutsam zu konservieren und die Mauern dennoch benutzbar zu machen.
Als sie nach der Eröffnung des Baus 2006 bei einem abschließenden Essen zusammensaßen, fragte Werner Tscholl den Baumeister nach seinem nächsten Projekt. "Ich möchte Whisky produzieren", verkündete Ebensperger damals. Weil er bekannt dafür ist, nicht nur begeisterungsfähig zu sein, sondern auch über ein ungewöhnliches Durchhaltevermögen zu verfügen, hat niemand gelacht.
W&V-Blogger Peter Breuer nennt sich einfach nur "Werbetexter" - eine Berufsbezeichnung, die auf Creative Junior Copywriter Evangelists wie eine Eisdiele aus der Adenauer-Zeit wirkt. Er schreibt und konzipiert für Kunden aus zahlreichen Branchen und gilt als einer der besten Texter Hamburgs. Wer daran zweifelt, kennt seine Facebook-Seite und seine Tweets nicht.