Kreativtechniken:
So schickt man Kreative auf eine Heldenreise
Kreativitäts-Professor Stephan Sonnenburg erklärt, wie man das Coaching-Format Heldenreise auch im Kreativbereich erfolgreich einsetzen kann.
Beim Kreativsein muss man neue Wege gehen statt ausgetretener Pfade. Stephan Sonnenburg, Professor für Kreativität und Markenführung an der Karlshochschule, stellt im Interview mit W&V Online das Format Heldenreise vor, das ebendies fördern soll. Das ist zwar eher ein Tool aus dem Coaching-Bereich, eigne sich aber bestens auch für kreative Reisen in neue Ansätze und Ideen.
Was ist die Heldenreise?
Joseph Campbell, einer der bedeutendsten Mythenforscher des 20. Jahrhunderts, hat in seinen Studien festgestellt, dass alle großen Erzählungen, Märchen und Geschichten nach einem ähnlichen Muster ablaufen. Dieses Muster nannte er die Heldenreise. Denn immer geht es bei Geschichten um das Leben von Helden, die sich auf einer Reise transformieren.
Wie funktioniert eine Heldenreise im Kurzablauf?
Das Muster ist relativ einfach. Ein Mensch oder eine Gruppe verlässt die bekannte Welt und begibt sich auf eine Reise in die unbekannte Welt, in der Abenteuer zu bestehen sind. Die Reise endet in der bekannten Welt, die durch die gewonnenen Erfahrungen verändert wird. Erst auf der Reise werden die Reisenden zu Helden.
Dies hat Joseph Campbell weiter verfeinert und einen Heldenkreislauf entwickelt, der aus bis zu 21 verschiedenen Stufen besteht, was durchaus abschreckend wirken kann. Um die Heldenreise in die Praxis zu überführen, haben Wissenschaftler und Praktiker die Heldenreise und ihre Stufen weiterentwickelt und vereinfacht. Von besonderer Bedeutung sind allerdings vier entscheidende Veränderungsmomente: Der Mensch muss die Reise beginnen wollen, der Mensch muss ins Unbekannte vorstoßen, der Mensch muss sich der größten Herausforderung stellen, und der Mensch muss wieder ins Bekannte zurück.
Die Heldenreise ist ja eher im Coaching- nicht aber im Kreativbereich bekannt. Kann sich dieser Ansatz wirklich in Agenturen durchsetzen, oder ist der nicht doch eher etwas für Arbeitsorganisation und Innovationsprozesse?
Da meiner Meinung nach die Heldenreise die ultimative und universale Darstellung von Veränderungsprozessen ist, eignet sie sich nicht nur für großangelegte Innovationsprozesse, sondern auch für Kreativprozesse. Denn: Kreativität führt zu Transformation. Um kreativ zu sein, muss man sich aber erst einmal auch selbst verändern, sonst würde man in erstickenden Routinen stecken bleiben.
Manche Kreative kommen ganz natürlich ins Unbekannte. Andere benötigen hierzu Hilfestellung, angefangen von Kreativitätsimpulsen, wie beispielsweise Bilder, über Kreativitätstechniken, wie das Brainstorming, bis hin zu Kreativitätsprozessen wie das Design Thinking. Die Heldenreise hat den Charme, dass sie Impuls, Technik und Prozess vereinigt. Sie lenkt durch den Prozess, inspiriert die Kreativen und hilft, zur rechten Zeit im Kreativprozess die richtigen Fragen zu stellen.
Funktioniert eine Heldenreise im Agenturalltag?
Bei der Heldenreise geht es ja wesentlich um den Aufbruch ins Unbekannte, dem Sich-Stellen. Aber ist das wirklich gegeben, wenn man ein enges Briefing hat, einen ungeduldigen Kunden?
Ich würde sagen, die Heldenreise hilft gerade auch bei ungeduldigen Kunden und engen Briefings. Es geht doch zumeist darum, schnell ins Unbekannte vorzustoßen, um in kürzester Zeit neue Ideen zu entwickeln. Gerade in Stresssituationen, wo der Druck zum Output enorm ist, hilft eine kreativitätsfördernde Struktur, die uns kreative Freiheit in Sicherheit gibt. Die Heldenreise hilft Freiheit und Sicherheit bestmöglich auszubalancieren. Die meisten Kreativitätsmodelle, die ich kenne, sind in ihrer Struktur und Begriffswahl eher langweilig und betonen somit eher die Sicherheit, regen aber nicht zur Freiheit an.
Für Brainstormings und kurzfristige Aufgaben eignet sich die Heldenreise dann sicher nicht, oder?
Man muss die Heldenreise schon ein wenig trainieren und basierend auf dem Grundmuster sein eigenes Muster entwickeln. Meine Erfahrung zeigt, dass eine Heldenreise ein ganzes Projekt, aber auch den kreativen Rahmen für eine einzelne Kreativ-Session abbilden kann.
Wie viel Zeit muss man denn einplanen?
Kreativität entwickelt sich nur selten auf Knopfdruck. Für das kreative Funkeln im Unbekannten bedarf es schon einer Heldenreisen-Session von mindestens zwei Stunden: 30 Minuten Aufbruch ins Unbekannte, 60 Minuten Ideenentwicklung im Unbekannten, und 30 Minuten Rückkehr mit der Idee ins Bekannte. Keine Frage, dies ist sportlich, aber machbar.