"Ein Slogan sollte Anker im Gehirn werfen":
Slogans, die Virals der 70er Jahre
Glaubwürdigkeit, Prägnanz, Klang, Rhythmus: Bei einem guter Slogan muss das alles und noch mehr stimmen. Peter Breuer über eine Königsdisziplin der Kreation, die vor lauter Social-Media-Gedöns zu Unrecht in den Hintergrund geraten ist.
Slogans waren einmal das Gedicht des kleinen Mannes. Der Tiger geisterte noch an Tankstellen herum, als Esso ihn schon längst nicht mehr in den Tank packte, Otto fand jeder gut und nichts, aber auch nichts ist unmöglich. In den 1970ern wurde auf dem Schulhof der Bonduelle-Reim mit dem Zartgemüse von Robert Pütz zum Radetzky-Marsch nachgesungen und eine kapriziöse Klassenkameradin war halt die "Queen of Table Waters".
Es waren Botschaften, die "viral gingen", lange bevor es das Wort "viral" überhaupt gab. Viral im Sinne von: Jeder kannte den Rhythmus dieser Sätze und niemand konnte sich der Sprachmelodie entziehen. Ein Satz, der mit einem geräusperten "Ra..." begann, wurde mit einem kollektiven "Ra, Ra, Ra, Rachengold" fortgesetzt – im Büro, in der Schule, im Sportverein. Vermutlich hat diese simple Mechanik sogar Frank Farians "Ra-Ra-Rasputin" inspiriert. Das war wirklich viral und zwar nicht im Sinne von: Sensationelle 0,8 Prozent der Gesamtbevölkerung haben einen Youtube-Spot gesehen, weil er auf Facebook oft geteilt wurde.
Margot Müller, der damals 23-jährigen Erfinderin des Bahn-Slogans "Alle reden vom Wetter, wir nicht", wurden noch lange nach 1967 Kränze für ihren Geniestreich gewunden. Wobei das genau genommen nur ein Kampagnen-Slogan war, aber seine Halbwertzeit war höher als die meisten aktuellen Unternehmens-Slogans.
Dass diese Slogans so erfolgreich wurden, liegt natürlich zum Teil auch am Budget, das in sie investiert wurde. Aber das ist eine faule Ausrede, weil die Spendings bei einem guten Slogan fast weniger wichtig sind als das reine Beharrungsvermögen und der Mut, einen guten Slogan auch nach einem Vorstandswechsel zu behalten. Wie gut etwas funktioniert, hat schließlich auch nichts mit der Marktdurchdringung zu tun: Der Jung-von-Matt-Slogan "Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna?", kam 1995 zu einem Zeitpunkt, als die 50er-Jahre-Marke als Orangenlimonade auf dem Markt kaum noch eine Rolle spielte und bohrte sich trotzdem ins kollektive Gedächtnis.
38 Jahre lang war Milka "Die zarteste Versuchung, seit es Schokolade gibt" und dann 2011 war plötzlich Schluss und es hieß aus unerfindlichen Gründen plötzlich "Trau Dich, zart zu sein". Warum auch immer. Vermutlich, weil es kürzer ist und kürzer ist ja per se besser. Aber was verdammt ist mit dem Rhythmus? Das ursprüngliche: Da dam da da dam dam dam, da da dam dam dam da war zwar nicht kurz, aber man kann es singen, trommeln und sagen. Und mal ehrlich: Was ist "Trau Dich, zart zu sein" noch für eine Botschaft? Will ich wirklich selbst zart sein oder will ich nicht viel lieber eine hellblaue Papierverpackung brutal aufreißen, die hauchdünne Aluschicht herunterfrickeln und in einen zarten Schmelz aus Vollmilch beißen, die von lila Kühen produziert wurde? Also ich schon.
Das erste Radioprogramm des Hessischen Rundfunks hatte zwischen 2010 und 2015 einen genialen Slogan der Agentur Consell: "HR1 – Und das Gefühl ist wieder da". Das passte zu einer Musikauswahl, die zwischen dem Mainstream-Geschmack von heute und dem Nostalgie-Pop der 1980er lag. Der Slogan hatte Herz und eine Botschaft, die sagte: "Was Du hier hörst, wird etwas in Dir zum Klingen bringen". Heute ist HR1 "Genau meins“"und bewegt sich damit im diffusen Niemandsland zwischen Allem und Nichts, zwischen Damenunterwäsche und Konfekt.
Den "Brille: Fielmann"-Trend, sich großspurig selbst zum "Deonym", also zum Gattungsnamen zu erklären, hat VW nach dem Abgasskandal hart ausgebremst: Ende 2015 verschwand ohne großes Aufhebens der Slogan "VW – Das Auto" und wurde durch "VW – Volkswagen" ersetzt. Man kann sicher davon ausgehen, dass es sich auch dabei nur um einen Zwischenschritt handelt, weil man dieser Lösung förmlich anmerkt, durch wie viele Gremien sie geprügelt wurde, bis schließlich jemand den erlösenden Satz sagte: "Lass uns doch einfach nur unseren Markennamen ausschreiben, damit kann man gar nichts falsch machen. Das ist in unserer Situation jetzt das Wichtigste."
Ein Slogan sollte Anker im Gehirn werfen, muss mit dem Unternehmen glaubwürdig verknüpft sein, einen Rhythmus haben, der nicht unbedingt mit seiner Kürze zu tun hat und eine Gestaltungsoffenheit, die es möglich macht, ihn auch unter oder hinter anderen Botschaften zu platzieren. Er sollte leicht auszusprechen sein, auf Fremdworte und Anglizismen verzichten und eventuell noch über eine Prise Humor oder eine positive Doppeldeutigkeit verfügen. Puh. Das alles zusammen ist so schwierig, dass man sich unwillkürlich fragt, warum so viele Unternehmen den Wert von gelungenen Slogans so geringschätzen, dass sie schon nach wenigen Jahren glauben, die Pferde wechseln zu müssen.
Der Autor: Peter Breuer ist Texter und W&V-Kolumnist. Manchmal parodiert er auch Tchibo-Prospekte.