Operation Shitstorm:
Shitstorm-Manipulator Ryan Holiday: "Ich vertraue der Gattung Blog nicht"
Ryan Holiday ist Marketing-Direktor bei American Apparel und nutzt Mechanismen der Online-Medien meisterhaft und rücksichtslos. In seinem Buch "Operation Shitstorm" beschreibt er, wie er kleine Blogs in Amerika instrumentalisierte, um nationale Aufmerksamkeit zu erlangen. Ein W&V-Interview über Glaubwürdigkeit in den digitalen Medien.
Der 26-jährige Ryan Holiday ist der Medienstratege hinter dem amerikanischen Bestsellerautor Tucker Max und Marketing-Direktor für American Apparel. In diesen Funktionen hat er es mehrmals geschafft, Geschichten in den Medien zu platzieren, die für ihn oder seine Kunden von Vorteil waren - und zwar nicht über klassische Pressearbeit, sondern indem er die Mechanismen der Online-Medien für sich nutzte. In seinem Buch "Operation Shitstorm" beschreibt er, wie er kleine Blogs in Amerika dazu brachte, über seine Story zu berichten, und wie er etwa mit gezielten E-Mails unter falschem Namen die Geschichte auf eine nationale Ebene brachte. Mit W&V Online hat er über diese Schmuddelecke des Web gesprochen.
Herr Holiday, lassen Sie uns ehrlich sein und den Lesern sagen, warum wir dieses Interview machen: Ich hoffe auf Antworten, die für unsere Leser interessant sind und – ja – auch auf ein paar Klicks. Wie sieht es bei Ihnen aus?
Klicks interessieren mich nicht – ich will viele Bücher verkaufen, wissen Sie.
Aktuell wollen Sie Ihr Buch "Trust me, I 'm lying", das auf Deutsch unter dem Titel "Operation Shitstorm" erschienen ist, verkaufen. Darin beschreiben Sie, wie Sie amerikanische Medien manipulieren. Sie zeichnen ein düsteres Bild des Blog-Journalismus. Vertrauen Sie denn selbst als Leser noch irgendeinem Blog?
Fool me once, shame on you. Fool me twice, shame on me. Ich vertraue der Gattung Blog nicht, weil sie eine ungesunde Eigenmotivation hat. Natürlich gibt es trotzdem viele individuelle Blogs und Blogger, auf die ich baue und denen ich vertraue. Aber die Entscheidung muss immer von Fall zu Fall getroffen und die jeweiligen Interessen der Blogs analysiert werden. Sehen Sie sich erst die jeweilige Entstehungsgeschichte an, und lesen Sie dann erst.
Sie werfen Online-Medien vor, häufig nur auf die Klicks zu schielen, um möglichst schnell viel Traffic zu erreichen, und das Portal dann gewinnbringend an den nächsten Investor zu verkaufen. Sie liefern selbst den schnellen Content, den Blogs dankbar aufgreifen, ohne nach dem Wahrheitsgehalt zu fragen. Sie erfinden, wie Sie schreiben, falsche Identitäten und Geschichten, um die Blogs dazu zu bringen, das zu schreiben, was Sie wollen. Gibt es irgendwelche persönlichen Grenzen, die Sie dabei nicht überschreiten würden?
Absolut. Ich kann das aber nicht so einfach formulieren nach dem Motto: "Diese oder jene Dinge würde ich nicht machen." Die Liste wäre zu lang. Ich entscheide bei jedem Kunden, Projekt und jeder Idee neu. Ich arbeite nicht für etwas, an das ich nicht glaube. Das Buch habe ich geschrieben, um zu zeigen, wie unterschiedlich die persönlichen Skrupel und Grenzen verschiedener Menschen sind. Während ich T-Shirts verkaufe, können andere Leute genauso leicht die gleiche Taktik anwenden, um einen Krieg anzuzetteln.
Funktioniert die Manipulation, weil die Leser sich darauf einlassen, manipuliert zu werden?
Ja. Leser lieben das Spektakel, und genau das geben ihnen Blogs.
Aber auf der anderen Seite ist es doch so, dass Leser gute Artikel auch wertschätzen. Wenn eine Nachrichtenseite nur den Klicks hinterherjagt, beschädigt sie langfristig ihre eigene Marke. Ist das eine besonders deutsche Perspektive?
Nein, es ist eine Business-Perspektive. Das Problem ist nur, dass die meisten Unternehmen in diesem Feld nicht an langfristigen Geschäften interessiert sind. Sie werden hochgepeitscht, betrügen und suchen nach einem großen Investor, der sie kauft.
Für American Apparel haben Sie ein paar Geschichten lanciert, die sich viral stark verbreitet haben. Auch W&V hat im vergangenen Jahr über die zensierten Anzeigen berichtet und sich damit genau so verhalten, wie Sie es von den Medien erwartet haben. Funktionieren Mechanismen wie der kalkulierte Skandal bei Marken wie American Appare4ll besonders gut? Oder würden Sie sagen, dass man das mit jeder Marke machen kann?
Mit Sicherheit geht das für jede Marke. Jedes Jahr macht die Tierschutzorganisation Peta einen Spot, der darauf abzielt, verboten zu werden, und nicht beim Super Bowl gezeigt werden darf. Warum? Damit bekommt Peta mehr Aufmerksamkeit, als wenn der Spot im Fernsehen laufen würde.
Sie vergleichen die Mechanismen der Blogs, wenn es um den Traffic geht, mit den frühen Tagen der Zeitungen, als die Zeitungsjungen sie auf der Straße verkauften – es ging um Auflage. Die Qualität stieg dann mit den Abo-Zeitungen. Wären in Analogie also mehr Paywalls eine Lösung heute?
Zum Teil. Wir brauchen aber außerdem eine Kultur, die Reporter und Medien mehr zur Verantwortung zieht. Die Yellow Press verschwand teilweise, weil es die Reporter leid waren, auf der untersten Stufe der Gesellschaft zu rangieren. Ihr Beruf wurde aufgewertet. Vielleicht sollte so etwas wieder passieren.