
TV-Kritik:
Sexismus-Problem? Von Günther Jauch ein klares Ja
"Herrenwitz mit Folgen – hat Deutschland ein Sexismus-Problem?" Die Frage, die das Diskussionsthema von Günther Jauchs Talkrunde in der ARD zusammenfasst, beantwortete der Moderator mit seinem Verhalten.
"Herrenwitz mit Folgen – hat Deutschland ein Sexismus-Problem?" Die Frage, die das Diskussionsthema von Günther Jauchs Talkrunde in der ARD zusammenfasst, beantwortete der Moderator mit seinem Verhalten. Perplex stellte so manche Zuschauerin und mancher Zuschauer fest, dass ausgerechnet einer der beliebtesten Moderatoren mit dem bubenhaften Charme und dem Saubermann-Image das Thema Sexismus in der Sendung bagatellisierte und klein machte. Leider hatte er auch das letzte Wort. Er hoffte, dass er nach der Sendung an der Bar nicht nur mit den beiden anwesenden Herren den Abend ausklingen lassen müsse. Das verstand selbst der Mann neben mir auf dem Sofa als "Schade, dass wir ohne die Frauen feiern werden, aber die sind ja so empfindlich". Überzeugend und unerschütterlich erleben wir in der Sendung Anne Wizorek, Silvana Koch-Mehrin und Alice Schwarzer.
Die Sexismus-Debatte, ausgelöst durch einen Artikel über FDP-Mann Rainer Brüderle im "Stern", spürte die Jauch-Redaktion als brisantes Thema auf und stieß den Themenplan um. Die Gästeliste zeigt, dass es nicht leicht gewesen sein kann, Studiogäste zu finden, die offen für eine Herabwürdigung von Frauen einstehen. Das schon mal ist ein gutes Zeichen. Literaturkritiker Hellmuth Karasek und Wibke Bruhns, erste Nachrichtensprecherin im deutschen Fernsehen, treten als Brüderle-Verteidiger eher halbherzig (Karasek) bis grotesk (Bruhns) an, der Rest der Runde besteht aus Feministin Alice Schwarzer, FDP-Politikerin Silvana Koch-Mehrin, "Stern"-Chefredakteur Thomas Osterkorn und Anne Wizorek, Initiatorin des Twitter-Thema #Aufschrei. Ihnen ist ein Anliegen, über den alltäglichen Sexismus zu debattieren und ein Umdenken einzuleiten.
Koch-Mehrin, die nicht die Betroffene und nicht die Parteifreundin Brüderles gibt, findet klare und sachliche Worte: Frauen wollen sich nicht mehr wehren müssen, entgegnet sie Bruhns, die in den Raum schleudert, Frauen seien ja keine armen Gejagten - und ob man Männern die Arme abhacken wolle? In der aktuellen Debatte gehe es vielmehr um Problembewusstsein und die Bereitschaft, aufeinander einzugehen, sagt Koch-Mehrin. Genau wie Wizorek und Schwarzer versucht sie, die Gesprächsrunde immer wieder auf ihren Kern zu bringen: Über Brüderles Verfehlungen gehe der Aufschrei weit hinaus.
Tatsächlich hat der ungeschickte Polit-Profi nur das Fass zum Überlaufen gebracht: Aus der Anekdote Laura Himmelreichs im "Stern"und dem kurz zuvor veröffentlichten Bericht von "Spiegel"-Redakteurin Annett Meiritz über Sexismus bei den Piraten entstand deshalb eine Welle der Empörung, weil scheinbar Alltägliches nicht mehr klaglos hingenommen wird und weil die Frauen gerade feststellen, dass vermeintlich überwundene Diskriminierung kein Problem ist, das sie allein haben. Über des plumpe Verhalten eines Spitzenpolitikers geht das Thema weit hinaus. Was es den Brüderle-Freunden Bruhns und Karasek schwer macht.
Alice Schwarzer bei Jauch hat den klarsten Blick dafür, was sich in der Welle der Empörung und in Aktionen wie #Aufschrei ausdrückt: Die heutige Generation Frauen ist aufgewachsen in dem Bewusstsein, dass ihre Kämpfe schon ausgefochten sind, dass sie sich nicht auf das Niveau der Feministinnen begeben müssen, sondern alles erreichen und dazu hübsch aussehen können, ganz Frau sein und erfolgreich im Beruf. Und nun stellen diese Frauen fest: "Die Kacke ist noch am dampfen." Und der Kampf noch nicht zu Ende. Als ich das höre, fühle ich mich ertappt, denn auch ich habe mir den Luxus erlaubt, über Emanzen die Nase zu rümpfen: So verbissen wollte man ja auch nicht auftreten, die Gesellschaft hat ihre Schuldigkeit getan und sich verändert zu Gunsten der Frauen, den Rest muss jede für sich in ihrem Umfeld klären. Dass das so einfach nicht ist, zeigt sich jetzt: Der respektvolle Umgang miteinander ist noch nicht in allen Köpfen angekommen.
Anne Wizorek kämpft genau dafür und macht das in Jauchs Talkrunde tapfer gegen Widerstände deutlich: Als ihr eine bizarr wirkende Wibke Bruhns an den Kopf wirft, man könne doch die Männer nicht ändern, ohne sie zu kastrieren, kontert die Aufschrei-Initiatorin trocken: "Wir müssen Verantwortung übernehmen." Was sei denn am respektvollen Umgang untereinander abzulehnen? Und nein, es gehe nicht darum, dass Männer mit Frauen nicht flirten dürfen. Aber Machtausübung ist eben nicht in Ordnung, in keiner Richtung. Auch wenn es Hellmuth Karasek, der einen Altherrenwitz erzählt, nicht gefällt, dass eine Frau gern selbst entscheidet, mit wem sie flirten will und mit wem nicht.
Das eigene Handeln zu reflektieren dürfe man von Menschen erwarten, sagt Wizorek. Thomas Osterkorn findet eine gute Richtlinie für angemessenes Verhalten: "Wenn sich jeder so verhält, wie er möchte, dass man sich gegenüber seiner Frau und Tochter verhält, ist viel erreicht." Seine Hoffnung, und die hegen viele der mehr als 60.000 Twitterer, Männer wie Frauen, die sich an #Aufschrei beteiligt haben: "Diese Debatte verändert was." Frauen würden selbstbewusster und forderten ihre Rechte ein, "das ändert die Männer, die lernen, dass es Grenzen gibt." Und das ist das Thema. Davor, dass es immer noch eines ist und mitnichten überwunden, dürfen Männer und Frauen die Augen nicht verschließen.