Axel Springer:
Sex, Glückspiel, Waffen: "Bilanz" zeigt das andere Gesicht der Wirtschaft
Springer hat das Wirtschaftsmagazin "Bilanz" vor knapp einem Jahr gestartet. Jetzt planen Chefredakteur Klaus Boldt und Geschäftsführer Johannes Boege den Gang an den Kiosk.
Vor knapp einem Jahr hat Axel Springer das Wirtschaftsmagazin "Bilanz" in Deutschland gestartet. Jetzt planen Chefredakteur Klaus Boldt und Geschäftsführer Johannes Boege, den Titel dauerhaft am Kiosk zu platzieren. Auch im Web will der Titel präsenter werden. Offenbar liebäugelt Boldt damit, den Online-Auftritt nach dem "Forbes"-Modell umzubauen. Eine Entscheidung hierüber ist aber noch nicht gefallen. Zudem bringt "Bilanz" demnächst ein Geldanlage-Spezial - ausgerechnet über das Geschäft mit Sex, Glückspiel und Waffen.
Herr Boldt, Bilanz ist seit knapp einem Jahr am Markt. Das Wirtschaftsmagazin liegt der Welt bei und wurde bislang nur an einigen ausgewählten Einzelverkaufsstellen verkauft. Jetzt wollen Sie den Kiosk-Vertrieb auf breitere Standbeine stellen. Blasen Sie mit der Maßnahme zum Angriff gegen ihren alten Arbeitgeber, dem zum Spiegel-Verlag gehörenden Manager Magazin?
Boldt: Überhaupt nicht, ich wüsste auch gar keinen Grund, warum ich mich an meinem früheren Arbeitgeber verbrauchen sollte. Das "Manager Magazin" ist eine hervorragende Publikation, aber bei weitem nicht die einzige, mit der wir im Wettstreit liegen. Über "Die Welt" verkaufen wir mehr als 200.000 Exemplare, davon über 20.000 Exemplare am Kiosk. Damit sind wir bereits das größte Wirtschaftsmagazin. Mit anderen Worten: Wir müssen keine Vertriebsschlachten führen und können uns voll auf das Magazinmachen konzentrieren.
Herr Boege, was erwarten Sie an zusätzlichen Einzel-Verkäufen über den Kiosk?
Boege: "Bilanz" verfügt seit dem Start als Teil der "Wel"t über die höchste verkaufte Auflage und Reichweite unter den Wirtschaftstiteln und die Marktforschung zeigt, dass rund 96 Prozent der "Welt"-Leser die Bilanz auch tatsächlich nutzen. Wir hatten für die Startphase der "Bilanz" im Sinne der Klarheit unseres Geschäftsmodells erst einmal vom Einzelverkauf des Magazins über den Erscheinungstag der "Welt" hinaus abgesehen. Uns haben aber zahlreiche Anfragen von Lesern erreicht, die sich den Einzelverkauf des Magazins gewünscht haben. Wir haben deshalb die vergangenen Monate genutzt, um diese ergänzende Angebotsform des Magazins zu testen und uns jetzt ein Jahr nach dem Start entschieden, die "Bilanz" auch einzeln anzubieten.
Planen Sie am Point of Sale-Aktionen, um den Kiosk-Vertrieb anzukurbeln?
Boege: Wir machen am Point-of-Sale schon heute auf die "Bilanz" in der "Welt" aufmerksam und werden das für den Einzelverkauf des Magazins natürlich ergänzen.
Setzen Sie mit dem Kiosk-Geschäft verstärkt auf Vertriebserlöse, weil das Anzeigengeschäft unter Druck geraten ist?
Boege: Nein, die Entwicklung in der Vermarktung im ersten Jahr liegt klar über unseren Erwartungen.
Sie haben mehrfach das Layout geändert. Bleibt es bei der jetzigen Form?
Boldt: Wir haben unser Layout einmal verändert, im vergangenen Dezember. Ob es bei der jetzigen Form bleibt, das kann ich Ihnen nicht sagen. Wir werden nicht aufs Querformat umstellen, wenn es das ist, was Sie meinen. Aber sobald wir der Meinung sind, etwas besser machen zu können, dann machen wir es auch und verschwenden keine Zeit mit unnützer Warterei. Das können sich Druckerzeugnisse heute nicht mehr leisten. Als Neugründung haben wir darüber hinaus den großen Vorteil, dass wir nicht die Erwartungen einer jahrzehntealten Stammleserschaft erfüllen müssen, sondern über große inhaltliche, aber auch gestalterische Freiheit verfügen. Diese Freiheit wollen wir ausgiebig nutzen.
In der Branche gibt es Gerüchte, dass "Bilanz" noch in diesem Jahr einen Online-Auftritt nach dem Modell von "Forbes" plant. Sprechen Sie hierüber mit dem Springer-Verlag?
Boldt: Im Laufe des Jahres will ich unsere Präsenz im Internet ausbauen und weiterentwickeln. Wohin die Reise geht, darüber diskutieren wir zurzeit. Dass wir uns nicht mit einem Me-too-Produkt vorstellen wollen, versteht sich von selbst. Ich halte das "Forbes"-Modell für durchaus bemerkenswert: Es versorgt den Anbieter mit weitgehend attraktiven Inhalten, ist flexibel und vor allem fast beliebig erweiterbar. Aber man kann es zweifellos nicht 1:1 nach Deutschland importieren. Kurzum, wir haben noch keine Entscheidung getroffen.
Unternehmer, Künstler und Leser nutzen "Forbes" als Plattform, um in Blogs ihre Ansichten über Themen zu verbreiten. Sie werden bei hohen Klickraten an den Werbeeinnahmen beteiligt. Würden Sie die Blogger auch entlohnen?
Boldt: Diese Frage stellt sich uns zurzeit noch nicht. Ein Geschäftsmodell, dessen Grundlage die Beiträge von möglicherweise vielen Hundert Autoren ist, kann nur funktionieren, wenn diese Autoren, die unter dem Dach einer Marke publizieren, dies auch regelmäßig tun. Dazu bedarf es natürlich eines Anreizsystems. Aber nicht jeder Wissenschaftler, Manager, Journalist, Unternehmer oder Experte, der auf diesen Seiten publiziert, tut dies, um Geld zu verdienen. Viele wollen ihre Bekanntheit oder Reputation erhöhen, andere wieder hoffen, ihre Buchverkäufe anzukurbeln, an Beratungsaufträge zu gelangen oder, warum nicht, eine feste Anstellung zu finden.
Sie haben im vergangenen Jahr diverse Schwerpunkt-Themen publiziert. Setzen Sie hier die Reise fort?
Boldt: Ja, wir widmen uns in fast jeder Ausgabe einem Schwerpunktthema. In unserer Mai-Ausgabe haben wir ein Geldanlage-Spezial im Heft und zeigen unter anderem, wie hoch die Renditen ausgerechnet in unethischen Branchen sein können, also im Waffen-, Tabak-, Glücksspiel oder Sexgeschäft. Im Juni berichten wir über die aufgehenden Sterne der deutschen Digitalwirtschaft. Es ist unglaublich spannend, wie sich dieser Markt entwickelt. Ich glaube, wir werden tolle Geschichten erzählen können.
"Capital" hat in Frankfurt einen eigenen Korrespondentenplatz eingerichtet. Bauen Sie auch die Redaktion aus?
Boldt: Nein, das ist weder geplant, noch besteht dazu ein Anlass. Wir arbeiten eng, häufig und gut mit den Kollegen der "Welt" zusammen und verfügen darüber hinaus über einen Stamm hervorragender freier Mitarbeiter.
Der ehemalige "Handelsblatt"-Chefredakteur Bernd Ziesemer arbeitet für Sie als Autor, gleichzeitig hat er bei ihrem Konkurrenten Capital angeheuert. Stört Sie das nicht?
Boldt: Ich bin glücklich, dass wir mit Bernd Ziesemer nicht nur einen der angesehensten deutschen Wirtschaftsjournalisten in unseren Reihen haben, sondern auch einen verdammt netten Kerl und Kollegen. Dass auch andere Publikationen an ihm interessiert sind, ist nur zu verständlich. Er hatte ja auch lange für das „Handelsblatt“ geschrieben. Das tat uns nicht weh. Wie sich seine Arbeit für "Capital" entwickelt, werden wir sehen.
Herr Boege, am Kiosk ist die Wirtschaftspresse mit Manager Magazin, Capital, Wirtschaftswoche, Handelsblatt, Börsenzeitung, Euro und vielen mehr bereits gut vertreten. Sehen Sie dennoch Chancen, dass Bilanz mittel- bis langfristig nicht mehr als Supplement der Welt beiliegt, sondern sich als eigenständiger Titel am Markt behauptet?
Boege: "Bilanz" erreicht als Magazin in der "Welt" mehr Leser als alle anderen Wirtschaftstitel in Deutschland. Unsere Strategie ist, ein exzellentes Wirtschaftsmagazin über die bestehende Auflage und Reichweite der "Welt" zu vertreiben und zu vermarkten. Von diesem Geschäftsmodell werden wir nicht abweichen.
Ob "Handelsblatt Dinner" oder organisierte Unternehmerreisen wie bei "Impulse" – viele Wirtschaftstitel verdienen viel Geld mit Veranstaltungen. Schlagen Sie auch diesen Weg ein?
Boege: Das ist generell eine interessante Idee, aber für "Bilanz" planen wir dies aktuell nicht.
Wann schreibt Bilanz schwarze Zahlen?
Boege: Das Ergebnis der "Bilanz" im ersten Jahr lag deutlich über den Erwartungen. Wir freuen uns, dass die Redaktion als Wirtschaftsredaktion des Jahres ausgezeichnet wurde, haben aber den Anspruch, noch besser zu werden und damit in Zukunft auch noch erfolgreicher.
Mehr zu den "Bilanz"-Plänen und weitere spannende Branchennews finden Sie in der aktuellen Printausgabe des W&V-Schwestertitels "Kontakter" (EVT: 23.04.). Abo?