GWA-Roundtable:
Raphael Brinkert: "Für den Nachwuchs sind wir keine Popstars mehr"
Wenig Geld für viel zu viel Arbeit: Das schlechte Arbeitgeber-Image der Agenturen ist ein Dauerbrenner. Am Freitag trafen sich GWA-Vertreter mit den jungen Wilden von "Werbeliebe" zum offenen Schlagabtausch. W&V-Redakteurin Anja Janotta war dabei.
Es war eine Provokation, eine nette immerhin. Aber immer noch eine Provokation. Mit vier Thesen zur Nachwuchs-Debatte hatte im August die Pforzheimer Hochschüler-Agentur Werbeliebe den GWA in einem Offenen Brief herausgefordert: "Wertschöpfung beginnt bei Wertschätzung" war ihre zentrale These. Mit einem Roundtable, an dem neben den Studenten und den GWA-Vorständen Raphael Brinkert und Philipp Bierbaum auch zwei Marketing-Dozenten sowie ADC-Vorstand Christian Schmachtenberg teilnahmen, wollte der GWA den Dialog aufnehmen.
"Es war ein bisschen gemein, was wir gemacht haben," gibt Florian Kratz von der Werbeliebe zu. Und umriss noch einmal das Problem: Es gebe genügend motivierte Studienabgänger, aber die wollten nicht mehr in Agenturen anfangen, sondern gleich auf die Kundenseite. Sein Studien- und Agenturkollege Guido Reher ergänzt: In ihrem Studiengang Werbung hätten am Anfang noch 85 Prozent in eine Agentur gehen wollen, jetzt - nach einigen ernüchternden Praktika - keiner mehr. Das sei nicht nur eine Frage des sehr niedrigen Einstiegsgehalts und der hohen Wochenarbeitszeit, so die Werbeliebe-Leute, sondern ebenso von Anerkennung, von Weiterbildungsangeboten, von festen Entwicklungsplänen und -aussichten.
GWA-Vorstand Raphael Brinkert allerdings hielt mit Beispielen aus der eigenen Praxis dagegen: Er habe nach dem Start von JvM/Sports allein 150 Blindbewerbungen erhalten, Wochenendarbeit und Nachtarbeit seien am Standort Hamburg sowieso eher die Seltenheit. Und spielte den Ball zurück ins Spielfeld der jungen Studenten: Ja, es gebe bei Agenturen nur ein geringes Einstiegsgehalt, aber dafür seien auch später größere deutlichere Gehaltssprünge drin. "Bei uns heißen die Gespräche deswegen auch Schampusrunden." Vorausgesetzt, der Mitarbeiter brächte entsprechend herausragende Leistungen. ADC-Vorstand Christian Schmachtenberg hatte vorher ebenso an die Leidenschaft appelliert: "Macht einfach geiles Zeug." GWA-Vorstand Philipp Bierbaum pochte genauso deutlich auf die Bringschuld der Agentur-Einsteiger. Diese müssten einen Entwicklungsplan von ihrer Agentur aktiv einfordern. Denn "wenn eine Leistung da ist, dann hat man alle Türen offen."
Werbeliebe-Student Kratz sah das nicht ganz so und pochte auf verlässlichere Konditionen: Viele Studenten müssten Schulden, die sie wegen des Studiums aufgenommen hätten, zurückzahlen, das ginge schlecht mit einem gering bezahlten Agenturjob. Die Unternehmensseite sei da einfach attraktiver. "60 bis 70 Stunden zu arbeiten ist kein Thema," fügte sein Kollege Alexander Schulze hinzu. Aber mit 2.300 Euro verdienten die Einsteiger im Vergleich zu anderen Branchen einfach zu wenig. Auch Michael Geffken von der Leipzig School of Media sprang ihm bei. Im Kampf um die guten Leute hätten die Agenturen häufig das Nachsehen, Geffken sagte an Brinkert gewandt: "Sie konkurrieren heute mit Größen wie Daimler oder Google." Und nannte gleich ein plakatives Beispiel: Seine eigene Tochter habe sich von Google bei einer Agentur abwerben lassen.
Die Forderung nach mehr Geld und höheren Einstiegsgehältern allerdings mochten Brinkert und Bierbaum nicht gelten lassen und verwiesen auf den Kostendruck durch die Kunden. Gleichzeitig aber räumte Brinkert ein, dass die Agenturen tatsächlich ein Imageproblem hätten, das man an der Wurzel behandeln müsse. "Für den Nachwuchs sind wir keine Popstars mehr," resümiert er. Auch die Agenturen müssten angesichts der fehlenden Bewerber Marketing für sich als Arbeitgeber machen. Deswegen müssten sich die Agenturen fragen: " Wie bekommen wir mehr in die Kirche?"
Auf die 100.000-Euro-Frage hatten ADC und GWA keine konkrete Antwort. Dafür gaben sie den Werbeliebe-Studenten "Hausaufgaben" auf. Sie sollten "Wertschätzung" genauer definieren und das Ergebnis dann bei den Verbänden einreichen. Dann könne man auf den nächsten Vorstandssitzungen reagieren und gegebenenfalls Thesenpapiere oder Empfehlungen für die Mitglieder erarbeiten.