Interview mit Stevie Schmiedel:
Pinkstinks-Chefin: "Astra-Werbung ist nicht sexistisch"
Die Frauenrechtsorganisation Pinkstinks hat das umstrittene Sexismus-Verbot in der Werbung maßgeblich mitinitiiert. Warum? Und wo ist eigentlich die Grenze zum Sexismus? W&V Online hat bei Pinkstinks-Chefin Stevie Schmiedel nachgefragt. Hier geht's zum Interview.
Die Frauenrechtsorganisation Pinkstinks hat das umstrittene Sexismus-Verbot in der Werbung maßgeblich mitinitiiert. Warum eigentlich? Und wo ist die Grenze zum Sexismus? W&V Online hat bei Pinkstinks-Chefin Stevie Schmiedel nachgefragt. Hier geht's zum Interview.
Frau Schmiedel, Sie haben mit ihrer Initiative Pinkstinks das Ministerium beraten. Warum reicht Ihnen die Selbstregulierung durch den Werberat nicht mehr aus?
Stevie Schmiedel: Nicht jeder kennt den Werberat. Es gab zum Beispiel einen Fall in Hildesheim, wo ein sexistisches Plakat zwei Jahre lang hing und viel diskutiert wurde. Doch niemand kam auf die Idee, den Werberat einzuschalten. Einfach, weil er unbekannt war. Pinkstinks bekommt im Jahr doppelt so viele Beschwerden über sexistische Werbung wie der Werberat. Die Leute wenden sich als Beschwerdestelle also eher an unsere kleine NGO als an den Werberat. Wir sind uns ja oft einig über die Fälle, die gerügt werden müssen. Es ist ja nicht so, dass die Kriterien für die Norm uns fremd sind. Es sind Kriterien, die seit fast 40 Jahren angewendet werden.
Warum braucht es dann ein Gesetz?
Die Rügen des Werberats sind eben nicht effizient. Der Werberat spricht zwar von einer Durchsetzungsquote von über 90 Prozent, das betrifft aber nur die Werbung, die ihn überhaupt erreicht – das ist nicht so viel. Außerdem wird in diese Quote auch hinzugezählt, dass man überhaupt miteinander kommuniziert und für das Thema sensibilisiert. Das heißt auf der anderen Seite, dass eine umstrittene Werbung auch mal gut drei Wochen hängen bleiben kann. Im Zweifel sogar den ganzen Sommer lang und man verständigt sich dann intern darauf, dass man das nächste Mal es nicht wieder so macht.
Ist das Instrumentarium, das Sie vorschlagen, also das UWG, dann effektiver und schneller?
Absolut. Das UWG ist ja schon länger in Gebrauch. Wenn Wettbewerbsverstöße begangen werden, also beispielsweise für ein gesundheitsförderndes Mineralwasser geworben wird, dann wird die betreffende Werbung über Nacht abgehängt. Eine Beschwerde würde also keine große Bürokratiemaschine in Gang werfen, so wie es die CDU oder die Werbewirtschaft befürchten, sondern es ist ein sehr einfacher, effektiver Vorgang.
Wie haben Sie die Diskussion eigentlich in Gang gesetzt?
Wir haben vor zwei Jahren unseren Vorschlag einer Gesetzesnorm als Petition ins Netz gestellt und haben schnell alle Verbände und sehr viele SPD-Politiker überzeugt. So konnten wir unseren Vorschlag in die Politik tragen und haben beim Bundestag auch als Beraterinnen zu dem Thema fungiert.
Wie spruchreif ist dieses Gesetz denn? Wann wird abgestimmt?
Noch lange nicht spruchreif. Es ist noch lange nicht in der Ressortabstimmung. Was mich erstaunt, ist dass die Diskussion nicht schon im Januar losging, als das Ganze das erste Mal diskutiert wurde. Aber erst seit der "Spiegel" neuerlich berichtet hat, geht es erst wieder richtig rund.
Wie ist denn dann der Stand der Verhandlungen?
Es werden verschiedene Dinge abgewogen. Zum einen überlegt man, eine entsprechende Norm im UWG zu etablieren. Es gibt aber auch Überlegungen dahingehend, ob man eine Mischform einführt, sodass der Werberat Sanktionsmöglichkeiten erhält.
Welche Arten von Sanktionsmaßnahmen wären das? Geldstrafen zum Beispiel?
Dazu gibt es noch keine Informationen. Daran sind wir auch gar nicht beteiligt. Das muss das Justizministerium erarbeiten. Ich hoffe nur, dass das Justizministerium durch den Medien-Hype jetzt nicht in die Enge getrieben wird, sondern sich wirklich die Zeit nimmt, um eine solche Regelung in alle Richtungen zu eruieren.
Die Kritik war ja, dass es eher diffuse Geschmacksentscheidungen sind, die über sexistisch oder nicht entscheiden. Ganz konkret: Wo genau wollen Sie die Grenze ziehen?
Man sieht ja derzeit viele Bilder, die angeblich sexistisch sind. Doch eine Astra-Werbung, die zwar eine nackte, doch tätowierte Frau zeigt, die selbstbewusst in die Kamera sieht, ist witzig, aber nicht sexistisch. Eine Grenze verläuft da, wo man eine passive überzogene Nacktheit sieht, dort, wo die Frau als übertrieben verfügbar dargestellt wird. Also zum Beispiel ein nackter Hintern, der mit Kontaktlinsen verglichen wird. Oder eine Anzeige für Tierfutter, wo die Frau als "Frischfleisch" bezeichnet wird. Das sind Grenzen, die jeder Richter sofort erkennen würde. Aber im Zweifel würde man immer für den Werbemittelproduzenten entscheiden. Generell gilt: Sexistisch ist, was der Werberat auch rügen würde.
Gibt es trotzdem Unterscheidungen?
Es mag sein, dass der Werberat und wir andere Prioritäten haben. Der Werberat ist nicht so streng, was Werbung im Internet betrifft. Auch beim Produkt selbst sind ihm die Hände gebunden. Zum Beispiel bei der Müllermilch-Verpackung, die im vergangenen Jahr so in der Kritik war wegen der Pinup-Ästhetik und der Grenze zum Rassismus – hier kann der Werberat nichts ausrichten, der allein nur Werbung rügt. In diesem Fall würde dann ein geändertes UWG dennoch greifen können.
Kehren wir dann nicht zurück zur Prüderie?
Nein, es geht nicht um das Verbot einer erotischen BH-Werbung, bei dem Frau selbstbewusst in die Kamera sieht und sich gut findet. Es geht uns ja nicht darum, Sexiness und Nacktheit aus der Werbung zu verbannen.