Thorsten Scheib, Marketinggeschäftsführer der Marlboro-Mutter Philip Morris, brachte es in der W&V Nr. 21 vom 22. Mai auf den Punkt: "Jetzt drücken wir das Pedal durch!"

80 Prozent seiner Budgets in Deutschland hat Marktführer Philip Morris in den vergangenen zwölf Monaten in Iqos gesteckt. Das heißt: Auch von der Flaggschiffmarke Marlboro wurden Gelder zu Iqos geschichtet.  Thorsten Scheib spricht von einem "drastischen Shift".

Das bedeutet: Der Konzern zerstört und erneuert zugleich sein Geschäftsmodell. Wie beim sagenhaften ­Vogel Phönix: Das Unternehmen kannibalisiert sein ­eigenes Produkt (die Zigarette) und erschafft ein neues (Tabaksticks und einen passenden elektronischen Erhitzer). "Wir warten nicht darauf, bis andere den Markt ­umschmeißen", sagt Scheib. "Dieser Ansatz verschafft uns gerade einen immensen Wettbewerbsvorteil."

Hier nochmal steckbriefartig die Marketing-Learnings aus der Pilotphase:

Die Pilotphase

In den Testmärkten hat Iqos innerhalb von sechs Monaten eine gestützte Markenbekanntheit bei Rauchern von fast 70 Prozent erreicht. Zum Vergleich: James Deans Lieblingszigarettenmarke Chesterfield kennen in Deutschland 58 Prozent der Raucher.

In den ersten vier Monaten hat Philip Morris relativ stabil um die 200 Geräte (s. S. 64) pro Monat und Stadt verkauft. Ende September begann eine Außenwerbungskampagne in den Testmärkten. Damit stiegen nicht nur der Bekanntheitsgrad, sondern auch die Verkäufe kontinuierlich an – auf zuletzt rund 1500 Geräte im Monat. "Wachstumsraten von 30 Prozent in einer Stadt pro Monat sind bombastisch", sagt Thorsten Scheib.

Im März hat Iqos erstmals ein Prozent Marktanteil erreicht. "Bei der Zigarette ist das eine magische Grenze", sagt Thorsten Scheib. Denn bei einer Markeneinführung muss man mit dem Produkt im Markt sichtbar sein.

48 Prozent der Iqos-Nutzer sind frühere Marlboro-Raucher. Schließlich nutzt Philip Morris die Marlboro-Datenbank, um potenzielle Kunden direkt anzusprechen.

In erster Linie will Philip Morris nicht Hardware, also die Geräte, sondern Software verkaufen: die "Heets" genannten Tabaksticks. Pro Gerät, das in München über die Theke gegangen und von Philip Morris registriert ­worden ist, werden im Schnitt acht Heet-Sticks pro Tag konsumiert. Bei klassischen Zigaretten liegt der durchschnittliche Konsum bei zwölf Stück am Tag.

Zielgruppe

Iqos richtet sich schwerpunktmäßig an Raucher, die über 30 Jahre alt sind. Das erfordert ein völlig anderes Marketing als das der klassischen Zigarettenmarken in den 90er-Jahren, die 18- bis 29-Jährige umwarben. Die Ü 30 sind anders. "Die ­gehen nicht jeden Abend von einem Club zum nächsten", sagt Thorsten Scheib. Und mit zunehmendem Alter ­werden außerdem Themen wie Rauchgeruch relevant. Für die Marken-Entwicklung bedeutet das: Es dauert länger. "Um sichtbar zu sein, brauchen wir mehr Zeit und einen höheren Marktanteil als früher", so Scheib.

Überraschend: In den Testmärkten sind 65 Prozent der Iqos-Nutzer Männer. "Wir haben mit einem höheren weib­lichen Anteil gerechnet." Aber wie im ­klassischen Zigarettenmarkt zeigt sich offenbar auch hier das Phänomen: Männer sind probierfreudiger.

Distribution

Iqos wird national ausgerollt. Der Außendienst ist bereits fast komplett mit der neuen Marke beschäftigt. Zu den Test-Städten Frankfurt und München kommen sechs weitere, sogenannte Fokus-Städte hinzu: Berlin, Dresden, Düsseldorf, Hamburg, eine Stadt im Ruhrgebiet und ­Stuttgart. In jeder dieser acht Städte wird ein Store in absoluter Top-Lage eröffnet. Jede Stadt wird massiv ­plakatiert (s. "Kampagne") und mit einer Bars- und Clubs-Promotionstrategie bearbeitet.

Die Stores heißen nun Boutiquen und sehen völlig anders aus als die Pilot-Läden. "Es geht nicht nur um die ­Frequenz, sondern um Premium-Lifestyle als Statement", sagt Thorsten Scheib und vergleicht Iqos mit Apple.

Zusätzlich verkaufen 1000 sogenannte Device-Händler bundesweit die Geräte, um das Gebiet abzu­decken, in dem es keine Iqos-Boutique gibt. Ende Mai sollen die Heet-Sticks in 85 Prozent aller Verkaufs­stätten in Deutschland verfügbar sein, in denen Tabakprodukte erhältlich sind.

Hauptkanäle sind der klassische Fachhandel und Tankstellen. Auf einem Event hat Philip Morris vor ­wenigen Tagen 500 Fachhändler trainiert und geschult.

Als weiterer Kanal steht der Lebensmitteleinzelhandel auf dem Plan. Im Fokus stehen Premium-Supermärkte wie Edeka und Rewe, die ein breites Sortiment führen. Zudem testet Philip Morris Automaten-Standorte. Damit die kleineren Heets-Packungen in Zigarettenschachtelschächte passen, werden sie umverpackt.

Preis

Das Gerät kostete in der Testphase 65 Euro. Der neue, europaweite Verkaufspreis ist zwar mit 99 Euro deutlich höher. Tatsächlich aber wird der Kunde diesen Betrag nicht zahlen. Denn Philip Morris plant immer wieder verschiedene Aktionen mit dem Gerätepreis, sodass der Endpreis 69 Euro beträgt. Trotzdem: Erst mal fast hundert Euro zu verlangen, das ist ein großer Schritt. "Wir haben viel darüber diskutiert", sagt Thorsten Scheib. 

Aber letztendlich ist das "ein schönes Marketing­instrument", sagt Scheib. Den Anfang macht ein "Einführungsangebot". Weitere Möglichkeiten für Preisabschläge sind zum Beispiel individuelle Geburtstagsangebote oder bundesweite Aktionen wie Black Friday. Vorbild für diese Preispolitik sind Online-Händler wie Zalando. Doch die Sonderpreise machen nicht nur das Gerät attraktiv; der offizielle Verkaufspreis positioniert die Marke zudem deutlich im Premiumbereich.

Die Munition für die Geräte ist dagegen preisgebunden. Analog zu Zigaretten kostet die 20-Stück-Packung, wie bisher auch, 6 Euro.

Accessoires

Damit kontinuierlich Menschen in die Läden kommen, wird es dort nicht nur Events und Kulturveranstaltungen geben. Auch das Produkt selbst lockt mit Erweiterungen. Und zwar über die Möglichkeit der Individualisierung. "Wir haben ja nicht wie ein Fashion-Label jede Woche eine komplett neue Kollektion", erklärt Thorsten Scheib.

Das Gerät kann graviert werden. Heet-Stick-Halter, sogenannte Colored Caps mit hitzebeständigem Spezial­lack in modischen Farben kosten 15 Euro pro Stück. ­Lederhüllen in aktuellen Farben sind momentan für 99 Euro im Angebot. Weitere Produkte wie ein "Heet Stick Tray" ergänzen das Portfolio.

Kampagne

Die neue Kampagne sieht radikal anders aus als der Auftritt aus der Pilotphase: Von einer steril-technischen Schwangerschaftstest-Anmutung zu kantigem Premium-Lifestyle. "Wir mussten erst mal das Produkt erklären", sagt Thorsten Scheib. Jetzt ist Zeit für Menschen und emotionale Bilder. Oder, wie Thorsten Scheib sagt: "Wir bringen den Genussmoment rüber".

Die Idee der Testimonial-Kampagne ist von Leo Burnett: Jedes Motiv liefert ein positives, englisches Wort mit dem Großbuchstaben E, wie etwa "REAL". Statt dieses Buchstabens sieht man das neue Markenlogo: Drei übereinander laufende blaue Streifen. Der Color-Code der Motive ist Schwarz – Weiß – Türkis. Das Gerät ist nie solitär, sondern immer zusammen mit dem Tabakstick zu sehen.

"Aus der Kampagne heraus entsteht eine wirkliche Marke wie Apple oder Nike", sagt Thorsten Scheib. "Iqos ist dann nicht nur faktisch ein Erhitzer von Tabak, sondern eine emotionale Marke, mit der ich ein Statement setze." Verlängert wird die Kampagne über eine Bars- und Clubs-Strategie, die sich völlig von der Marlboro-Strategie unterscheidet: Weg von massenhaften Kontakten im Nachtleben, hin zu individuellen Gesprächen. Ziel ist, dass sich Interessenten registrieren lassen.

Über eine Million Raucher aus Deutschland ­hat Philip Morris bereits in seiner von der Schufa verifizierten Datenbank. Damit beginnt auch das Thema digitale ­Services. "Hier", sagt Thorsten Scheib, "liegt riesiges Potenzial."


Autor: Rolf Schröter

Rolf Schröter ist Chefredakteur der W&V und interessiert sich nicht nur deshalb prinzipiell für alles Mögliche. Ganz besonders für alles, was mit Design und Auto zu tun hat. Auch, wenn er selbst gar kein Auto besitzt.