Darauf hingewiesen hat der österreichische Nachrichtenjournalist Armin Wolf. Der das Modell als "Click-Bait, neu definiert" bezeichnet.

Bei oe.at wird "Click & Win" dann genauer erläutert - und irritiert stellenweise. Das Bonusmodell sieht vor, dass Nutzer pro mindestens 10 Sekunden View eines Artikels eine "Coin" sammeln, für das Ansehen eines Videos gibt es 3 Coins, sofern mindestens die Pre-Roll-Werbung geguckt wurde. Am Ende jedes Quartals verfallen die Bonusmarken. Soweit, so klar.

Chefredakteur Niki Fellner sagt, man setze - wie viele andere Medienhäuser - auf Gamification: "Wir erhoffen uns durch Click & Win eine noch intensivere Nutzung unserer Webseite durch unsere User und eine stärkere Identifikation mit unserer Marke."

Eigenwillige Rechenmodelle bei OE24

Allerdings ist der Abrechnungsmodus verwirrend, auch die Zahlen passen am Ende nicht ganz zueinander: So sichert sich das Medienhaus etwa damit ab, dass zwar 100 Coins einem Euro zunächst entsprechen (das wären also bereits 100 Artikel-Views in knapp 17 Minuten) und man ab 10 Euro die Auszahlung verlangen kann - für die 10 Euro aber braucht der OE24-Nutzer nicht etwa 1000 Coins, sondern bereits 4500 - die Inflationstabelle bei OE24 sieht folgendermaßen aus.

Umrechnungskurs für Coins bei OE24 "Click & Win".

Umrechnungskurs für Coins bei OE24 "Click & Win".

Und: Mehr als 1000 Coins pro Tag gibt es nicht - die sind dann 3 Euro wert und Leser müssten dafür innerhalb von 24 Stunden entweder 334 Videos samt Werbung ansehen oder 1000 Artikel anlesen - so viel Inhalt wird OE24 kaum aufzubringen in der Lage sein, geschweige denn der Leser Zeit: 1000 Artikel à 10 Sekunden machen bereits 167 Minuten aus, also 2 Stunden und 47 Minuten - und das dürfte je nach Spotlänge mit 334 Videos kaum schneller gehen.

Es folgen aber weitere Rechnungsunschärfen: So verspricht OE24 in der Printausgabe, man könne auf diese Weise bis zu 100 Euro im Monat dazuverdienen.

Rein rechnerisch dürfte das  schwierig werden: Mit maximal 1000 Coins pro Tag müsste ein Monat 49,5 Tage haben (siehe Bild links), damit der Leser auf den Bonus von 100 Euro kommt. Ohne Zwischenüberweisungen (von denen nicht bekannt ist, ob OE24 sie erlaubt) reichen die Coins also maximal für 60 Euro (29,5 Tage, 29.500 Coins). Dafür hätte der geneigte Leser dann aber bereits 82 Stunden mit dem Lesen von Onlineartikeln verbracht.

Die er in der Menge vermutlich nicht auf der Boulevardnachrichtenseite findet.

Die Maximalprämie dürfte also höchstens über den zulässigen Dreimonatszeitraum erreicht werden können. 100 Euro (oder 100 Euro plus Prämie im Wert von 100 Euro) für 49.500 beziehungsweise 50.000 Coins gibt es umgerechnet für mehr als 137,5 Stunden Ihrer Aufmerksamkeit, verteilt auf maximal ein Quartal, also knapp 46 Stunden im Monat.

Bezahlt werden fürs Lesen einer Seite, die man vielleicht sowieso besucht: Das mag für einige OE24-Fans verlockend klingen. Der Preis, den sie für die Mini-Prämienauszahlung bezahlen, sind lediglich ihre Daten und Kontoverbindung - anmelden muss man sich schließlich, wenn man Geld überwiesen bekommen möchte. Und aktiv um die Einlösung der Coins kümmern: Wer den Termin verschläft, bekommt trotz Preisgabe der Daten gar nichts.

Niki Fellner widerspricht: "Die Aktion kommt so gut an, dass die ersten oe24-User sich bereits nach einem Monat den Maximalbetrag von 200 Euro auszahlen haben lassen können."

Kann sich das wirklich lohnen für OE24?

Ob das Modell Schule macht? Hochgerechnet könnte das trotz aller Fallstricke im Auszahlungsmodell teuer werden für OE24. Bei gemeldeten 107 Millionen PIs, die durch die Maßnahme ja steigen sollen, könnte es dem Medienhaus theoretisch passieren, dass es zum Beispiel 3628-mal die Prämie für das (oben geschilderte) Monats-Maximum mit 29.500 Coins (60 Euro) auszahlen müsste - das wären dann bereits gut 217.000 Euro. Monatlich. Bei 107 Millionen PIs auf 6 Millionen User liest im Schnitt aber jeder nur 18 Artikel.

Mutmaßlich werden die wenigsten Leser innerhalb eines Quartals auch nur die Mindestauszahlungssummer von 10 Euro erreichen, denn in drei Monaten wären das 1500 Artikel pro Monat (4500 Coins), also 50 Artikel am Tag oder 17 Videos. Würden von 6 Millionen Usern nur 100.000 das schaffen, müsste OE24 also 1 Million Euro auszahlen. Das System von "Click & Win" macht das aber mehr als unwahrscheinlich.

Die Abrechnungsmodelle weisen darauf hin, dass das eher nicht das Ziel ist - sondern die Steigerung von Reichweiten über das vermeintliche Prämienmodell und die Sammlung der Nutzerdaten.

Geld, das OE24 vielleicht dennoch an einzelne Heavy-User auszahlen könnte, muss dann mit den Werbekunden erst wieder eingespielt werden. Bei OE24 kosten Banner ab 30 Euro für 1000 Kontakte (TKP), Sonderformate ab 70 Euro (TKP) - die Mindestbuchung liegt bei 1000 Euro. Startseiten-Festplätze verkauft OE24 ab 13.900 Euro und verspricht mindestens 350.000 Kontakte (Ad Impressions/AI).

Laut Chefredakteur Fellner ist die Reaktion der Werbekunden "durchwegs positiv". Die Verweildauer sei im vergangenen Monat um 10 Prozent gestiegen. "Die Anzahl des Traffics der registrierten Click & Win-User im Verhältnis zum Gesamttraffic von oe24 ist allerdings überschaubar und liegt noch bei unter einem Prozent", sagt Niki Fellner.

Macht das die Reichweitendaten weniger wert?

Eine wirkliche bezahlte Reichweite wird nicht zustandekommen - was zunächst einmal die Aussagekraft für die österreichiche Werbeträgermessung also nicht betrifft. Dass hier nun aber durch den Ehrgeiz mancher Leser, die sich nicht für Inhalte, sondern lediglich Coins interessieren, die Zugriffe steigen könnten und damit die Ergebnisse verzerrt, trifft sicherlich zu.

Allerdings ist das dann lediglich eine weitere Form des Clickbaitings - solange auch ein kurze Verweildauer in die Reichweitendaten einfließt, werden die Arbeitsgemeinschaften zur Reichweitenerhebung hier andere Hebel brauchen, wenn sie solche Lockangebote unterbinden wollten. Verlockende Überschriften und Gewinnspiele gehören ja bereits zum Repertoire der Medienlandschaft. In Österreich erhebt die Daten für Webangebote der Verein Österreichische Webanalyse (ÖWA). Von der gibt es derzeit keinen Kommentar dazu, da sich der Vorstand erst wieder im September trifft.

Niki Fellner erklärt dazu: "Click & Win ist selbstverständlich in Einklang mit allen Richtlinien der Österreichischen Web Analyse (ÖWA)."

Klarstellung: Dieser Artikel wurde überarbeitet, nachdem die Stellungnahme von OE24 vorlag.


Autor: Susanne Herrmann

schreibt als freie Autorin für W&V. Die Lieblingsthemen von @DieRedakteurin reichen von abenteuerlustigen Gründern über Medien und Super Bowl bis Streaming. Marketinggeschichten und außergewöhnliche Werbekampagnen dürfen aber nicht zu kurz kommen.