Ost-Marken:
Nudossi: Das Geheimnis des Ost-Nutellas
Nur 34 Mitarbeiter und gerade mal 400.000 Euro Werbebudget, aber besser als Nutella: Die Ostmarke Nudossi hat eine eingeschworene Fan-Gemeinde. Markenschau-Blogger Heiko Kunzmann über die Schokoladenseite der Ostalgie und eine ungewöhnliche Erfolgsgeschichte.
Es hatte etwas von David gegen Goliath: Branchenzwerg "Nudossi" schlägt Marktriesen "Nutella". Die Inhaltsstoffe seien hochwertiger, fand das Verbrauchermagazin "Öko-Test" 2009 heraus und gab der sächsischen Schokoschleckerei ein "sehr gut", "Nutella" nur ein "gut". Das machte Schlagzeilen. "Qualität setzt sich eben durch", meint Firmenchef Karl-Heinz Hartmann. Die Nuss-Nougat-Creme, eine der bekanntesten DDR-Marken, ist nach einigem Auf und Ab in immer mehr Munde. Ihr Trumpf: Keiner hat mehr Nüsse.
Badfliesen, Auto, Nudossi: Hätte es in der DDR eine Rankingliste der Dinge gegeben, die am schwierigsten zu ergattern waren, so wäre die Nuss-Nougat-Creme aus Radebeul bei Dresden ganz vorn mit aufgetaucht. Ein besonders schwerer Fall von Bückware: Produkte, die von manchen Verkäuferinnen lieber unterm Ladentisch gehalten wurden – für gute Freunde oder solche, die zu Badfliesen verhelfen konnten. Der Heißhunger auf Süßes war stets viel größer als alle Nudossi-Becher zusammengenommen, trotz des vergleichsweise stolzen Preises: "Die 200-Gramm-Packung kostete drei Mark, für DDR-Verhältnisse nicht billig", erzählt Karl-Heinz Hartmann. Gemeinsam mit Sohn und Ehefrau führt er die Sächsische und Dresdner Back- und Süßwaren GmbH & Co. KG, die heute Nudossi produzieren.
Der typisch nussige, nicht zu süße Geschmack der Creme begeisterte schon früher viele. 36 Prozent Haselnuss sollen drin sein: „Und so viel sind es auch“, versichert Karl-Heinz Hartmann; außerdem weniger Fett und Zucker als beim großen West-Mitbewerber. Die geballte Nuss-Power ist kein Tick, sondern war eigentlich den knappen DDR-Devisen geschuldet: Als Nudossi 1968 in die Läden kam, kosteten künstliche Aromen viel Geld. „Und je mehr Nüsse, desto weniger andere Zutaten mussten in die Creme“, erzählt der Firmensenior. Wer seinen Nudossi-Becher mal längere Zeit nicht anrührt, sieht auf der Schokocreme eventuell eine leichte Ölschicht. Das ist keineswegs schlechte Qualität, sondern dem hohen Nussanteil geschuldet und nach kurzem Umrühren wieder weg.
Zu den Zeiten, als die Haselnüsse aus Georgien in Radebeul erst noch geknackt und geröstet werden mussten, war Hartmann noch Konditormeister im nahegelegenen Freital. Mitte der 90er Jahre kaufte er das Gelände des mittlerweile in Konkurs gegangenen Schokocremeherstellers und wollte hier Backwaren produzieren. „Dann meinte ein Journalist bei einem Termin, dass doch hier mal Nudossi vom Band lief. Ja klar, hab ich gesagt, das kommt auch wieder“, erinnert sich Hartmann und schmunzelt heute über diesen spontanen Scherz. Denn gesagt, gedruckt: Am nächsten Tag waren die Zeitungen voll mit der Nachricht, Hartmann sah sich unter Zugzwang. Er erwarb die inzwischen beim MDR liegenden Markenrechte, besorgte sich das Nudossi-Rezept. 1999 schließlich jubelten viele Ost-Naschmäuler: Die Marke startete in ihr zweites Leben.
Kurz darauf aber schien der Aufstieg schon vorbei: 2005 wollten die Banken mehr Sicherheiten für Kredite. Hartmann jedoch konnte nicht zahlen. Es kam zur Insolvenz, Tausende Schokofans schickten Solidaritätspost und wollten für den Betrieb spenden. Bei Ebay wurde der 200-Gramm-Becher Nudossi teils für zehn Euro gehandelt. Doch alles renkte sich wieder ein, Hartmann kaufte 2007 den Betrieb wieder zurück, Teil 3 der „Nudossi“-Story begann. Und es läuft gut, besonders seit dem Ritterschlag durch „Öko-Test“: „Wir sind bis jetzt immer am Wachsen“, so der Firmenchef. Etwa 1250 Tonnen Nuss-Nougat-Creme, das sind in etwa fünf Millionen Becher, gehen pro Jahr über die Ladentische.
Die effektivste Werbung für „Nudossi“ ist wie bei etlichen Ostprodukten sicher die Mundpropaganda. Seit kurzem hat die Schokocreme-Legende ihr eigenes Buch: Der Dresdner Jürgen Helfricht sammelte in „Der Nudossi-Code“ Geschichten, Backrezepte und Kochideen. Auch in der kommerziellen Werbung hört und sieht man von dem 34 Mitarbeiter zählenden Betrieb derzeit einiges: Radiospots laufen bei Regionalsendern, im MDR-Fernsehen präsentierte ein “Nudossi“-Clip das Wetter, auch bei Sat.1 habe seine Firma zwei Monate lang Werbung gemacht (hier sind die Spots) .Mehr aber wolle man nicht: TV-Spots seien teuer, gibt Hartmann zu bedenken. Der Radebeuler Firmenlenker wirtschaftet lieber solide, geht keine Schulden ein und bevorzugt es eine Nummer kleiner. Die meisten Werbeideen entstehen deshalb auch im Haus. Bei etwa 400.000 Euro pro Jahr liege das Budget, das auch Werbung im Handel umfasst sowie Sponsoring.
Sich auf das Wichtige konzentrieren, das macht die Firma auch im Internet. Die Nudossi.de-Website bietet in erster Linie das, was Naschkatzen am häufigsten suchen: Produkte, Händler-Karte, Infos zum Fabrikverkauf sowie den Onlineshop (der übrigens wie die gesamte Firma eine längere Weihnachtspause macht). Nichts leider über die interessante Geschichte der Marke oder etwa darüber, wie die leckere Frühstückscreme entsteht. Auch auf der "Nudossi"-Facebook-Seite – immerhin fast 7.400 Fans – tut sich seit Monaten nichts mehr, die Nutzer erfahren auf Fragen und auf Lob (ein Fan schwärmt von Nudossi als „das braune Gold aus Radebeul“) keine Antwort. Für das Thema Internet bleibe nicht ausreichend Zeit und Manpower, schiebt Karl-Heinz Hartmann ein.
Der Chef weiß, welch große Bedeutung die Marke Nudossi für seinen Betrieb hat: „Ohne wären wir vielleicht schon tot“, meint er. „Solch ein Zugpferd braucht man, um zu verkaufen“. Die Nusscreme ist das Aushängeschild der Firma, die noch viele andere Leckereien anbietet: Stollenkonfekt mit Bratapfel-, Mohn- und Marzipangeschmack, Christstollen, die Keks-Schoko-Tradition „Kalter Hund“ oder Pralinen.
45 Jahre gibt es „Nudossi“ übrigens mittlerweile – der Betrieb feiert‘s mit einem kleinen Booklet auf den Bechern. Darauf schlängelt sich ein Ährenkranz aus Haselnüssen und ein rotes Fahnenbanner ums Jubiläumsjahr. Ein Bezug auf die DDR-Zeit mit Augenzwinkern. Denn: „Wir haben auch Vernünftiges produziert“, meint Karl-Heinz Hartmann. Viele Schokofans werden ihm zustimmen.