GNTM in Zeiten von #MeToo:
#NotHeidisGirl sammelt 500.000 Klicks
Hashtag gegen Heidi: Unter #NotHeidisGirl protestieren im Netz junge Frauen gegen Germany's next Topmodel. Dass die Kritik an der Show eine neue Stufe erreicht, liegt auch an #MeToo.
"I'm not Heidi's Girl", singt ungefähr ein Dutzend Mädchen in einem Video. "I am more than my looks." Heißt so viel wie: "Ich bin nicht Heidis Mädchen. Ich bin mehr als mein Aussehen." Die Protestaktion Hamburger Schülerinnen mit Pinkstinks greift den Hashtag #NotHeidisGirl der feministischen Gruppe Vulvarines auf und richtet sich gegen die Schönheitsideale in Heidi Klums Casting-Modeshow Germany's next Topmodel (GNTM) bei ProSieben. Das trifft einen Nerv: Der Clip wurde bisher etwa eine halbe Million Mal geklickt.
Die Kritik an der Sendung scheint diesmal eine andere Dynamik zu haben als in den Vorjahren. Experten zufolge hat das auch mit der Debatte um #MeToo zu tun.
"Ich glaube, die Botschaft, die bei GNTM transportiert wird, ist nicht mehr zeitgemäß", sagt Soziologin Nina Degele von der Uni Freiburg. "Kritik ist immer daran geübt worden, aber nun geht es tiefer. Ich kann mir vorstellen, dass es mit #MeToo zu tun hat, dass sich das Klima geändert hat", sagt Degele. "Die Stimmung in der Gesellschaft ist sensibler geworden."
Das sieht auch Manuela Pauker, W&V, so: "Gerade GNTM hat bisher Eins zu Eins abgebildet, was in der Branche falsch läuft", schrieb sie vor Start der Show. Und appellierte an Medien, sich eher um Stärken als Vorführen zu kümmern.
Die Quoten nach Folge zwei sind aber ok: 2,38 Millionen Menschen saßen beim Nacktshooting vor dem Bildschirm, von den werberelevanten 14- bis 49-Jährigen waren es 1,74 Millionen (17,2 Prozent Marktanteil).
Wie eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov ergab, findet aber die Mehrheit der Deutschen, dass das Format ein falsches Schönheitsideal vermittelt. "Die Kritik an Germany's next Topmodel hat sich geändert, weg von der Magersuchtsdebatte hin zu einem sehr viel größeren Thema: Was ist eigentlich Weiblichkeit?", sagt Medienwissenschaftlerin Miriam Stehling von der Uni Tübingen. Es gehe in der Debatte auch um die Unterwerfung von Frauen - bei GNTM etwa vor den Vorgaben der Jury und dem Schönheitsideal. "Das passt zusammen mit neuen feministischen Bewegungen wie #MeToo. Es geht nicht um einen Schlankheitswahn, sondern darum: Was für ein Frauenbild transportieren wir eigentlich?"
Zuschauer reflektieren
Stehling hat auch untersucht, warum sich Frauen GNTM anschauen. "Junge Mädchen, die GNTM schauen, sind nicht unbedingt mit dem Frauenbild einverstanden", erklärt sie. "Da gibt es eine Ambivalenz, indem sie etwa sagen 'Ich schaue mir das gerne an', die sexistischen Aufforderungen aber kritisch reflektieren." Für 14- bis 20-Jährige sei Reality-TV normal. "Sie wissen, dass es inszeniert ist", sagt Stehling. Aber: "Sie verbannen deswegen nicht das ganze Format."
Der Protest der Schülerinnen zeige, dass die Zielgruppe das Format kritisch sehe und das Frauenbild hinterfrage. "Ich glaube, dass Bewegungen wie #MeToo und #Aufschrei dazu geführt haben, dass diese Themen präsenter sind. Da sehe ich schon einen Zusammenhang", sagt Stehling. "Man muss aber differenzieren zwischen sexistischen Aufforderungen, wie es sie bei GNTM gibt, und sexualisierter Gewalt." In der Show müssen Teilnehmerinnen zwar in knappen Outfits oder nackt mit Bodypainting posieren. Mit den Übergiffen, die bei #MeToo zur Sprache kommen, kann man das Stehling zufolge aber nicht vergleichen.
Das sieht Medienwissenschaftlerin Jutta Röser von der Uni Münster ähnlich. "Bei #MeToo geht es um sexualisierte Machtausübung, Übergriffe und Gewalt", sagt sie. "GNTM funktioniert ja gerade mit und für Frauen." Auch sie glaubt, dass Zuschauer nicht unbedingt mit dem dort gezeigten Frauenbild einverstanden sind.
ProSieben nimmt die Kritik gelassen
"Seit 13 Jahren wird GNTM immer wieder von Medienwächtern geprüft und als unbedenklich eingestuft", erklärt ein Sprecher. "Aber seit 13 Jahren arbeiten sich auch unterschiedlichste Gruppen an GNTM ab, um für ihre Organisation oder ihr Produkt Aufmerksamkeit zu bekommen." In dem Fall sei das die Organisation Pinkstinks, die hinter dem Protestsong steht.
Hat die Show in Zeiten von #MeToo und #Aufschrei eine Zukunft? "GNTM verändert sich von Jahr zu Jahr", betont der Sprecher. "Und nimmt Veränderungen in der Gesellschaft auf." Jurorin Heidi Klum hatte im Vorfeld erklärt, auch Mädchen "mit tollen Kurven" seien gefragt.
Tatsächlich sind zwei Mädchen noch im Rennen, die nicht auffallend dünn sind. Wie toll Kurven sind, hat Heidi Klum in Sendung zwei beim Oben-ohne-Fototermin am Strand merhfachbetont.
"Ich würde mich sehr wundern, wenn die ganze Debatte einfach so verpuffen würde und es mit GNTM einfach so weitergehen würde", sagt Soziologin Degele aus Freiburg. Aber: "Man sollte nicht denken, dass sich durch #MeToo schon morgen alles ändert", sagt sie. "Solche sozialen Strukturen fallen nicht einfach so ab. Aber es ist gut zu sehen, dass es an immer mehr Stellen hinterfragt wird." (sh/dpa)