
Volkswagen:
Nach rassistischem Snippet: Sengpiehl bleibt
Rassismus will der Vorstand nicht erkennen. Stattdessen klagt sich der Konzern mangelnder Sensibilität an und macht die Freigabeprozesse verantwortlich. Nun wird ein Experten-Board für Diversity eingerichtet.

Foto: Volkswagen
Um es gleich vorweg zu nehmen: Personelle Konsequenzen hat der Revisionsbericht nicht, den die Konzernspitze des Autobauers Volkswagen heute vorgestellt hat. Marketingchef Jochen Sengpiehl sagt zwar, er trage die Verantwortung für das Desaster um das rassistische Video "Le Petit Colon", aber er ist nach wie vor im Amt. In der Pressekonferenz stand er am Donnerstagmorgen mit Hiltrud Werner, der Konzernvorständin für Integrität und Recht, und Jürgen Stackmann, Markenvorstand Vertrieb und Marketing, höchstpersönlich Rede und Antwort. Auch Stackmann bleibt. Zur virtuellen Pressekonferenz auf Skype hatten sich um die 70 Medienleute versammelt.
Übrigens steht auch die VW-Agentur DDB Voltage, immerhin Leadagentur, weiterhin als Partner an der Seite von Volkswagen und am neuen Markenauftritt der Marke wollen ebenfalls alle festhalten. Der stehe ja - welch Ironie - eigentlich für Vielfalt, neudeutsch Diversity. "Wir zeigen Menschen verschiedenen Alters, verschiedener Herkunft, mit verschiedenen Lifestyles", sagt CMO Sengpiehl. Das ist gehörig schief gegangen.
Mitte März, genauer am 24. des Monats, war das besagte Video-Snippet für den Golf 8, das den Skandal ausgelöst hatte, das erste Mal in den sozialen Medien zu sehen. Als es am 8. Mai auf dem Twitter-Kanal von Jürgen Stackmann online ging, gab es erste Kritik, die schließlich - angeheizt auch von den Unruhen um den Mord an dem Schwarzen George Floyd - eine ganz eigene Dynamik entwickelte. Erst am 20. Mai aber begann der Konzern, die Sache aufzuklären. Das Video hat der Konzern längst aus seiner Kampagne verbannt, andere Filmchen folgten, die Sengpiehl nicht näher benennt.
Gut gemeint, aber schlecht gemacht
Das Ergebnis dieser Prüfung in Marketing, Beschaffung, Rechtsabteilung und Agenturen liegt jetzt vor: Rassistischen Vorsatz erkennt der Vorstand nicht. "Volkswagen steht für Menschlichkeit und Vielfalt und macht sich gegen Rassismus, Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit stark", sagt Hiltrud Werner. Mit seinen 670.000 Mitarbeitern repräsentiere VW die Welt. Stattdessen beobachten sie bei VW mangelnde Sensibilität im Umfang mit interkulturellen Themen und ethnischen Fragen und machen nicht zuletzt die Freigabeprozesse für die Fehler der vergangenen Wochen verantwortlich. Das Zusammenspiel funktioniere sowohl auf Agentur- wie Kundenseite nicht. Alle Seiten entschuldigten sich dafür.
Dabei war "Petit Colon" offenbar ganz anders angelegt. Eine Serie von fünf Snippets erzählt die Geschichte eines jungen, verliebten Paares, einer Spanieren und eines Deutsch-Nigerianers, das sich beständig neckt. Alles um den neuen Golf 8 herum. Eine solche Story wollte VW auch auf Instagram präsentieren: Sie schnippst ihn ins Café. Das Motiv der großen Hand, auch das Schnippsen, sei auf TikTok zum Beispiel ein gelerntes Motiv, das jungen Leuten Spaß macht. Das Ganze ist Teil der umfassendsten Kampagne, die VW je geschaltet hat. Soweit, so gut.
Das Problem ist nur: Die vielen Hundert Menschen, die diese Videos gesehen und freigegeben haben, haben nicht bemerkt, dass der Film ohne Kontext nicht funktioniert, ja, tatsächlich rassistisch wirkt. Dass die Kreativen auch noch so unbedarft waren, den Darsteller in ein Café mit dem Namen "Kleiner Kolonist" zu schicken, sie auch nicht gesehen haben, dass der eingeblendete Abbinder "Der neue Golf 8" beim Einfaden das N-Wort darstellt, weil sie lediglich die englisch Version autorisiert hatten, sei, so Volkswagen, ein unglücklicher Umstand, der aber keinesfalls zu entschuldigen sei.
Mehr Diversity für Kunde und Agentur
Daran wollen sie arbeiten. Unter anderem soll nun ein Experten-Board für Diversity entstehen, wie Stackmann ankündigt, das solche Fehler in Zukunft schon im Vorfeld vereitelt. Ihm werden unter anderem Vertreterinnen und Vertreter von NGOs angehören. Zusammengestellt wird es von der Diversity-Beauftragten Elke Heitmüller und Hiltrud Werner. Auch die eigenen Mitarbeitenden, immerhin Menschen aus 100 Nationen, wollen sie dafür stärker einbinden. Sie sollen kreative Inhalte unabhängig auf potenziell verletzende, diskriminierende und anderweitig kritische Elemente filtern.
Das gelte, wie Stackmann betont, übrigens auch für die Agenturseite. Wenn dort auf einem Etat die Mitarbeiter häufig wechselten, könnten sie die Werte der Marke VW nicht wirklich verinnerlichen. DDB selbst hat dazu inzwischen Stellung bezogen. "Rassismus, Intoleranz und Diskriminierung haben bei uns keinen Raum. Wir werden unsere Teams dazu befähigen, sensibler auf Anspielungen und Zeichen zu achten, die in einer offenen Gesellschaft keinen Platz haben. Hierzu werden wir in entsprechende Ausbildung investieren", heißt es in einem Statement. Man werde Diversity künftig besser in die täglichen Prozesse integrieren. Hierzu gehöre auch, schneller auf Hinweise aus der Community zu reagieren.
Bei Volkswagen sollen ebenfalls künftig regelmäßige Trainings alle Ebenen des Konzerns interkulturell und ethisch schulen, Diversity und Internationalität werden in allen Teams eine größere Rolle spielen, selbst im Vorstand. Und nicht zuletzt will das Unternehmen eine neue Einheit für Social Media aufbauen, die agentur- und konzernübergreifend inklusive PR, Marketing und interner Kommunikation 24/7 Content kuratiert, bearbeitet und schnell reagiert.