
Motorräder:
Mythos Harley Davidson: Power sucht Frau
Jung und rebellisch war einmal, heute ist Harley Davidson vor allem eine Marke für etablierte Männer um die 50. Immer wichtiger wird deshalb eine neue Zielgruppe: Frauen.
Die Legende entstand 1947 in Hollister, einer amerikanischen Kleinstadt, die damals kaum 4000 Einwohner zählte. Es war der 4. Juli, Independence Day: Fahnen, Marschkapellen, Paraden, jubelnde Bürger am Straßenrand, alles perfekt durchgeplant. Das Übliche. Doch diesmal wollten die Stadtoberen mehr. Motorradrennen sollten die Feierlichkeiten aufpeppen. Im Jahr davor hatten sie so etwas zum ersten Mal veranstaltet und es war ein Riesenerfolg gewesen, maßvoll und bürgerlich. Nie hätten die Politiker im Rathaus mit dem gerechnet, was dann stattdessen passierte: Tausende von feierwütigen Motorradrockern brachen plötzlich in die Stadt ein, fest entschlossen, die Regeln des gesitteten Miteinanders zu brechen. Kneipen wurden auseinandergenommen, Betrunkene prügelten sich auf offener Straße, Motorräder rasten in wilden Wettbewerben über die Main Street. Am Rand des Geschehens, zur Untätigkeit verdammt, standen die sieben Polizisten von Hollister.
Zwei Wochen später druckte „Life“ ein Foto ab, das zum Symbol der Outlaw-Orgie wurde und die bis dahin als Armee- und Polizeilieferant bekannte Motorrad-Marke Harley Davidson zum ersten Mal in einem Zusammenhang zeigte, die seine weitere Geschichte bestimmten sollte. Die Aufnahme zeigte einen Biker, lässig auf seiner Harley sitzend, mit Bierflaschen in beiden Händen und weitere unter sich auf der Straße, die meisten davon in Scherben.
In dem Film „The Wild One“, der 1953 in die Kinos kam und auf den Ereignissen von Hollister basierte, erhielt Harley eine noch größere Plattform. Marlon Brando und Lee Marvin spielen die Anführer zweier rivalisierender Motorradbanden, eine davon fährt Harleys.
In seinem Reportage-Klassiker „Hell’s Angels“ berichtet Hunter S. Thompson davon, welch enormen Eindruck der Film in der Biker-Szene gemacht hatte: „Wir gingen ins Fox Theatre in der Market Street“, zitiert der Erfinder des „Gonzo“-Journalismus einen der damals führenden Angels. „Wir waren ungefähr fünfzig Mann, hatten Weinflaschen dabei und unsere schwarzen Lederjacken an. Wir haben uns oben auf den Balkon gesetzt, Zigarren geraucht, Wein getrunken und rumgebrüllt wie die Idioten. Wir sahen uns selbst da auf der Leinwand.“
Bald darauf war kaum noch ein Mitglied der Hell’s Angels ohne Harley zu sehen: Die Motorräder hatten ihren Ruf als Outlaw-Marke weg. Doch noch waren die Motorräder nicht auf dem Gipfel ihres Ruhms angekommen. Den erreichten sie 1969, als „Easy Rider“ in die Kinos kam und Harley Davidson auf einen Schlag zur Ikone der Hippie-Bewegung machte. Freiheit, Rebellion, Ausbruch, Anderssein – während der Flower-Power-Zeit wurde Harley Davidson ganz ohne eigenes Dazutun mit einer solchen Vielzahl an positiven Emotionen aufgeladen, dass die Marke heute noch davon profitiert, trotz zwischenzeitlicher Qualitätsprobleme.
Zwar kam auch Harley nicht unbeschadet durch die Finanzkrise von 2008, als die Verkäufe in der Heimat – dem mit Abstand wichtigsten Absatzmarkt des Unternehmens – dramatisch einbrachen. Doch der Motorradhersteller aus Milwaukee am Lake Michigan nördlich von Chicago schaffte den Turnaround. Die Abläufe wurden modernisiert, die Fertigung zum großen Teil automatisiert, auf Kosten von Tausenden von Mitarbeitern, die ihren Job verloren. Aber die Einsparungen retteten die Firma. Verantwortlich dafür ist Keith Wandell, mitten in der Krise geholt von dem Mischkonzern Johnson Controls, der seine Zentrale ebenfalls in Milwaukee hat.
Doch ein Problem blieb und verschärfte sich zusehends. Harleys Zielgruppe hatte sich nie geändert: Männer, die in den 1970er Jahren sozialisiert wurden. Schätzungen gehen derzeit von einem Altersschnitt der Harley-Fahrer von 50 Jahren aus. Vor einigen Jahren begann das Unternehmen deshalb eine neue Zielgruppe zu umwerben: Frauen, zuerst in den USA, dann zusehends auch außerhalb. Mit Erfolg: „Der Anteil weiblicher Kunden an unseren Neuzulassungen beträgt derzeit rund zehn Prozent“, sagt Frank Klumpp, Marketing Director bei Harley Davidson Deutschland. Mit insgesamt 10.000 verkauften Motorrädern lag das Unternehmen im vergangenen Jahr auf Platz 3 der Branche, weltweit stiegen die Verkäufe im 3. Quartal 2013 um 16 Prozent. In den USA kaufen inzwischen vor allem weiße Frauen über 35 kein anderes Motorrad häufiger. Zwar hat der Hersteller kein Motorrad speziell für Frauen gebaut, doch er stellt die Individualisierungsmöglichkeiten für die neue Klientel heraus: „Jede Harley lässt sich mit Teilen aus unserem Zubehörprogramm an die individuellen Körpermaße des Fahrers oder der Fahrerin angleichen“, so Klumpp.
Um Frauen die Hemmschwelle vor der Testosteron-Welt der Harley-Verkäufsräume zu nehmen, veranstalten US-Händler spezielle „Garage Parties“, bei denen ihnen Modelle wie die leichtere und agilere Sportster-Baureihe gezeigt werden, Motorräder in helleren Farben, weniger chromblitzend, und sie dazu auch Techniken lernen, um ein umgestürztes Motorrad wieder aufzuheben. Ähnlich ist das Angebot in Deutschland: „Hierzulande bieten die Vertragshändler beispielsweise Ladies Days und Ladies Nights an, die Frauen an das Motorrad und an unsere Marke heranführen und binden“, sagt Klumpp und hebt ein Extra für Novizinnen hervor: „Für alle Frauen, die noch nie selbst im Motorradsattel saßen, gibt’s dort oft sogar unseren Fahrsimulator ‚Jump Start‘, auf dem man ein nahezu authentisches Fahrgefühl erlebt, obwohl das Motorrad – eine echte Harley – fest auf einem Gestell montiert ist.“
Auf Printmotiven warb Harley Deutschland mit den Claims „Männer an den Herd, Frauen auf den Ofen“ sowie „Power sucht Frau“. Auf Unterseiten seines Web-Auftritts stellt das Unternehmen alle Angebote für Frauen vor. In Deutschland sei das zwar „derzeit nicht in Planung“, so Christian Arnezeder, Managing Director der DACH-Region, doch wer englisch oder französisch kann, ist fein raus.
Die neuen Street-Modelle, die dieses Jahr auf den Markt kommen werden (Arnezeder: „In Deutschland wird die Street voraussichtlich im Modelljahr 2015 verfügbar sein.“), richten sich ausdrücklich auch an Frauen. Es ist die erste Harley auf einer neuen Plattform seit 13 Jahren – klein, agil und mit rund 7500 Euro die bisher günstigste Harley.
Mit einer Tradition wird Harley allerdings nie brechen, so CMO Mark-Hans Richer: Werbeideen kommen weiter vor allem von den Kunden. Eine Lead-Agentur hat das Unternehmen seit 2010 nicht mehr und arbeitet dafür mit der Crowdsourcing-Agentur Victors & Spoils zusammen. So entstand die Idee zu der aktuellen #StereotypicalHarley-Kampagne auf Anregung eines Käufers via der „Fan Machine“- Facebook-App. Basisdemokratie, wie die 68er sie sich nicht schöner hätten vorstellen können.