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Medientage München: "Den Rohstoff Geist nutzen“
Klassische Medien vs Internet und Mobile - das prägt den Auftakt der 27. Medientage München. Für das "Solidarsystem" Zeitung in der digitalen Welt setzt sich Verleger Dirk Ippen ein.
Stärker denn je zeigt sich der Respekt der klassischen Medienmacher vor den Veränderungen durch Internet, Social Media und mobile Kommunikation - und auch viel Skepsis gegenüber den Web-Riesen Google oder Facebook. In der Eröffnungsrede zu den 27. Medientagen München hebt die neue bayerische Wirtschafts- und Medienministerin Ilse Aigner (CSU) „noch“ die Rolle von TV, Radio oder Print als Leitmedien hervor, die zunehmend von der Meinungsmacht der Blogger bedrängt würden.
Vielleicht ist es ein wenig Beruhigung ihrer Mandanten in den Medien, wenn Aigner sagt: „Blogbeiträge sind Ausdruck der Meinungsvielfalt, aber selten Journalismus“ Aigner appelliert an die Unternehmen aus TV, Print und Radio, mit kreativen Inhalten den Wettbewerb aufzunehmen mit den neuen großen Playern im Markt. Sie sollten den „Rohstoff Geist nutzen“. Für die entsprechenden Rahmenbedingungen wolle sich die Politik einsetzen und entsprechend regulieren, kommt es von der Politikerin, die nach der Rede zu den Koalitionsverhandlungen in Berlin entschwindet.
Auch BR-Intendant Ulrich Wilhelm beschwört in seiner Keynote – die Medientage sind dieses Mal fest in bayerischer Hand – „noch“ die Orientierungsfunktion der klassischen Medien in der digitalen Datenflut. Sie würden die Komplexität aufbereiten und für Vertrauen sorgen. Genau am Vertrauen gegenüber den Netzriesen hapert es bei einigen der Diskutanten in der nur unwesentlich eingedampften „Elefantenrunde“ mit der neuen Moderatorin Ines Pohl von der „taz“. So fordert Wilhelm einen besseren Schutz der Privatsphäre im Internet.
Sky-CEO Brian Sullivan gibt zu, dass er Google nutze, Facebook und Google+ aber für sich ablehne – seine Nutzerprofile will der dreifache Vater den Web-Konzernen nicht überlassen. Seine Daten zu Werbezwecken nutzen – das geht dem erfahrenden Medienmanager in Zeiten von "Prism" zu weit. Der anwesende deutsche Google-Vertreter Philipp Justus versucht zu kontern mit dem Argument, dass Suchmaschinenarbeit immer Vertrauen voraussetze, zumal die Konkurrenz nur einen Klick entfernt sei. Werbeblock? Zuvor hat Aigner offensichtlich auf den Konzern abgezielt, wenn sie formuliert, der Wettbewerbsverzerrung durch Steuerdumping müsse ein Riegel vorgeschoben werden. Sie spielt auf den Umstand an, dass internationale Unternehmen in Deutschland Gewinn abschöpfen, die Steuern indes nicht hier begleichen.
Optimismus verströmt ausgerechnet ein Vertreter des Printlagers, das in besonderem Maße Leser und Werbekunden an das Internet verliert. Der Münchner Verleger Dirk Ippen („tz“, „Merkur“) räumt zwar ein, dass die Digitalisierung die Zeitungsbranche unter „unglaublichen Handlungsdruck“ setze. Aber die Infoquellen blieben letzten Endes sogar über den mobilen Weg der Smartphones die klassischen Medien. Ippen appelliert an seine Kollegen: Der verstärkte Wettbewerb erfordere mehr Kreativität und bessere Inhalte in der Zeitung. Gute Zeitungen seien "Solidarsysteme", mit denen sich der Leser solidarisieren und verbünden könne. Dann könne das Medium auf neuen Wegen gut bestehen, meint Ippen. „Die Zeitung als Commodity ist heute überall und jederzeit erreichbar“, so der Münchner Verleger. Er wieß um die Omnipräsenz der neuen Medien. Kaum jemand könne sich noch dagegen entscheiden, überhaupt online zu gehen. "Entweder online, schlafen oder tot", so Ippen. Und er sagt auch: "Die Jugend ist ein großes Problem." Wie wird das erst mit den klassischen Medien, wenn die "digital Natives" die Mehrheit der Bevölkerung stellen?
Für ein „eher kleines“ Unternehmen wie Sky biete die Digitalisierung viele Chancen, meint Sullivan – und zeigt keine „German Angst“ vor den aus seiner Sicht nachvollziehbaren wirtschaftlichen Interessen der Telekommunikationsanbieter und Netzbetreiber. Ähnlich argumentieren die Vertreter von VPRT und ProSiebenSat.1, Tobias Schmid und Conrad Albert. VPRT-Chef Schmid wirft ein, Content von RTL und Konsorten seien auch in den neuen Medien "Motor" für viele Diskussionen, die Inhalte füllten mehr Kanäle. Schmid: „Mehr Chance als Risiko.“ Der ProSiebenSat.1-Vorstand Albert führt als Beispiel die Erfolge der Sender im Second Screenan. Beide plädieren aber dafür, dass die Rahmenbedingungen – etwa Werbevorschriften – den neuen Gegebenheiten angepasst würden, Online-Anbieter wie Google, Spiegel Online und YouTube seien gesetzlich im Vorteil. „Wir bräuchten hier schon einen Big Bang der Medienpolitik“, meint Albert mit Blick auf die Zwischenergebnisse des Runden Tischs, die - auf den Medientagen München 2012 angeschoben - nun während des Kongresses präsentiert werden sollen. In einer Sache reiben sich Ippen und Albert: bei der regionalisierten Werbung, die ProSiebenSat.1 gerade gerichtlich durchsetzen will. Ippen will keine regionale Webrung für nationale Medien und mehr Regulierung in der Werbung, Albert naturgemäß das Gegenteil – mit Blick auf neue Super-Wettbewerber wie Google, die bis zum einzelnen Bürger mit allen Nutzungsdaten vordringen könnten.
Die Bonner Medienwissenschaftlerin Caja Thimm ordnet das neue Kommunikationsverhalten der Nutzer so ein: „Das Lagerfeuer von früher ist heute orts- und zeitversetzt.“ Es würden nach wie vor durch die großen Leuchttürme die Themen gesetzt, die Verbreitung funktioniere heute aber über die neuen Kanäle Twitter, Facebook und Co. Davon profitieren auch die anwesenden Unternehmen wie das ZDF, wie Intendant Thomas Belluteinräumt. Die Reichweite der „heute show“ im TV sei das eine, die Verbreitung im Social Web das andere – und schon sehr stark. Nach Ansicht Wilhelms spielen Quote und Reichweite künftig ohnehin keine so große Rolle mehr. Denn immer mehr Menschen schauten nicht mehr linear Fernsehen. Wichtiger seien stattdessen die Relevanz der Inhalte und der Gesprächswert. Bei allen Medienvertretern auf dem Podium wird deutlich: Sie nutzen eifrig die neuen Wege, die Twitter oder Facebook ebnen.