Welche Folgen hat die Digitalisierung für die Arbeit im Marketing und Vertrieb?

Was wir in Auswahlprozessen feststellen: Das alte Mindset beinhaltet häufig ein Silodenken, das die Fachbereiche Marketing, Vertrieb und IT mitsamt ihren Kenntnissen und Fertigkeiten stark voneinander abgrenzt. Solche Kandidaten sind aber nur bedingt für hoch technologische Themen geeignet, da digitale Vertriebler und Marketeers sehr viel stärker als früher auch mit einem Bein im jeweils anderen Fachbereich tätig sind.

Inwiefern?

Ein digitaler Marketeer bewegt sich viel stärker im Vertrieb, weil er den Kunden im Grunde im angestammten Terrain des Vertrieblers bereits abholt und adressiert, mit Automatisierungstools, mit Lead-Generierung, Kundenansprache und so weiter. Der Vertriebler wiederum muss den Marketeer mit Input und Kunden-Know-how versorgen, um eben auch das Targeting zu ermöglichen. Und beide Fachabteilungen verfügen über Schnittstellen zur IT, um sich deren digitaler Tools zu bedienen.

Der Trend geht also zu interdisziplinären Teams?

Ja. Die Digitalisierung macht sowieso nicht Halt vor den Fachbereichen, sondern findet idealerweise abteilungsübergreifend und zum gegenseitigen Nutzen statt. Daher sind Kandidaten gesucht, die agiles Arbeiten sowie das Arbeiten in interdisziplinären Teams gewöhnt sind.

Bringen die Young Professionals diese Fertigkeiten denn schon mit?

Die explizite Erfahrung bringen sie häufig nicht mit. Aber das lösungsorientierte, unabhängig von Abteilungen und Zuständigkeiten Agieren, das ist in der Kohorte der Young Professionals häufig stärker vertreten. Das sind im Grunde auch Strukturen und Arbeitswirklichkeiten, nach denen sie suchen. Starre Organisationsformen und Hierarchien wirken auf besonders digital geprägte Kandidaten eher abschreckend.

Mann am Laptop, Hand groß im Vordergrund

Die Kenntnis und Nutzung digitaler Tools sollte für Marketeers und Vertriebler selbstverständlich sein.

Die Digitalisierung wirkt sich ja nicht nur auf die interne Organisation und Zusammenarbeit, sondern vor allem auch auf die Kommunikation nach außen, mit dem Kunden aus ...

Es gilt die Regel, dass wenn man heute auf den Kunden trifft, hat dieser sich über die Hälfte der Informationen schon beschafft. Demnach ist auch über die Hälfte der Kaufentscheidung schon „abgearbeitet“. Daher sollte ein Unternehmen sämtliche Informationen für den Kunden bereits aufbereitet haben, um selbst wieder die aktive Rolle in diesem passiven Prozess der Informationsbeschaffung einzunehmen.

Und hier kommt das Marketing ins Spiel?

Ja, denn alles, was an Tools möglich ist und auch was ehedem im Kundentermin vor Ort stattgefunden hat, muss nun, vom Whitepaper über Webinare bis zur Produktvorstellung, in die digitale Welt transferiert werden. Dann muss diese Customer Journey auch analysiert, verstanden und verbessert werden. Denn das Unternehmen muss sicherstellen, dass es seinen Kunden auch mit allen nötigen Informationen versorgt. Für all das ist das Marketing verantwortlich.

Was bedeutet dieser gut informierte Kunde für den Vertrieb?

Der Vertriebler alter Schule wird damit konfrontiert, dass der Kunde mitunter mehr über Produkte oder Dienstleistungen weiß als er selbst. Denn das, was im B2C schon sehr prominent und klar ist, ist auch im B2B zunehmend der Fall: Auch hier beschäftigen sich die Kunden in einem sehr viel höheren Maße als früher mit Informationen, Preisvergleichen und anderen Tools.

Was den Vertriebler mitunter ganz schön unter Druck setzen kann …

Daher sind die Unternehmen bei uns auch vermehrt auf der Suche nach Kandidaten, die einen solchen Fall nicht als Bedrohung, sondern als kompetitive Herausforderung sehen und die sich gern in diesen Wettbewerb stürzen wollen.

Welche Skills werden also von den Vertrieblern erwartet?

Im Grunde sind Vertriebler gefragt, die digitale Tools nutzen, die eine Reaktion auf diese Vorkenntnis bieten. Das wären zum Beispiel Predictive Analysis Tools, die auch Zielgruppenanalysen durchführen, um sich auf diese Was-wäre-wenn-Situation vorzubereiten. Mithilfe solcher Tools kann ein Vertriebler sich darüber informieren, was seine Zielgruppe erwartet und sucht, und daraufhin auch den Vertrieb auszurichten.

Angesichts der ganzen Digitalisierung und Automatisierung – wie wichtig ist da noch der menschliche Faktor in Marketing- und Vertrieb?

Der ist nach wie vor unerlässlich. Im B2C-Bereich gibt es zwar viele Beispiele, wo es mitunter ohne den Menschen geht. Im B2B-Bereich ist es aber schwieriger, daher gilt hier der Grundsatz: je erklärungsbedürftiger, desto mehr Mensch. Hier gibt es viele Themen und Gegebenheiten mit einem Beratungsbedarf, der noch bevorzugt persönlich stattfindet. Selbst Telefon- oder Videokonferenzen können nicht alles ersetzen.

Die Vorbereitung auf den Kunden, die Vorbereitung des Kunden auf den Dienstleister oder Lieferanten, all diese Themen sind zwar nicht mehr von der Übergabe einer papiernen Präsentationsmappe abhängig. Aber de facto wird das Finale jedes Vertriebsablaufs immer im Real Life und ohne Avatar getätigt: Ein Geschäft wird immer noch zwischen Menschen gemacht.