Sportmarketing:
Marketing-Derby: Der BVB, Schalke und die Fanbase Centricity
Nirgendwo in Fußball-Deutschland ist mehr Herzblut aka "Customer Engagement" als bei Borussia Dortmund und Schalke 04. Es könnte das Paradies für Digital-Marketer sein. Eigentlich. Bernd Rubel über verwandelte Steilvorlagen und verpasste Chancen.
Wirft man einen Blick auf die Social-Media-Profile vieler Bundesliga-Clubs, dann bewegt man sich in der digitalen Champions League. Für die Follower-Zahlen vieler Vereine würde so manches Börsen-Schwergewicht tief in die Portokasse greifen, Startups erblassen vor Neid. Kein Wunder: Fussball begeistert gerade hierzulande immer noch die Massen, zudem wecken internationale Wettbewerbe die Aufmerksamkeit von Sportbegeisterten in anderen Nationen. Vorne dabei, aber nicht an der Spitze (also wie in der Liga): Borussia Dortmund und Schalke 04.
Viele "Kunden" unterschiedlichster Couleur, ein im harten "Wettbewerb" stehendes "Produkt", eine bereits enge Verbundenheit mit der "Marke" - das schreit geradezu nach Customer Centricity. Vereine, die die Erwartungen, Bedürfnisse und Wünsche der Fans in den Mittelpunkt stellen und ihre Vereinskultur, Strategie und Philosophie und in logischer Konsequenz auch ihre Marketingmaßnahmen daran ausrichten, dürften ein leichtes Spiel haben. Soviel vorab: Ein Derby ist kein leichtes Spiel. Nie.
Emotion ist immer
Zur Kommunikationsschnittstelle zwischen Fans und Fans und Fans und Vereinen ist längst "das Netz" geworden. Unzählige Foren, Apps der Vereine und von Drittanbietern, die Portale der Sportmedien und ganz besonders Twitter, Facebook & Co. - sie alle glühen während der Hinrunde, der Rückrunde, der Transferphase, eigentlich ständig. Hinzu kommen die "Influencer", die getreu dem Motto "Mach’ Dich selbst zur Marke" längst von professionellen Agenturen betreuten Spieler. Der Maßstab für jeden (Möchtegern-)Influencer.
Nun verhält es sich mit den nackten Zahlen im Netz und den Auswertungen selbiger durch spezialisierte Dienstleister wie mit einem Fußballspiel: Eigentlich interessiert sich niemand für den Ballbesitz oder die gelaufenen Kilometer. Genau genommen interessiert sich sogar niemand für das Ergebnis. Es mag wie Phrasendrescherei klingen, aber der "echte" Fan will immer noch ein "schönes" Spiel sehen, das ihm in Erinnerung bleibt und ihn mindestens bis zum nächsten Wochenende beschäftigt. Und da Schönheit bekanntlich im Auge des Betrachters liegt, definiert das jeder Fan für sich.
Schalke 04 hat den Knall gehört. Aber.
Womit wir beim Thema Customer Centricity wären. Um es mal so zu sagen: Da geht noch was. Dem S04 darf man mit einem Blick auf die jüngere Vergangenheit durchaus attestieren, dass der Verein den Knall gehört und ein paar interessante Projekte am Start hat. Erst kürzlich kündigte man beispielsweise ein Vereinstrikot an, das über einen integrierten Chip sowohl zur Eintrittskarte als auch zum Zahlungsmittel wird. Zudem sollen Fans bald die Möglichkeit haben, ein im emotionalen Freudentaumel - also am "Point of Decision" - individualisiertes Trikot direkt nach Spielende im Fanshop - am "Point of Sale" - abzuholen. Feine Sache, auch in puncto Multichannel und Customer Empowerment.
Von dieser unmittelbaren oder gar personalisierten Interaktion mit den Fans ist auf den Social Media Profilen der beiden Klubs allerdings noch nichts zu sehen. Es mag daran liegen, dass die Betreuung der Präsenzen fest in der Hand des jeweiligen Vereins-Marketings liegt und die PR kaum eingebunden zu sein scheint. "Kommuniziert" wird weder in Dortmund noch in Gelsenkirchen. Scrollt man z.B. Twitter ‘rauf und runter, dann ist das alles noch sehr Push, Push, Push. Dauerfeuer, das an den verzweifelten Versuch erinnert, nun endlich einen Treffer zu erzielen.
Ein paar Hashtags, ein paar Emoji, ab und zu ein animiertes Gif, ein paar Bilder oder Galerien, Happy Birthday Spieler XY, ein bisschen Liveticker, gerne auch ein paar Re-Tweets für umgarnte Sportjournalisten oder Medien, Tooooooooooor - das war’s dann auch schon. Zum Einsammeln von ein paar Herzchen reicht das, gemessen an der Followerzahl und theoretischen Reichweite entlockt die Zahl der "Likes" dem aufmerksamen Beobachter nur ein müdes Lächeln.
Ascheplatz statt Champions League
Interaktion? Fehlanzeige. Schaut man auf die Antworten, die - sofern überhaupt - zu den Tweets der beiden Vereine eingehen, dann entpuppt sich die "Champions League" schnell als Ascheplatz in der Regionalliga West. Nein: Sogar da gehts spannender zu. Ab und an erhält der Tweet eines Fans einen Like - sofern er dem Social Media Team auffällt. Denn "Folgen" aka "Zuhören" und miteinander "verbinden" scheint ebenfalls nicht zur Strategie der beiden Clubs zu gehören.
Der BVB bringt es auf nicht einmal 1000 Profile, denen man seine digitale Aufmerksamkeit schenkt, der S04 steht mit nicht einmal 50 Profilen noch "tauber" da. Ist nicht sogar der Kader mittlerweile größer? Egal, Fair Play lautet das Motto: bei Real Madrid sieht es nicht viel besser aus.
Das mag alles nicht so wild klingen, aber gerade im Rückblick auf die vergangene Saison hätte es beiden Vereinen sicherlich gut getan, wenn sie bei der gelegentlich anstehenden Krisenkommunikation auf einen unmittelbaren Draht zu ihren Fans hätten zurückgreifen können.
Man darf sicherlich auch einwenden, dass Twitter eben nicht der dominierende "Kanal" sei und dass die beiden Vereine z.B. bei Facebook ein Vielfaches an Engagement verbuchen. Der BVB kommt hier auf fast 15 Millionen Follower, der S04 nähert sich langsam den drei Millionen. Die Arbeit der Social Media Teams wird dort mit fleissig miteinander kommunizierenden Fans und Likes belohnt - aber in die teils hitzigen Debatten oder gelegentlich drängend wirkenden Fragen schalten sich die beiden Teams nur relativ selten ein.
Ein bisschen wie Training
Die Inhalte? Viele Grafiken und Fotos, kaum eines ohne die offenbar obligatorischen Emoji, teilweise durchgestylt bis zum Exzess oder - absichtlich oder unabsichtlich - Schnappschüsse. Das ist schon alles "in Ordnung" so, aber irgendwie wirkt das noch wie … Training? Eine Strategie lässt sich bei beiden Vereinen nicht wirklich erkennen und abgesehen von ein paar Gewinnspielen oder Rabattaktionen scheint es auch hier mit der Einbindung der Fans oder der Nähe zu den Selbigen nicht weit her zu sein.
Bei Instagram drehen insbesondere die Dortmunder ordentlich auf. Sie bringen es mit insgesamt weitaus weniger Beiträgen auf ein Zehnfaches an Abonnenten, wobei sich das Verhältnis nicht unmittelbar in den Interaktionen widerspiegelt. Bei Facebooks Foto-Tochter machen beide Vereine auf den ersten Blick und gemessen an den Möglichkeiten der Plattform definitiv den besten Job und reizen aus, was man an Emotionalität (und Hashtags) in die Beiträge packen kann. Bilder sagen mehr als tausend Worte.
Da geht noch was
Spielstand? Gemessen an den eingangs formulierten optimalen Grundvoraussetzungen machen die beiden Traditionsvereine aus den sich bietenden Möglichkeiten zu wenig und verschenken ausgerechnet in den Sozialen Netzwerken eine Menge Potential. Es mag an der Kadergröße der Social Media Mannschaften oder am zur Verfügung stehenden Etat für eine noch viel intensivere Interaktion mit den Fans liegen, das kann man von Außen betrachtet wohl kaum beurteilen. Doch wenn es bei der vielbeschworenen Customer Centricity um die Kultur, die Strategie und die Philosophie der Vereine im Umgang mit ihren Fans gehen soll, dann spiegelt das der Auftritt der beiden Clubs in den Sozialen Netzwerken nicht wirklich wider.
Ergebnis: Unentschieden. Und ein spannendes Spiel war es leider auch nicht.
Aber zumindest auf Schalke ist das Thema Customer Centricity mittlerweile ganz oben angekommen. Das zeigt das Video-Interview mit Marketing-Vorstand Alexander Jobst auf der Digitalkonferenz iCONSUMr in Hamburg: