Florian Schültke, Managing Director von Landor Associates: Es gibt keine Krisen-Strategie. Der ADAC hat eine Strategie-Krise. Der Umgang des ADAC mit dem Manipulationsskandal ist völlig unsouverän. Das wirft ein komisches Licht auf den ADAC insgesamt. Einer starken Marke vergibt man einen Fehler. Das kann so weit gehen – wie damals im Fall der A-Klasse –, dass Marken sogar gestärkt aus der Krise hervorgehen. Was aktuell beim ADAC passiert, wirft daher eher die Frage auf, wie stark die Marke ADAC überhaupt ist.

Andreas Liehr, Geschäftsführer von Huth + Wenzel: Vorbildlich sieht anders aus. Etwas zu lange gezögert, etwas zuviel ‚rumgeeiert’, einfach nicht konsequent genug gehandelt. Überhaupt ist Konsequenz das Stichwort dafür, wie es jetzt weitergehen sollte.

Torben Hansen, geschäftsführender Gesellschafter von Philipp & Keuntje: Ich kann keine Krisenstrategie erkennen: Erst wird geleugnet, was das Zeug hält und eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Vorwürfen findet nicht statt. Trutzburg-Mentalität, Empörung und Dialogverweigerung sind die Kennzeichen einer Institution, die sich für unangreifbar hält. Dann, viel zu spät und als es wohl unwiderlegbar war, wird die Gallionsfigur geopfert. Tatsächlich ist es entscheidend, ob es sich bei der Manipulation um einen Einzelfall handelt oder um ein System. Das wird darüber entscheiden, ob der ADAC sich tiefgreifend wandeln muss oder ob „nur“ ein paar schnell herzustellende Korrekturen ausreichen. Der Fall riecht aber eher nach einer seltsamen Unternehmenskultur, die ggf. ausgeräuchert werden muss. An Transparenz und Kooperation geht jedenfalls jetzt kein Weg vorbei. Symbol-Handlungen reichen nicht aus, sie können nur der Anfang sein.

Interessant ist auch, dass man sich als ADAC nicht deutlicher vor die Automarken stellt, die man ausgezeichnet hat. Der dürre Satz, man habe an den absoluten Stimmzahlen gedreht, nicht an der Reihenfolge der Sieger, wird nicht ausreichen. Damit die Sieger der vergangenen Jahre nicht einen bitteren Nachgeschmack spüren, muss der Verursacher hier - mit großer Reichweite - Klarheit herstellen.

Der ADAC genießt als Service-Dienstleister einen guten Ruf und ein sehr hohes Vertrauen. Wie nachhaltig wird dieser Skandal und der scheinbare Alleingang von Michael Ramstetter die Marke ADAC beschädigen?

Andreas Liehr: Das geht ans Eingemachte. Vertrauen ist der Kern der Marke. Einen Fake dieser Art kann sich die Marke ADAC logischerweise nicht erlauben. Weil das so ist, müssen die Verantwortlichen jetzt konsequent aufklären und kommunizieren. Und dann entsprechend der Fragestellung handeln: „Wie sehen unsere Prozesse aus und haben alle beim ADAC verstanden, was die Marke ausmacht?“ Das bedeutet Transparenz nach innen und außen.

Florian Schültke: Das Kerngeschäft des ADAC als Service-Dienstleister wird mittel- bis langfristig nicht unter der Affäre leiden. Die anderen Angebote werden sicherlich längerfristig kritisch beäugt werden. Aber seien wir ehrlich: Der ADAC hat den Sex-Appeal des TÜV – man braucht ihn, möchte aber eigentlich nichts mit ihm zu tun haben.

Dirk Göbel: Das Vertrauen ist beschädigt, keine Frage. Das Ausmaß des Vertrauensverlustes wird maßgeblich von der Fähigkeit des ADAC abhängen, seine eigene Erneuerungskraft schnell und transparent zu formulieren und zu kommunizieren. Erst an den Reaktionen auf die künftige Kommunikation wird sich zeigen, ob der ADAC eine „Lovemark“ ist. Ist der Verein wichtig für die Mitglieder, werden sie ihm auch trotz dieser Krise die Stange halten – wenn nicht, werden sie ihn fallen lassen. Das werden wir in den kommenden Monaten an den Mitgliederzahlen klar feststellen können.

Torben Hansen: Das ist das eigentlich Fatale: Die nützlichen Pannenhelfer könnten unter etwas leiden, womit sie nicht das Geringste zu tun haben. Dabei bilden sie doch den eigentlichen Urzweck des ADAC. Im Laufe der Jahrzehnte scheint den Verantwortlichen aber der Leitstern für ihren eigentlichen Unternehmenszweck abhanden gekommen zu sein. Und wenn man nicht mehr weiß, wozu man im Leben der Kunden wirklich da ist, dann droht eben nicht nur ein aus allen Nähten platzendes Angebots- und Leistungsportfolio, das nur noch der Umsatzmaximierung dient. Dann verlieren eben auch die Mitarbeiter die Orientierung und legen für sich ihre eigenen Maßstäbe fest. Dabei sollte man aber nicht voreilig Sippenhaft für alle ADAC-Mitarbeiter propagieren - ich bin überzeugt, dass die deutliche Mehrheit anständige Arbeit leistet und sich im Dienste der Kunden sieht.

Wie lange der Skandal nachwirken wird, hängt maßgeblich davon ab, wie der ADAC damit in den nächsten Wochen umgeht. Je mehr die Führungsspitze mauert, desto tiefer frisst sich ein solches Verhalten in das Kollektivgedächtnis ein. Jede Beitragsrechnung der nächsten Zeit, jedes Reiseversicherungsangebot und jeden Test werden die Mitglieder durch diesen Filter bewerten. Allerdings muss man leider auch sagen, dass die Trägheit der Masse meist auf Seiten des Übeltäters ist: zu kündigen und nach einem neuen, vertrauenswürdigen Partner zu suchen, wird den meisten zu beschwerlich sein.

Jetzt stehen auch die anderen Tests des ADAC unter Generalverdacht, manipuliert worden zu sein. Wie kann der Club da gegensteuern?  Und: Haben Sie noch Vertrauen in die Marke?

Torben Hansen: Es würde mich wundern, wenn die Sicherheitstests – vom Kindersitz bis zum Autobahntunnel – schludrig durchgeführt würden. Oder wenn die Ergebnisse manipuliert worden wären. Es scheint ja tatsächlich eher ein Fall von verletztem Stolz zu sein: Wenn die "ADAC Motorwelt" zur Wahl aufruft, kann es nicht sein, dass nur wenige Tausende abstimmen. Den vielen Ingenieuren, Testmitarbeitern, Gutachtern, Pannenhelfern etc. würde ich nicht unterstellen, sie handelten ehrlos. Insofern ist mein Vertrauen nicht generell erschüttert. Der ADAC ist bei mir auf Bewährung! Es muss ihm gelingen, nicht nur diesen Fall aufzuklären, sondern vor allem auch seine Betätigungen so zu definieren und gestalten, dass Interessenskonflikte ausgeschlossen werden – ggf. indem er sich von einigen Geschäftsfeldern zu trennt. Andernfalls werde ich dem ADAC mein Vertrauen entziehen, endgültig. Wenn ich das tue, wird es ihn nicht stören, aber es könnten ein paar mehr Mitglieder werden.

Andreas Liehr: Natürlich werden viele Aktivitäten des ADACs jetzt unter dem Blickwinkel einer möglichen Manipulation betrachtet. Das ist ja gerade die logische Folge dieses Vorfalls. Damit daraus kein Stigma wird, muss der ADAC ein ‚gläserner Automobilclub’ werden, der allen sagt, nach welchen Regeln er in Zukunft funktionieren will. Abgesehen davon: Der ADAC ist ja noch mehr als ein Meinungsmacher. Wenn ich mit dem Auto liegen bleibe, freue ich mich heute immer noch, wenn einer der vielen gelben Helfer um die Ecke biegt. Die machen ja trotzdem einen guten Job!

Florian Schültke: Die Relevanz des 'Gelben Engels' ist durch die geringe Teilnehmerzahl der Umfrage bereits beantwortet. Nichtsdestotrotz: ADAC, Stiftung Warentest und vergleichbare Organisationen werden sich darauf einstellen müssen, dass Testergebnisse in Zukunft noch kritischer begutachtet werden. Langfristig können sie nur dafür sorgen, dass das Vertrauen in die Tests und die Marke nicht noch weiter abnimmt. Und: Ja, ich habe weiterhin Vertrauen in den Pannenhelfer ADAC. Das restliche Angebot ist für mich nicht relevant. Daher ist die momentane Fragestellung der Glaubwürdigkeit der Tests in der Verbandszeitschrift für mich eher nachgelagert – sie sind der Selbsterhaltungstrieb einer jeden großen Organisation.

Dirk Göbel: Es bleibt dabei: Transparenz ist das Zauberwort!

Darf es in Zukunft noch einen Preis „Gelber Engel“ geben?

Dirk Göbel: Ich denke der "Gelbe Engel" ist nachhaltig beschädigt und wird zukünftig weder von der Autoindustrie noch von den Verbrauchern positiv goutiert werden.
 Zumindest in der aktuellen Form hat er aus meiner Sicht ausgedient.

Torben Hansen: Wenn die jetzt veröffentlichten Abstimmungszahlen stimmen, scheint der Preis ja nicht besonders viel Mobilisierungspotenzial zu haben - damit ist die Frage also fast schon beantwortet. Um zu wissen, dass der Golf das beliebteste Auto der Deutschen ist, brauche ich zudem nur in die Zulassungsstatistik zu gucken. Insofern fragt man sich, was diese Kategorie aussagen soll. Über die anderen Kategorien kann ich nichts sagen, da der ADAC aktuell unter http://www.adac.de/mein-adac/gelber-engel/ eine komplett leere Seite zeigt - ohne jede Erklärung. Sprachlosigkeit ist auch eine Form der Kommunikation.

Florian Schültke: Meinetwegen schon – klar darf es den 'Gelben Engel' weiterhin geben, aber ich bin wahrscheinlich einer der vielen, für den der Preis irrelevant ist. Ich jedenfalls habe mir noch nie so viele Gedanken über den 'Gelben Engel' gemacht, wie in den letzten Tagen.

Andreas Liehr: Vielleicht ist das nicht das allerwichtigste Projekt des ADAC in diesem Jahr.

Das Präsidium hat angeblich nichts von den jahrelangen Manipulationen gewusst und schiebt alles auf Ramstetter. Hilft das der Marke?

Andreas Liehr: Nicht wirklich. Es stellt sich stets die Frage, wie glaubwürdig das ist. Und selbst wenn es ein Alleingang von Ramstetter war, fragt man sich, was der ADAC für interne Prozesse hat, die so etwas möglich machen. Alles auf einen zu schieben, kann keine Lösung sein. Was hilft, ist eine klare Ansage für die Zukunft.

Torben Hansen: Die Wahrheit hilft. Wenn das die Wahrheit ist, muss man es so sagen. Wenn nicht, vergrößert jedes Zögern den Schaden nur weiter. Was sich das Präsidium wohl ebenso wie die Geschäftsführung  gefallen lassen muss, sind Fragen zu internen Kontrollmechanismen. Wenn ein einzelner Mitarbeiter über Jahre hinweg – wie von der SZ beschrieben – einfach Abstimmungszahlen nach Belieben frisieren konnte, dann hat es offensichtlich keinerlei Kontrolle gegeben. Hier liegt bei einem Verein, der von Vertrauen lebt, wie kaum ein Zweiter, eine nicht hinnehmbare Nachlässigkeit. Schwer vorstellbar, dass es ein „weiter so“ geben kann, ohne dass eine maßgeblichere Person als Herr Ramstetter nicht zumindest die Verantwortung dafür übernimmt. Bisher hört man dazu allerdings nichts.

Dirk Göbel: Für mich gilt grundsätzlich die Unschuldsvermutung. Nun ist es in diesem Falle jedoch so, dass die Kernfrage nicht lautet: „Hat der Vorstand davon gewusst oder nicht“ – abgesehen davon, dass er es hätte wissen müssen. Es geht vielmehr um die öffentliche Wahrnehmung der Marke. Für den ADAC gilt "Wahrnehmung ist Realität". Also läuft alles wieder auf die transparente Kommunikation hinaus.

Florian Schültke: Kann sein, dass das Präsidium nichts gewusst hat. Nur das zeigt auch, in welcher Konstitution die Marke insgesamt ist. Wenn der 'Gelbe Engel' für die Marke intern eine hohe Bedeutung hat, dann ist es nicht vorstellbar, dass Ramstetter der einzige war, der von den Manipulation n wusste. Eine starke Organisation ist niemals einer einzelnen Person ausgeliefert. Nein, es hilft der Marke nicht. Wenn ein so zentrales Ereignis jahrelang ungesehen bleibt, dann wird Vertrauen nicht nur punktuell, sondern auch über den Zeitverlauf abgebaut. Wenn die Verantwortlichen dann kommunizieren, dass es für den Fehler nur einen Verantwortlichen gibt, wirft das kein gutes Licht auf die Marke – das zeugt nicht von Stärke.

Seit 2005 haben vorwiegend deutsche Autohersteller die Leserwahl gewonnen und sich im Glanz des „Gelben Engels“ gesonnt. Wie sollten diese Marken jetzt mit den Manipulationen umgehen? Stillhalten oder offensiv vorgehen?

Torben Hansen: Zum einen könnte man die entgegengenommenen Preise so lange unter Vorbehalt stellen, bis aufgeklärt ist, ob sich durch Manipulation inhaltlich etwas verändert hat. Aber wie schon gesagt, liegt der eigentliche Schaden beim ADAC. Denn so wie es bisher aussieht, ist die Wahl nur etwas weniger repräsentativ gewesen, jedoch nicht völlig falsch. Die Hersteller sollten anstoßen, dass sämtliche Beziehungen zum ADAC überprüft werden - von der Anzeigenschaltung bis zum Outsourcing. Wo Interessenskonflikte lauern, liegt Potenzial für künftige Imageschäden.

Dirk Göbel: Rechtfertigungsversuche sind jetzt fehl am Platze. Die Hersteller sind aber gut beraten, wenn sie unverzüglich damit beginnen Kommunikationsstrategien in mehreren Szenarien zu entwickeln. Falls die öffentliche Wahrnehmung auf die betroffenen Hersteller übergreift, wird dies ein sehr wichtiges Thema werden.
 Bislang sind diese aber noch außen vor und haben noch Schonfrist.

Andreas Liehr: Wer zur Aufklärung beitragen kann, ist sicher willkommen. Die nächste Runde Gerüchte und Verdächtigungen braucht dagegen niemand.

Florian Schültke: Die Autohersteller sollten individuell reagieren: Bei gutem Gewissen stillhalten und bei schlechtem Gewissen rechtzeitig Krisen-Strategien entwickeln.

Der ADAC hat rund 19 Millionen Mitglieder – und bei der Publikumswahl der „Motorwelt“ machen seit Jahren offenbar nur wenige Tausend mit. Was sagt das aus über den Verein als Autofahrer-Lobby und das auflagenstärkste Blatt in Deutschland?

Torben Hansen: Die Motorwelt wird ja seit Ewigkeiten nicht müde, sich als die bedeutendste Autofahrerzeitschrift (vermutlich des Universums) zu betiteln. Dass sie um ihre gigantische Druckauflage nicht wie andere wöchentlich oder monatlich erscheinende Kaufzeitschriften hat kämpfen müssen, könnte sie zu einer Selbstverständlichkeit wie fließend Wasser oder Strom gemacht haben, über deren Sinn und Qualität man auch nur in Ausnahmesituationen nachdenkt. Die mangelnde Mobilisierungskraft spricht dafür, dass ihre Bedeutung im Autofahrerleben nicht so groß sein könnte, wie es der ADAC bislang angenommen hat. Statt Stimmzahlen nach oben zu schönen, hätte Herr Ramstetter lieber über die Belastbarkeit der Beziehung zu den Lesern nachdenken und an der Relevanz der Inhalte arbeiten sollen. Würde man die Leser nicht als „sicheren Bestand“ betrachten, sondern jeden Tag so kämpfen, als müssten sie immer wieder magisch an den Kiosk gezogen werden, wären vermutlich relevantere Umfragen mit mehr Beteiligung das Ergebnis.

Dirk Göbel: Ich bezweifele, dass sich eine Kausalbeziehung zwischen den Teilnahmerzahlen an den Umfragen und der Bedeutung des Verbands oder des Magazins herstellen lässt.
Tatsache ist, dass sich 19 Millionen Menschen als Mitglieder dem ADAC anschließen und diesen damit quasi per Definition zu DEM Interessenvertreter der Autofahrer in Deutschland machen. Die Bewertung darüber, ob der ADAC dieser Verantwortung immer gerecht wird, ist hingegen diskutabel.
 Tatsache ist aber auch, dass die "Motorwelt" das auflagenstärkste Blatt in Deutschland ist und man eigentlich von einer höheren Beteiligung der Leser ausgehen sollte.
 Eine Schlussfolgerung daraus ist aus meiner Sicht: Der "Gelbe Engel" in seiner bisherigen Form hatte offensichtlich keine Relevanz für die Leser. Richtig wäre also gewesen, dessen Ausgestaltung schon vorher grundsätzlich in Frage zu stellen, anstatt die absoluten Werte zu manipulieren. Hier fällt mir sinngemäß folgendes Sprichwort ein: „Es ist töricht die Dinge immer wieder in der selben Form zu tun – aber ein anderes Ergebnis zu erwarten".

Andreas Liehr: Der ADAC ist als Pannenhelfer völlig akzeptiert, wohingegen die ADAC Motorwelt von den Mitgliedern nicht unbedingt als ihr Sprachrohr gesehen oder geschätzt wird. So einfach ist das wohl.

Florian Schültke: Die gesellschaftlich wichtigste Funktion des ADAC ist die Pannen-Hilfe – und so wie es aussieht, wird sie das auch bleiben. Auch mit 19 Millionen Mitgliedern und entsprechender Pflichtlektüre 'Motorwelt'. Die Beziehung zwischen dem ADAC und seinen Mitgliedern ist – aus meiner Sicht – eine reine Zweckbeziehung ohne emotionalen Mehrwert außerhalb der Pannen-Situation.


Autor: Frauke Schobelt

koordiniert und steuert als Newschefin der W&V den täglichen Newsdienst und schreibt selber über alles Mögliche in den Kanälen von W&V Online. Sie hat ein Faible für nationale und internationale Kampagnen, Markengeschichten, die "Kreation des Tages" und die Nordsee. Und für den Kaffeeautomaten. Seit 2000 im Verlag W&V.