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Lidl-Kochboxen wandern vom Netz in die Filiale
In Berlin und Umgebung sind die vorgepackten Tüten des Online-Startups Kochzauber ab sofort in allen Lidl-Filialen zu haben.

Foto: Lidl
Für Discounter und Lebensmittelhändler bleibt der Onlinehandel ein schwieriges Geschäft. So lässt sich erklären, dass Lidl nun eines der Online-Angebote in seine stationären Läden holt: Die Kochboxen, die unter dem Namen Kochzauber firmieren, lassen sich in 230 Filialen in und um Berlin direkt einkaufen. Jede der Kisten enthält Zutaten und Rezepte für drei Gerichte, dabei gibt es vier Varianten - vom Original über die Veggie-Box bis zur Weight-Watchers-Box. Sie kosten zwischen 37,99 Euro und 47,99 Euro.
Bereits im vergangenen Jahr gab es einen Testlauf in ausgewählten Standorten. Mit der jetzigen Ausdehnung des Kochbox-Angebots in die Offline-Welt soll noch längst nicht Schluss ein: Der Discounter will das Geschäftsmodell weiter auszubauen und stärker mit dem stationären Angebot verknüpfen, wie das Unternehmen gegenüber dem Branchenblatt "Lebensmittelzeitung" erklärt. Als Chefin des Lidl-Ablegers firmiert seit kurzem Catharina Diekmann. Ausgeschieden seien dagegen die beiden E-Commerce-Experten Hannes Pagel und Christian Altmeyer, so Lidl.
"Im Lebensmittelhandel ist eine Ernüchterung zu beobachten, was das Online-Geschäft angeht. Viele haben einen Gang zurückgeschaltet, was den Ausbau ihrer Internet-Aktivitäten angeht", beobachtet der E-Commerce-Experte Kai Hudetz vom Kölner Institut für Handelsforschung (IFH). Die Erwartung, dass durch den Start von Amazon Fresh der Online-Handel mit Lebensmitteln unheimlich an Fahrt gewinne, habe sich noch nicht erfüllt.
Tatsächlich scheinen die großen deutschen Handelsketten beim Ausbau ihrer Online-Aktivitäten ein wenig die Lust verloren zu haben. Beim Internet-Vorreiter Rewe stagniert die Zahl der vom Lieferservice abgedeckten Regionen schon seit geraumer Zeit bei 75. Statt das Netz weiter zu verdichten, testet Rewe lieber in gut 50 Läden Servicestationen, bei denen der Kunde per Internet bestellte Waren selbst abholt.
Konkurrent Edeka beschränkt sich mit dem von Tengelmann übernommenen Lieferdienst Bringmeister nach wie vor auf Berlin und München. Die wie Lidl zur Schwarz-Gruppe gehörende Handelskette Kaufland habe das mit viel Ehrgeiz gestartete Online-Geschäft mit Lebensmitteln sogar wieder weitgehend aufgegeben. Ein Lieferservice im Lebensmittelbereich lasse sich "auf Sicht nicht kostendeckend betreiben", hieß es zur Begründung bei Kaufland. Aldi lässt bisher in Deutschland ganz die Finger von dem Thema. Der Discounter investiert lieber Milliarden in die Verschönerung seines Ladennetzes.
"Die Händler stehen vor einem Dilemma: Wer zu früh in den Online-Handel einsteigt, verliert Geld. Wer zu spät kommt, verliert Marktanteile. Die Kunst ist es, bereit zu sein, um auf den Zug aufzuspringen, wenn er losfährt. Aber nicht vorher. Das Anschieben kostet im Moment noch unheimlich viel Geld", meint Hudetz.
Tatsächlich liegt der Marktanteil des Online-Handels bei Lebensmitteln nach wie vor bei nur rund einem Prozent. Die durch ein dichtes Ladennetz verwöhnten Deutschen erweisen sich als schwierige Kunden für die Onliner. Woran es den Internet-Supermärkten vor allem fehlt, ist Stammkundschaft. Laut EY-Studie kaufte im vergangenen Jahr gerade einmal jeder 70. Befragte (1,4 Prozent) seine Lebensmittel bereits mindestens zur Hälfte online. Nur jeder achte befragte Verbraucher gab an, künftig häufiger online shoppen zu wollen.
"Das Marktpotenzial des Online-Handels mit Lebensmitteln wurde von vielen überschätzt", glaubt inzwischen der Handelsexperte Hudetz. Bei den meisten Verbrauchern fehle die Bereitschaft, die Kosten für den teuren Lieferservice extra zu bezahlen. "Der Online-Anteil beim Verkauf von Lebensmitteln kann in den nächsten zehn Jahren zehn Prozent erreichen. Wie es heute aussieht, wird sich Amazon mindestens 50 Prozent davon sichern. Wenn Rewe und Edeka nicht bald wieder Gas geben, könnten es sogar 80 Prozent werden."
am/mit dpa