Peter Breuer:
Leider doof: Wenn bei Stereotypen nichts mehr klingelt
Jeder soll texten wie er kann und wie er mag. Aber es gibt Grenzen, findet W&V-Kolumnist Peter Breuer. Einige Adjektive zum Beispiel gehören in den Sondermüll für abgelaufene Stereotypen. Und Jugendsprache in der Werbung sollte mit hohen Haftstrafen belegt werden. Eine Stilkritik.
Ein Wort, das ganzheitlich und nachhaltig aus dem Sprachschatz der Werbung verschwinden sollte – abgesehen von "ganzheitlich" und "nachhaltig" – ist das Adjektiv "lecker". Pommes sind lecker, Gemüse ist lecker und Schokolade ist natürlich ebenfalls sehr lecker. Dass Lafer und Lichter auch "lecker" sind, liegt natürlich in erster Linie an der naheliegenden Alliteration, aber vielleicht auch an Horst Lichter. Der kommt nämlich aus Köln, wo es sogar "lecker Mädsche" gibt. In der großen Produktwelt des umtriebigen Johannes Lafer ist zwar alles eher "delikat" oder "köstlich", aber der Suchmaschinen-Experte hat trotzdem auf fast jeder Seite das Wort "lecker" in den Quelltext geschraubt.
Lecker ist unspezifisch und hinterlässt die Vorstellung eines billig gefüllten prallen Bauchs und kein gedankliches Geschmacksfeuerwerk am Gaumen. Es ist nicht süß, sauer, salzig, bitter oder umami, nicht klebrig, filigran, bissig, schmelzend, knuspernd, sondern plump wie ein Badewannenstöpsel. Lecker ist Kindersprache und es ist nicht die eines hochbegabten Kindes.
Ein zweites Wort, das ganz dringend eine mehrjährige Pause einlegen sollte, ist "sexy" – diese sprachliche Entsprechung eines mit einer Whiskyreklame bedruckten Spiegels. Vor den Kulissen der Werbung ist das Wort zum Glück einigermaßen selten geworden.
Leider weniger aus der vernünftigen Überlegung, dass dieses Wort wirklich alles, worauf man es klebt, zu einem Resterampenartikel macht, sondern aus der berechtigten Angst, die kurze Assoziationskette "Sportliches Auto, erhöhte Paarungsbereitschaft beim anderen Geschlecht" vor Feministinnen erklären zu müssen. Hinter den Kulissen der Werbebranche hört man "sexy" immer noch und es sind meist ältere Herren, die über "sexy Kampagnen mit leckerer Typo" sprechen. Zwischen 2030 und 2040 wird von Metereologen eine kleine Eiszeit erwartet – vielleicht stirbt das Wort dann endlich aus.
Neben sexy und lecker gibt noch viele Worte, die auf den Index gehören, weil sie so oft benutzt worden sind, dass sie nur matt klingeln, statt ein Gefühl, eine klare Vorstellung oder eine Erinnerung auslösen zu können. Was soll zum Beispiel schon noch "edel" sein, wenn die Preislisten der Warenwelt von Artikeln angeführt werden, die künstlich zerstört oder mühsam vorgealtert sind? Wie wertvoll ist das Wort "Luxus", wenn der Jetset nicht mehr Rosen aus Helikoptern über dem Anwesen von Brigitte Bardot abwirft, sondern in Jogginghosen mit dem Bentley zum Supermarkt fährt?
Sensible Texter wollen nicht nur müde Wörter meiden, sie leiden auch berufsbedingt irgendwann unter dem Druck, dass ihre Arbeit nur dann ernst genommen wird, wenn sie auch im Word-Dokument kreativ aussieht. Weil ein Satz mit Subjekt, Prädikat und Objekt aber losgelöst vom Layout fast immer aussieht wie ein normaler Satz, retten sie sich in die Möglichkeiten der deutschen Sprache, in der die Bildung neuer substantivischer Komposita erfreulich einfach ist.
Spätestens wenn es während der "Brillenfreutage" des Optikers auch "Schmuserabatte" gibt und der Coiffeur neben seiner "Wohlfühloase" noch eine "Wohlföhnoase" einrichtet, wird es seltsam und solange man noch selbst über sich lachen kann, sollte man sich selbst zwingen, wieder ganz normal zu sprechen.
Zum Schluss noch eine dringende Bitte. Alles, was weiter oben steht, sind Petitessen, ist nicht weiter ernst zu nehmen und von mir aus kann doch sowieso jeder alles halten wie er mag. Aber Jugendsprache in der Werbung sollte mit hohen Haftstrafen belegt werden.
Die 70-jährige Oma, die ihrem Enkel zum Zeugnis gratuliert, ihm attestiert, "ein richtiger kleiner Checker" zu sein und sich dann kichernd verabschiedet, weil sie nach einem Besuch im Münzmallorca noch xtrem-couching machen muss, die hat vielleicht in einer Zeitung einen von diesen üblichen Sommerloch-Texten über Jugendsprache gelesen. Na gut, die Oma ist Amateurin. Die darf das.
Nur Werber sollten gefälligst ihre Finger von einer Jugendkultur lassen, deren Codes sich schneller verändern als Grippeviren. Viele Trends der Jugend werden früher oder später ohnehin adaptiert, glattgebügelt und kommerzialisiert, aber die Werbung sollte sich nicht mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner der Jugendsprache an die Zielgruppe heranwanzen – ein "Läuft bei Dir" oder "Gönn dir!" wirkt auch mit der passenden Typo, als hätte sich Oma verkleidet. Selbst wenn der Texter so gut Longboard fährt wie Simon Unge: Irgendwann ist auch leider geil leider total doof.