
Kommentar :
Kreatives Pinkwashing
1969 wehrten sich Lesben, Drags und Trans* in New York erstmals gegen Polizeirazzien. Die Stonewall Riots gelten als Beginn der modernen LSBTI-Bewegung, die Unternehmen gern für sich vereinnahmen. Eine Kritik.

Foto: Thomas Dashuber für W&V
Jedes Jahr im Sommer, der je nach Land schon im Mai beginnen und erst im September enden kann, feiern Lesben, Schwule, Bi, Trans* und Inter* weltweit den Gay Pride, der an die Anfänge der modernen LSBTI-Bewegung in New York erinnert. Die Stonewall-Aufstände dort haben 2019 ihren 50. Jahrestag. Am 28. Juni 1969 haben sich vor allem Lesben, Drags und Trans* vor der Bar Stonewall Inn erstmals gegen willkürliche Polizeirazzien gewehrt. Seitdem ist viel passiert.
In einem solchen Jahr entdecken verständlicherweise mehr Unternehmen denn je ihr Herz für sexuelle Minderheiten. Sie marschieren mit beim Christopher Street Day, wie der Pride in Deutschland, Österreich und der Schweiz heißt, engagieren sich als Sponsoren, bringen eigene Regenbogen-Editionen ihrer Produkte raus oder schalten Imagekampagnen, die für Akzeptanz und gleiche Rechte werben. Aber nicht jedem gefällt das: LSBTI-Aktivist*innen beklagen eine zunehmende Kommerzialisierung des Events, andere sprechen von Pinkwashing. Oft zu Recht.
Eine Markenwelt ohne Homo- und Trans*-Phobie
Vor allem in den USA, Mutterland der Pride-Bewegung, haben sich Firmen in diesen Wochen von ihrer bunten Seite gezeigt: Bemerkenswert waren zum Beispiel die Kampagnen von Sodastream und Pantene. Der Wassersprudler stellt sich im Werbefilm eine Welt ohne Homo- und Trans*-Phobie vor, von Anbeginn der Zeit, und zeigt Liebesszenen aus vier Jahrzehnten. Ganz schön.
Pantene inszeniert in der Kampagne "Don't Hate Me Because I'm BeautifuLGBTQ+" die Vielfalt der Community in ihrem Kampf um Selbstbestimmung. "Haare spielen eine große Rolle, wenn sich Menschen auf dem Weg zu sich selbst verändern", sagt das Unternehmen. Pantene feiert Trans*, Androgyne, Non-Binary, Bi, Queers und Drags. So sichtbar sind Minderheiten in der Werbung selten.
In Deutschland lud Burger King zwei Männer aus Osteuropa zur Hochzeit nach Deutschland; bei ihnen zu Hause gibt es die Ehe für alle nicht. Dafür ließ das Fastfoodrestaurant aus einem verkokelten Whopper Diamanten pressen, die nun die Ringe der Gatten zieren. Die Geschichte ist ein politisches Statement. Aber wie nachhaltig ist das alles?
Burger King immerhin trat beim CSD in Köln als Sponsor auf und spendete an den Lesben- und Schwulenverband LSVD. Außerdem haben sie natürlich Dima und Alvar, die Protagonisten ihrer Werbeaktion, zum CSD einfliegen lassen. Einmal frei sein!
Pantene unterstützte den World Pride in New York, ging darüber hinaus eine Partnerschaft mit dem Verband GLAAD ein, der Gay and Lesbian Alliance Against Defamation.
Shitstorm für zu viel Eigen-PR
Andere nutzen den Pride dagegen sehr plakativ zur Eigen-PR. In England stellte Lego im Discovery Center Westchester einen Mini-Pride nach, der durch New York zieht. Die Handelskette Marks & Spencer labelte Sandwiches mit L(ettuce), G(uac), B(acon), T(omato) – und erntete dafür einen grandiosen Shitstorm.
Im Prinzip ist das Engagement der Unternehmen ja zu begrüßen; sie könnten gerade in homo- und trans*-phoben Ländern einiges bewegen. Grundsätzlich ist von außen aber schwer zu erkennen, ob sich die Unternehmen tatsächlich für Vielfalt einsetzen oder unterm Regenbogen nur ihren Umsatz steigern wollen. Allein in Deutschland liegt die Kaufkraft von LSBTI je nach Studie zwischen 50 und 100 Mrd. Euro jährlich. In LSBTI-feindlichen Ländern wie Russland oder den 72 Staaten, in denen Homosexualität bis heute verboten ist – in 13 Ländern steht darauf sogar die Todesstrafe – halten sich die globalen Konzerne mit Kritik auffällig zurück.
Besinnt Euch!
So ist es also kein Wunder, dass derzeit eine neue Bewegung ("Reclaim Pride") entsteht, die die Geldmacherei zum Pride kritisiert, von New York über Paris bis Berlin. Die Diskussion hat gerade erst begonnen. Führen wir sie!