UK-Zeitungsmarkt:
Ist der Guardian auf dem Weg zum Online-only-Titel?
Die Print-Auflage ist im freien Fall. Soweit der Titel noch zum "Relevant Set" in der politischen Debatte zählt, liegt es an seiner Website.
Der Relaunch der britischen überregionalen Tageszeitung The Guardian Anfang des Jahres, der mit einem Wechsel vom Berliner- zum kleineren Tabloid-Format einherging, hat sich auf die Auflagenentwicklung des Blatts nicht positiv ausgewirkt.
Im Gegenteil: War die durchschnittlich verkaufte Auflage vor einigen Monaten schon unter die 150.000er-Marke gefallen, so fiel sie im Juni mit 138.000 Exemplaren bereits unter die 140.000er-Marke. Im Vergleich zum Juni des Vorjahres entspricht dies einem Minus von 13,2 Prozent. Dies geht aus den aktuellen Zahlen des britischen Auflagenkontrolleurs ABC hervor. Im Jahr 2010 lag die Auflage des Guardians noch bei über 300.000, im Jahr 2000 bei über 400.000 Exemplaren.
Mit der jetzigen Auflage verkauft der Guardian als überregionaler Zeitungstitel in Großbritannien inzwischen weniger Exemplare als so manche Lokal- oder Regionalzeitung in Deutschland, etwa die Passauer Neue Presse, die Schwäbische Zeitung oder das Hamburger Abendblatt.
Auch der Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft im Juni oder die – für die angeblich überdurchschnittlich gebildeten und politisch interessierten Guardian-Leser vielleicht wichtigere – Dauerkrise der britischen Regierung mit dem Tory-internen Streit über die Brexit-Strategie konnte diese Entwicklung offensichtlich nicht bremsen.
Ein Grund könnte möglicherweise der höhere Verkaufspreis des Guardians im Vergleich zu den beiden Konkurrenzblättern Daily Telegraph und The Times sein. Während der Copypreis des Guardians montags bis freitags bei 2 Pfund und samstags bei 2,90 Pfund liegt, kostet der Daily Telegraph mit 371.000 verkauften Exemplaren 1,80 beziehungsweise 2,20 Pfund, die Times mit 428.000 Exemplaren 1,60 beziehungsweise 1,90 Pfund.
Wenn der Guardian dennoch in der politischen Debatte in Großbritannien und auch in der publizistischen Wahrnehmung derselben in Deutschland eine überproportionale Rolle spielt, so liegt dies inzwischen längst nicht mehr an der Print-Ausgabe des Titels, sondern an den stark genutzten Digital-Angeboten, insbesondere der Guardian-Website.
Deren Nutzung ist im Gegensatz zu den Websites der Hauptkonkurrenten The Times (strikte Paywall) und Daily Telegraph (Freemium) weiterhin kostenlos zugänglich. Der Verlag Guardian Media setzt hier auf freiwillige Spenden der Nutzer. Allerdings: Seit einigen Monaten lässt der Verlag die Nutzungszahlen der Website nicht mehr durch den Auflagenkontrolleur ABC prüfen, sodass für die Entwicklung in diesem Bereich keine unabhängig geprüften Zahlen vorliegen.