G20-Kampagne:
Gruner + Jahr bringt fünf Chefredakteure hinter Gitter
Anlässlich des G20-Gipfels trommelt G+J mit einer groß angelegten Kampagne für Meinungs- und Pressefreiheit. Was dahinter steckt, erklären die Initiatoren im Interview.
Am 7. und 8. Juli findet der G20-Gipfel in Hamburg statt. Für das Treffen der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer reisen Staats- und Regierungschef sowie zahlreiche internationale Organisationen an. Für Hamburg bedeutet das schon jetzt den Ausnahmezustand. Zugleich aber auch die Chance, wichtigen Entscheidungsträgern eine Botschaft zu übermitteln - beispielsweise hat das Getränkelabel Fritz-Kola bereits Stellung bezogen. Jetzt agiert auch Gruner + Jahr: Das Haus will auf presserechtliche Missstände aufmerksam machen und startet zu diesem Zweck ab 4. Juli eine mehrsprachige Social-Media-Aktion. Parallel wird die Fassade des Gebäudes mit vier großen Plakaten eingerüstet – gegenüber der Elbphilharmonie, in der Recep Erdogan, Donald Trump, Wladimir Putin und Co. am Freitagabend ein Konzert besuchen.
Testimonials der Kampagne (Konzept und Kreation: Territory Webguerillas) sind fünf G+J-Chefredakteure, die hinter Gittern gezeigt werden, um auf inhaftierte Journalisten weltweit aufmerksam zu machen: Die Bilder von Christian Krug (Stern), Brigitte Huber (Brigitte), Christoph Kucklick (Geo), Philipp Jessen (Stern Digital) und Florian Gless (National Geographic, P.M.-Gruppe) wurden von Fotograf Anatol Kotte in Szene gesetzt. Zudem gibt es ein Motiv, das sich mit der Grundsatzforderung "Für Pressefreiheit weltweit" in 13 Sprachen direkt an die Teilnehmer des G20-Gipfels richtet. Außerdem stehen auf einer eigens für die Initiative angelegten Landing Page unter www.fightforourwrite.com alle Motive auf Deutsch, Englisch, Türkisch und Russisch zum Teilen über Facebook, Twitter, LinkedIn und Google+ bereit.
Kämpfen für ein elementares Recht
Initiiert und konzipiert wurde die Kampagne von David Eicher, Geschäftsführer von Territory Webguerillas, und Frank Thomsen, Leiter der G+J-Unternehmenskommunikation. Wie die Idee zur Kampagne entstand und was sie sich von ihr erhoffen, erzählen sie im Interview mit W&V:
Herr Eicher, Herr Thomsen, die Welt macht derzeit viele verschiedene Krisen durch. Pressefreiheit ist dabei ein wichtiges Thema. Aber haben Sie nicht die Befürchtung, Ihr Anliegen könnte angesichts der großen Zahl anderer globaler Baustellen etwas untergehen?
Frank Thomsen: Wir treten für ein Grundrecht ein, das global unter Druck geraten ist – und das für die Arbeit eines Verlags wie Gruner + Jahr elementar ist. Natürlich gibt es noch andere Probleme, aber dies ist nun wahrlich kein nebensächliches.
David Eicher: Angst ist kein guter Ratgeber. Darum machen wir das, woran wir glauben und was uns antreibt.
Wie entstand eigentlich die Idee für die Kampagne?
Thomsen: Das war vor einem halben Jahr, ich habe damals David und die Webguerillas in München besucht, sie sind ja vergangenes Jahr neu bei G+J an Bord gekommen, als Teil unserer Content-Communication-Firma Territory. Und da habe ich ihnen von unserem Kerngedanken erzählt: Wenn wir im Juli bei G20 die Welt vor der Haustür zu Gast haben, dann können und wollen wir nicht schweigen, dann wollen wir uns einmischen. Für eine freie Welt, für eine freie Presse.
Eicher: Wir fanden das sofort gut und haben nicht einen Augenblick gezögert. Im Rahmen unserer Social-Media-Mandate erleben wir täglich, dass Menschen Kritik üben oder einfach nur ihre Meinung äußern. Das ist ihr gutes Recht und Grundlage für ein lebendiges, authentisches Web. Und das soll auch so bleiben – nicht nur im Social Web, sondern in allen Medien. Was wir allerdings gerade weltweit erleben, ist vielfach willkürliche Machtausübung; staatliche Gewalt gegen Unschuldige; Unrecht, das zu Recht mutiert; Lügen, die als Fakten verkauft werden. Kritische Journalisten, die für uns alle recherchieren, geraten ins Visier, werden Opfer staatlicher Gewalt. Dieser Welt dürfen wir nicht ohnmächtig gegenüberstehen.
Nach welchen Gesichtspunkten wurden die Chefredakteure als Testimonials ausgewählt?
Thomsen: Wir haben die großen Titel Stern, Geo und Brigitte dabei und wir haben Kollegen, die in ihren Medien über die Themen der globalen Weltordnung berichten. Natürlich hätten auch noch andere Kolleginnen und Kollegen aus unserem Haus dabei sein können. Die Kampagne läuft aber mit fünf Gesichtern.
Und Sie hoffen nun auf Reaktionen der Mächtigen…?
Thomsen: Vielleicht schaut ja Donald Trump mal von der Elbphilharmonie rüber und denkt nicht als erstes „Fake News“. Oder Herr Erdogan entwickelt für eine Sekunde Mitgefühl für inhaftierte Journalisten. Oder, oder. Es ist erschreckend, in wie vielen G20-Staaten die Pressefreiheit nicht oder nicht vollständig gewährleistet ist, wie viele Journalisten im Gefängnis sitzen, nur weil sie ihren Job gemacht haben. Wenn unsere Aktion dazu beiträgt, diesen Missstand ins allgemeine Bewusstsein zu rufen, dann bin ich zufrieden.
Eicher: Ich würde mich über gesellschaftsübergreifende Aufmerksamkeit und über viele Unterstützer freuen. Demokratische Rechte wie Pressefreiheit und Meinungsfreiheit sind Errungenschaften einer zivilisierten Gesellschaft und Grundlagen für seriösen Journalismus und objektive Berichterstattung. Deshalb gehen uns diese Themen alle an. Und, ja natürlich ist der Hashtag #FightForOurWrite auch ein Appell an die G20-Teilnehmer, nicht einfach zur Tagesordnung überzugehen. Sondern sich aktiv und lautstark in den Dienst einer freien Welt zu stellen, auch wenn dies unbequem ist.