
Interview zur Insolvenz :
Friedmann schonungslos: "Abendzeitung hatte kaum ein gutes Jahr"
Die Münchner "Abendzeitung" kämpft ums Überleben. Herausgeber Johannes Friedmann spricht in der "SZ" über die Gründe - und nennt mögliche Auswege. Eine Petition will indes das Blatt retten.
Es steht seit Jahrzehnten schlimm um die Münchner "Abendzeitung", die am Mittwoch Insolvenz anmelden musste. Herausgeber Johannes Friedmann leistet nun einen Offenbarungseid, wenn er im Interview mit der verwandten "Süddeutschen Zeitung" am Donnerstag sagt: "Es gab kaum jemals ein gutes Jahr in der Abendzeitung", seitdem er 1986 die Geschäfte übernommen habe, so Friedmann. Als Gründe für den Insolvenzantrag nennt er sinkende Anzeigenerlöse und Leserzahlen sowie hohe Druckkosten. "In Wirklichkeit hätte man diesen Schritt schon viel früher gehen müssen", zeigt sich Friedmann selbstkritisch – "vor zehn Jahren". In dieser Zeitspanne hat er 70 Millionen Euro in die Zeitung gepumpt und das "Tafelsilber" veräußert, wie es bei Bekanntgabe der Pleite hieß. Friedmann blickt nun skeptisch nach vorne: "Mit Hilfe eines Investors könne die AZ zwar überleben, aber: "Ich kenne nur keinen." Inzwischen macht sich eine Online-Petition für den Erhalt des Blattes stark.
Nach Angaben Friedmanns ist auch eine Sanierungsfusion denkbar, wie bei der Übernahme der "Frankfurter Rundschau" durch die "FAZ". "Aber wer käme da infrage? Eigentlich nur der Süddeutsche Verlag, der sich aber von Anfang an äußerst uninteressiert gezeigt hat - vielleicht könnte auch Dr. Ippen interessiert sein." Zur Zeitungsgruppe des Verlegers Dirk Ippen gehören der "Münchner Merkur" und die Münchner Boulevardzeitung "tz". In der "tz" schreibt Ippen: "Verlag und Redaktion der ‚tz‘ würden es sehr bedauern, wenn die Insolvenz des benachbarten Hauses dazu führen sollte, dass die ‚Abendzeitung‘ künftig nicht mehr erscheinen kann." Die Situation der "AZ" sei ein Einzelfall. "Die allermeisten deutschen Tageszeitungen sind wirtschaftlich gesund. (...) Sie erfreuen sich insgesamt einer Reichweite und Werbekraft, die größer ist als jemals zuvor in ihrer Geschichte."
Das Internet mache den Boulevard-Journalismus platt, lässt "AZ"-Herausgeber Friedmann durchblicken: "Das, was eine typische Boulevardzeitung ausmacht, ist (...) durch das Internet weitgehend bedeutungslos geworden." Junge Leser seien nur sehr schwer für den Boulevard zu begeistern. "Die suchen sich heute alles im Internet zusammen, vor allem bei Facebook. Da bekommen sie dann eben alle aktuellen Nachrichten über genau die Bands oder die Sportler, die sie interessieren." Der Pessimismus Friedmanns ist aber nicht in allen Punkten zutreffen. Laut der Mitteilung des Insolvenzverwalters vom Mittwoch ist die "Abendzeitung" nicht zahlungsunfähig, der Betrieb ist vorerst gesichert.
Am Mittwoch hat die "AZ" beim Amtsgericht München einen Insolvenzantrag gestellt – nach 66 Jahren. 110 Mitarbeiter sind betroffen, davon rund 50 in der Redaktion, die Kampfwillen zeigen. Die Familie Friedmann als Eigentümerin ist mit 18,75 Prozent auch am Süddeutschen Verlag beteiligt, der die "Süddeutsche Zeitung" herausgibt. Der 62-jährige Friedmann ist der Sohn des 1969 gestorbenen "AZ"-Gründers Werner Friedmann. Dessen Frau Anneliese Friedmann – heute 86 - übernahm 1969 die Verlagsleitung. Sie ist gemeinsam mit Johannes Friedmann Herausgeberin der "Abendzeitung".
W&V Online gibt Ihnen in einem Storify-Stream einen Überblick über die Reaktionen nach Bekanntwerden der Pleite.
ps/dpa