Christian Henne:
Facebook als Schlachtfeld: Die Umfrage
Verkommt Facebook tatsächlich zu einer Plattform voller Aggressionen, zum gesellschaftlichen Schlachtfeld? Eine Analyse von Christian Henne vom Munich Digital Institute für W&V.
Hetze, Beschimpfungen, Entfreunden – momentan hat man den Eindruck, Facebook sei zum gesellschaftlichen Schlachtfeld geworden. Doch stimmt das? Eine Analyse von Christian Henne vom Munich Digital Institute für W&V.
Sascha Lobo attestiert den Facebook-Nutzern aktuell Stumpfheit und Dummheit, Nico Lumma fordert das Rausschmeißen von pöbelnden Leuten aus der Freundesliste.
Das Munich Digital Institute hat Zahlen einer Umfrage vorgelegt, die diese Entwicklung bestätigen. Kernaussage: Der News-Feed der Nutzer hierzulande wird ernster, aggressiver, politischer. Fast die Hälfte ist bereit zu entfreunden, circa ein Fünftel der Nutzer will Facebook wegen dieser Entwicklungen weniger nutzen.
Für Facebook sind das alles andere als gute Entwicklungen. Nicht umsonst hat man nun Arvato engagiert, um mit Löschungen gegen entsprechende Beiträge vorzugehen. Dazu wurde eine Initiative für Zivilcourage vorgestellt. Soeben hat Mark Zuckerberg angekündigt, im Februar nach Deutschland zu kommen.
Was bedeuten diese Entwicklungen nun konkret für Marken auf Facebook? Alles wie bisher oder radikaler Wandel? Ein Ausblick in vier Punkten:
1. Vorsicht Community-Manager! Löschungen führen zu Zensur-Vorwurf.
Das Szenario ist bereits absehbar. In Zeiten, in denen nicht wenige der Politik und den Medien gesteuerte Berichterstattung vorwerfen, ist das Vertrauen in die Öffentlichkeit zumindest angeknackst. Werden nun stärker Inhalte durch Facebook gelöscht, wird sich der Vorwurf auch gegen Facebook richten. Laut Umfrage sind 53 Prozent der Nutzer selbst zunehmend bereit, bestimmte Beiträge zu melden. Damit läuft man eventuell in ein Zensur-Thema auf der Plattform. Für Marken und ihre Facebook-Seiten bedeutet dies erhöhte Sensibilität. Der Nutzer wird vermutlich nicht differenzieren, wenn auch unpolitische Beiträge verschwinden, er wird möglicherweise den Generalverdacht formulieren: "Aha, was nicht gefällt, löscht Ihr also."
2. Marken-Stories auf einer Demo?
Zugegeben, das folgende Bild ist etwas überspitzt: Jahrelang hat man das Social Web – vor allem Facebook – als Kneipe bezeichnet. Also Marken erzählt, sie müssten Teil der Gespräche werden, es wäre eben sehr demokratisch. Wenn nun die Mehrheit der Nutzer mehr Aggression, mehr Hetze, mehr Politik im eigenen Stream sieht, ist das dann noch eine Kneipe? Oder ist es eine Demo? Und wenn es eine Demo ist: Würden Sie dort Ihre Marke bewerben wollen? Gibt es in einer solchen Atmosphäre etwas zu gewinnen? Dringen Sie da überhaupt durch? Aktuell zumindest dürfte es für Marken schwieriger sein, Nutzer in der richtigen Stimmung anzutreffen.
Welche Wirkung haben Facebook-Ads für Schokoriegel und Schuhe, wenn sich die Leute gerade mit den Vorkommnissen am Kölner Hauptbahnhof beschäftigen? Und wo steht die Marke, wenn sich zwei Lager bilden, die sich unversöhnlich gegenüberstehen?
3. Haltung! Wozu?
Hört man immer wieder: Marken brauchen Haltung. Daniel J. Hanke schrieb letztens: "Nicht politisch ist politisch." Das ist sicher richtig. Nur ist die entscheidende Frage: Gibt es mit solcher Haltung für Marken gerade auf Facebook etwas zu gewinnen? Im Herbst 2015 gab es einige Marken mit Motiven pro Willkommenskultur. Zu dem Zeitpunkt gab das Aufmerksamkeit und Applaus. Nur wo sind die Motive jetzt, wo sich die Stimmung dreht? Ist das glaubwürdig? Marken sind letztlich opportunistisch, das müssen sie auch sein. Sie richten sich nach der Mehrheit der Kundenwünsche. Nur ist es gut für ein Markenbild, sich auf sehr fragile und schnell wechselnde Stimmungen zu setzen, die zudem stark von der öffentlichen Berichterstattung beeinflusst werden?
Ich habe meine Zweifel, dass Marken eine stärkere Einmischung in politische Themen generell und vor allem auf Facebook gut tut. Allein deshalb, weil zu spüren ist, dass die Nutzer diese Politisierung auf "ihrem" Facebook gar nicht so toll finden. Gerade die größte Zielgruppe zwischen 20 und 39 Jahren beteiligt sich am wenigsten an politischen Diskussionen. Die Leichtigkeit der Katzenbilder ist den täglichen Bildern von Leid und Gewalt gewichen. Marken wollen in der Regel nicht in einen solchen negativen Kontext. Zurecht, wie ich finde.
4. Mehr Corporate Social Responsibility – unbedingt!
Bevor man mich falsch versteht: Gesellschaftliches Engagement und Verantwortung halte ich für ganz wichtig. Mit Corporate Social Responsibility hat sich hier ja auch eine eigene Disziplin etabliert. Nur würde ich CSR erstens von der eher emotionalen Markenkommunikation trennen. Beispiel: Daimler macht sich stark für Boxcamps auch für Flüchtlinge. Das aber spielt in der Mercedes-Kommunikation keine Rolle, da geht es um Autos, PS, Adrenalin. Man stelle sich vor, man würde einem Posting über ein 100.000 Euro Auto im Facebook-Stream ein Posting zur Flüchtlingsthematik folgen lassen...
Zweitens: Auf der Corporate-Ebene muss es bei Verantwortungs-Themen um langfristige und glaubwürdige Engagements gehen, nicht um effektheischenden Aktionismus. Diese Engagements muss man ganz sicher stärker digital aktivieren, damit Unternehmen beweisen, dass sie sich sehr wohl verantwortlich um die Gesellschaft kümmern. Dies aber in meinen Augen eben nicht, um im aktuellen Zeitgeschehen zu punkten, sondern um sich ein Stück weit genau aus diesen emotionalen Themen raushalten zu können, ohne das man ihnen vorwerfen könnte, es wäre ihnen egal. Dann nämlich ist "unpolitisch" nicht gleich verantwortungslos.
Und drittens ist die Frage, ob diese gesellschaftlichen Themen stark im aufgeregten Facebook gespielt werden müssen oder eben nicht doch besser gezielt gegenüber wichtigen Stakeholdern mit Reichweite, die als Multiplikatoren fungieren. Klingt fast nach klassischer PR.
Genau diese PR treibt Facebook momentan im eigenen Sinne voran. Klares Zeichen, dass man die Entwicklungen sehr ernst nimmt.
Alle Umfrage-Ergebnisse finden Sie hier.