TV-Kritik:
Deutschlands schönste Frau? RTL und Onkel Guido casten arme Mäuse
RTL und Guido Maria Kretschmer suchen die "Botschafterin einer neuen Generation von Frauen". W&V-Redakteurin Petra Schwegler fragt sich nun, ob am Ende ein Biest oder eine arme Maus als "Deutschlands schönste Frau" in Dessous von Triumph gehüllt wird.
Eines gleich vorweg: Wer Guido Maria Kretschmer nicht mag, sollte die neue RTL-Castingshow "Deutschlands schönste Frau" schlicht meiden. Das Format, das am Mittwochabend im Anschluss an den "Bachelor" Premiere feierte, ist vom Sender auf den Universal-Moderator der RTL-Familie zugeschnitten. Wenn Kretschmer nicht mit den anfangs 20 Kandidatinnen spricht, dann spricht er über sie. Auf einer Finca in Mallorca wird gedreht, weil Kretschmer gern auf der Insel weilt und dort auch ein Haus besitzt; das weiß der Zuschauer schon nach den ersten Minuten. Und wenn Kretschmer mal nicht im Bild ist, dann ist er doch irgendwo zu hören. "Du arme Maus!", ist dabei ein Ausruf, mit dem der Moderator die Nöte der Teilnehmerinnen im Alter zwischen 21 und 65 Jahren am liebsten kommentiert und dabei den guten Onkel mimt. Fiese Kommentare liefert er lieber aus dem Off (über die vollschlanke Alex: "Das ist kein Hintern, der auf ihrer Brust sitzt. Das ist ihr Dekolleté", oder über die Bodybuilderin Olga: "Die im Garten, die könnte was wegschaffen.").
RTL und Kretschmer haben sich mit "Deutschlands schönste Frau" vorgenommen, nach den hübschesten Kandidatinnen jenseits gängiger Schönheitsideale zu fahnden. Der Moderator will – so versichert er laufend vor der Kamera – den Teilnehmerinnen mehr Selbstbewusstsein einimpfen, jede Frau soll sich schön finden ("Was nützt die schönste Karosserie, wenn du nicht weißt, wie du deine PS nutzt?"). Die Spannweite des Feldes ist gigantisch: Sie reicht vom tätowierten "Mäuschen" mit süßen 21 Jahren über die junge Mutter, die mit 24 bereits zwei Kinder hat, über die problembeladene Mittzwanzigerin, eine haarlose Schönheit mit Ende 20, die quirlige Single-Juristin mit Anfang 30 und die attraktive Polizistin in den späten 40ern bis hin zur flotten Rentnerin mit 65 Jahren. "Keine wie die andere", meint Kretschmer mit Blick auf Schlanke, Mollige, Alte, Junge, Blonde, Schwarze oder Rothaarige, Selbstbewusste, Schüchterne, Ehefrauen, Singles. Den Vorwurf, dem Kretschmers Kollegin Heidi Klum mit "Germany’s Next Topmodel" (GNTM) auf ProSieben ständig ausgesetzt ist, man würde hier ein bestimmtes Frauenbild auf den Thron heben, muss sich das neue RTL-Format nicht machen.
Apropos "GNTM": Ähnlichkeiten zur Klum-Reihe kann "Deutschlands schönste Frau" nicht verbergen. RTL bringt die Damen ebenfalls in einer schicken Villa unter, "Challenges" wie Aktfotografien stehen auch im Kretschmer-Team an – zumindest in der Gruppe "U30", in die die Jüngeren eingeteilt worden sind. Kommende Woche, in Folge zwei, geht es ans große Umstylen mit Schminke und Schere. Zickenterror vermisst der Fan des Genres nicht. Auch RTL hat Frauen gefunden, die nah am Wasser gebaut haben und viele Tränen verdrücken müssen. Nach 30 Minuten schon kommt die Frage auf: Wo bleibt der Sponsor Tempo? Also – alles dabei, was ein Casting unter Frauen ausmacht.
Bemerkenswert: Als Guido Maria Kretschmer den Kandidatinnen als Willkommensgruß in der Finca einen Berg Produktkartons des Werbepartners Dove präsentiert, kommt es wohl zum ersten kreischenden Product Placement in der Geschichte der Werbeform in Deutschland. Die Idee für den Phantombild-Zeichner, der die 20 Frauen einmal nach ihren Angaben und einmal nach Kretschmers Beschreibung zeichnen sollte, erinnerte bestimmt nicht ohne Grund an die Werbeidee des Sponsors aus dem Jahre 2013.
Auffallend ist, dass der Designer die Kandidatinnen erst über eine Stunde lang einlullt, drückt, kuschelt - und ihnen dann gegen 22.30 Uhr offenbart: "Es ist Casting! Bestimmt, wer in dieser Runde gehen muss!" Ein Bruch in der Choreografie, die bis dahin mit schrägen Mädels heile Welt spielt. Mädels wie Alexandra, die zum Auftakt mit Arielle-Flosse in den Pool springt und in die Kamera schwäbelt: "Ich bin 37, von Beruf Meerjungfrau und ich bin ein bisschen bescheuert." Kretschmer pariert: "Alex ist eher Rollmöpschen mit Schwänzchen dran."
Nachdem die Maske nach über einer Stunde gefallen ist, werden die anderen Seiten der Frauen offensichtlich. Sie sticheln, flüstern, stänkern, werden boshaft, entscheiden taff. "Die schärfsten Kritiker von Frauen sind nicht Männer, das sind sie selbst", sagt Onkel Guido aus dem Off, wie er es in vielen Stunden "Shopping Queen" geübt hat. Vier müssen gehen. Bei den Übriggebliebenen stellt RTL sicher, dass die richtige Mischung aus sympathischen Kandidatinnen mit echten Gewinnchancen und Lästerschwestern mit Potenzial für mehr Quote noch in der Finca bleiben darf. Es dürften durchaus noch mehr Zuschauer werden, auch wenn RTL bei 3,01 Millionen Gesamtzuschauern von einem guten Start spricht (...zeitgleich sahen nach 21 Uhr noch mehr als acht Millionen den zweiten Teil eines ZDF-Krimis).
RTL und Kretschmer wollen die Siegerin zu nichts weniger als zur "Botschafterin einer neuen Generation von Frauen in Deutschland" machen. Ihr winkt eine Unterwäschekampagne mit Triumph. Abwarten, ob ein Biest oder eine arme Maus als "Deutschlands schönste Frau" in Dessous gehüllt wird.