Interior Design:
Designkritik: Sind wir ein Land wie eine große Kreissparkasse?
Corporate Design gilt als deutsche Erfindung, aber beim Staatsbesuch der Queen neulich erinnerte der Markenauftritt unserer höchsten Repräsentanten an eine Gebietsdirektion der Provinzial-Versicherung. W&V-Blogger Peter Breuer über das stadtrandtaugliche Interior Design des Bundespräsidenten.
Corporate Design gilt als deutsche Erfindung, aber beim Staatsbesuch der Queen neulich erinnerte der Markenauftritt unserer höchsten Repräsentanten an die Gebietsdirektion einer Bausparkasse. W&V-Blogger Peter Breuer über das stadtrandtaugliche Interior Design des Bundespräsidenten.
Die beige Republik
Google gibt die Größe der englischen Königin mit 1,63 m an, die deutsche Kanzlerin ist nur zwei Zentimeter größer. Nun kommt es vor, dass Menschen im Alter etwas schrumpfen und möglicherweise wird die Größe von Elizabeth II. nicht permanent aktualisiert, sondern stammt aus einem älteren Datenbestand. In ihrem Stuhl beim Staatsbankett, das Bundespräsident Joachim Gauck anlässlich ihres Besuchs in Berlin für sie ausrichtete, sieht die Monarchin jedenfalls verloren und gar nicht majestätisch aus, während der Kopf der Kanzlerin weit über die Rückenlehne ragt.
Die Stühle prägen an diesem Abend das Interieur des Großen Saals von Schloss Bellevue. Diesen Kurhaus-Chic kann sich Ferdinand von Preußen, der immerhin ein mehrfacher Urgroßonkel der englischen Königin war, bei der Bauabnahme von Schloss Bellevue unmöglich vorgestellt haben: Eine Armada gepolsterter "Hochlehner", wie sie in den Möbelhäusern an den Stadträndern heißen. Ohne Armlehne, Bezug PU-Lederimitat, Gestell Nussbaum geölt, sofort abholbereit.
Irritierenderweise sind die Polster im selben Cremeweiß gehalten wie auch das Kleid der Königin, der Teppich, die Raumtäfelung und die Stores vor den Fenstern. Der gekrönte Kopf von Elizabeth II. scheint frei zu schweben und lediglich ihre rote Schärpe gibt dem Auge etwas Halt.
Stehen diese einhundert beigen Stühle an den runden Tischen, über deren Beschaffenheit sich wenig sagen lässt, weil die Tischdecken fast bis zum Boden reichen, für das Interior Branding einer Bundesrepublik, die übertriebenen Prunk ablehnt und vor allem gerne bequem sitzt?
Sind wir ein Land wie eine große Kreissparkasse – irgendwie ist alles dezent beige, gut zu reinigen und nur ab und zu wird die Ruhe durch ein Hydrokulturkügelchen gestört, das neben den Kunststoffkübel gefallen ist?
Dabei könnte man Corporate Design tatsächlich sogar als deutsche Erfindung bezeichnen. Schon vor mehr als 100 Jahren prägte der Gestalter Peter Behrens das Erscheinungsbild von AEG und bezog dabei Typographie, Architektur und Inneneinrichtung ein.
Die Hochlehner-Stühle beim Staatsbankett wirken wie ein Beispiel für die Unbeholfenheit der Bundesrepublik im geschmackssicheren Umgang mit dem architektonischen Erbe einer herrschaftlichen Architektur. Allein die Infobroschüre des Bundespräsidialamtes zu Schloss Bellevue samt Schnittzeichnung des Gebäudes ist so aufgeräumt, pulvertrocken und nüchtern, dass man sich als Staatspräsident einer aufstrebenden Bananenrepublik vermutlich denkt: "Da fahre ich doch lieber zu Putin. Der Typ ist zwar seltsam, aber die goldenen Wände im Kreml machen auf Fotos einen schönen Teint."
Kurz bevor die Queen kam, wurde in Berlin Richtfest gefeiert. Der Stahlskelett-Rohbau des aus dem Nichts wiedererrichteten Stadtschlosses ist noch nicht mit einer historisierenden Fake-Fassade behängt und sieht – abgesehen von seiner Kuppel – wie ein nüchterner Zweckbau aus. Das Innenleben des Baus wird modern sein und vermutlich wird die Bestuhlung aus beigen Hochlehner-Stühlen mit Lederpolsterung bestehen.
Kleiner Tipp in Zeiten klammer Kassen: Ein täuschend ähnliches Modell ist bei Ebay zu haben. Der Doppelpack kostet nur 62,90 Euro. Oder wie die Queen am Ende ihres Besuchs sagte: "Alles bestens. Gerne wieder."
W&V-Blogger Peter Breuer nennt sich einfach nur "Werbetexter" - eine Berufsbezeichnung, die auf Creative Junior Copywriter Evangelists wie eine Eisdiele aus der Adenauer-Zeit wirkt. Er schreibt und konzipiert für Kunden aus zahlreichen Branchen und gilt als einer der besten Texter Hamburgs. Wer daran zweifelt, kennt seine Facebook-Seite und seine Tweets nicht.